Angsthase Klopfer
Ich werde heute Abend ins Theater gehen und erst nach Mitternacht zurückkehren. Und ich gebe zu: Ich hab ein mulmiges Gefühl, wenn ich nachts allein unterwegs bin. Wahrscheinlich wird nichts passieren, aber das Gefühl ist trotzdem da. Ich werde auf meinem Heimweg mit der U-Bahn fahren müssen, also wenn etwas in den U-Bahnhöfen passieren sollte, wird zwar kein Sicherheitspersonal da sein, um einzugreifen, aber dafür wird man ein paar schöne Videoaufnahmen von meinem Dahinscheiden haben. Macht sich gut beim Prozess später.
Diese Angst beschränkt sich nicht nur auf mich. Wenn ich weiß, dass Freundinnen oder Freunde, die nicht wie ein Schrank aussehen und jegliches gegnerische Aggressionspotenzial mit einem scharfen Blick vernichten können, nachts alleine unterwegs sind, gebe ich ihnen meistens ein "Lass dich nicht wegfangen" auf den Weg mit und frage nach einiger Zeit per SMS/WhatsApp, ob sie schon heil angekommen sind. (In anderen Nachrichten: Es ist anstrengend, mit mir befreundet zu sein.)
Nur: Es passiert nichts. (Meine Erfahrungen mit Räubern und Schlägern draußen habe ich auch alle am helligten Tag gemacht.) Wenn ich den letzten Kilometer bis zur Wohnung laufe, weil die Straßenbahn zu lange braucht, schlägt mein Herz schneller, wenn ich den Schritt einer anderen Person hinter mir höre. Und dann bemerke ich, wie diese Person abbiegt oder an meinem Hauseingang vorbeiläuft, und ich kriege ein schlechtes Gewissen. Diese Person war harmlos. Sie hat nichts verkehrt gemacht. Sie hat auch nichts getan, was meine Angst rechtfertigen würde, außer dass sie eben da war, und das kann man niemandem übel nehmen, gerade wenn man selbst einfach nur da ist.
Ich kann also verstehen, wenn Frauen Angst haben, nachts alleine unterwegs zu sein. Aber heute gab es eine Diskussion auf Twitter darüber. Ich habe dabei angemerkt, dass auch viele Männer nachts allein Bammel haben. Die Gegenfrage war: "Aber wohl nicht davor, in ein Gebüsch gezerrt zu werden?"
Damit habe ich ein Problem. Lasst mich das erklären: Frauen haben Angst davor, sexuell belästigt oder vergewaltigt zu werden. Klar. Männer allerdings werden häufiger Opfer von Gewalttaten. Sie werden häufiger verdroschen und sind häufiger Opfer tödlicher Gewalt. Es ist also nicht so, dass Frauen per se gefährdeter wären als Männer. (Und bei weitem nicht jeder Kerl, der einen anderen Mann vermöbelt, würde genauso selbstverständlich eine Frau in der Öffentlichkeit verhauen. Da ist doch noch ein großes Tabu in den meisten Männern drin.) Im Endeffekt ist es also so: Böse Menschen tun anderen Menschen böse Dinge an. Egal, was man zwischen den Beinen hat oder zu welchem Geschlecht man sich zählt, man ist nicht besonders geschützt vor Gewalttaten.
Mein Problem mit der oben genannten Frage ist also, dass sie sehr stark andeutet, dass die Angst von Männern weniger "wert" oder weniger gerechtfertigt wäre als die von Frauen. Und ich finde, das kann nicht im Sinne der Gleichberechtigung sein, dass die Gefühle eines Geschlechts als weniger relevant angesehen werden.
Ob Mann oder Frau, die meisten Menschen werden feststellen, dass diese Angst unbegründet ist und der Heimweg dann doch total unspektakulär war. Angst davor zu haben, nachts draußen zu sein, ist in erster Linie ein persönliches Problem. Der Grund für die Angst ist, dass es ein paar böse Menschen gibt. Diese sind das gesellschaftliche Problem. Frauen sollten nicht sagen: "Ich habe Angst davor, nachts draußen herumzulaufen", wenn sie eigentlich meinen: "Es gibt zu viele Männer, die Frauen belästigen und keine Grenzen akzeptieren." Denn diese sind ja der Knackpunkt, nicht die Nacht oder die Menschen, die dann unterwegs sind. Vermutlich hatte auch schon mal eine Frau Angst vor mir. Der Gedanke gefällt mir nicht, aber ich werde keine Verantwortung übernehmen oder mich schuldig fühlen für andere Menschen, die sich nicht benehmen können und zufällig auch einen Penis haben. Und ich habe die Hoffnung, dass alle Frauen, denen ich mal durch meinen bloßen Spaziergang durch die nächtlichen Straßen Berlins Angst gemacht habe, sich auch eher denken: "Oh, ich hab ihm unrecht getan", und nicht: "Puh, noch mal Glück gehabt." Denn der erste Gedanke ist der, der die Angst vielleicht ein bisschen verkleinert.
So, jetzt muss ich aber los.
Gast
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Ich hab ja auf twitter mitgelesen. Ich verstehe deinen Standpunkt vollkommen. Ich bin grundsätzlich gegen Gewalt - gegen Männer, gegen Frauen, gegen egal wen. Und ich habe auch ein großes Problem mit dieser Generalisierung die da oft betrieben wird.
Und das sage ich, obwohl ich schon mal Nachts im Dunklen von einem Unbekannten bis vor die Zimmertüre im Studentenwohnheim verfolgt wurde. Ich hatte in meinem ganzen Leben keine solche Angst. Und ich habe seitdem ziemliche Angst Nachts alleine Draußen zu sein, aber ich hab nicht "Angst vor Männern" sondern "Angst vor bösen Menschen". Das ist nämlich der Knackpunkt - wenn man sich auch bei der Diskussion um Gewalt zu sehr auf die "Geschlechterrollen" konzentriert, passiert es eben auch dass zB männliche Opfer von Gewalt nicht Ernst genommen werden ("Grow a pair and shut up"), weil sie ja grundsätzlich in der Täterrolle gesehen oder vermutet werden. Die (potentielle) Opferrolle von Männern anzusprechen ist in meinen Augen auch kein Versuch der Täter-Opfer-Umkehr, wie es manche einem gerne Vorwerfen, sondern ein Versuch ein Thema von mehreren Seiten zu beleuchten (Täter-Opfer-Umkehr wäre es zB zu sagen "Aber der arme Mann war halt chronisch untervögelt, deswegen wurde er zum Vergewaltiger, weil ihn die herzlosen Frauen davor alle abgewiesen haben!")
Da darf man einfach keinen blinden Fleck entwickelt, sonst drängt man irgendwann das eine Problem zurück und hat dafür ein anderes.