Klopfers Blog

Kategorie: Besserwisserei

Okay, das wird jetzt ein langer (und vermutlich langweiliger) Eintrag. Wer Deutschunterricht richtig scheiße findet, sollte besser nicht weiterlesen.

Während ich mich in Kassel vergnügte, lief im WDR die "Bastian-Sick-Schau", eine halbstündige "Sprachcomedy" mit Bastian Sick. Gestern habe ich dank Youtube die Gelegenheit wahrnehmen können, die Sendung doch noch anzuschauen.
Ich mag Bastian Sick nicht. Dass man Bastian Sick bei jedem Satz anmerkt, dass er ihn genau so auswendig gelernt hat, ist dabei nicht das Problem, wenngleich das die Illusion nimmt, er würde auf sein Publikum reagieren. Mein Problem ist Sicks Lehre von der deutschen Sprache. Er macht dicke Fehler, die einem richtigen Germanisten (anders als einem Romanisten mit Identitätskrise wie Sick) nicht unterlaufen würden. Das fängt schon dabei an, überhaupt Leuten vorschreiben zu wollen, was falsches und was richtiges Deutsch wäre, und so ein schlechtes Gewissen in anderen hervorzurufen, die sich schämen, angeblich falsches Deutsch zu reden. Und es geht weiter damit, dass er ziemlich oft einfach nur Unsinn redet.

Ein Beispiel aus der Sendung (ab 7:55): Bastian Sick fragt sein Publikum, was denn richtig wäre. "A [Der Kritiker ist] mir wohlgesinnt" oder "B [Der Kritiker ist] mir wohlgesonnen"? Die allermeisten Leute im Publikum wählen Antwort B, Sick sagt, dass es "überall in Deutschland" so aussähe, und behauptet dann, dass Antwort B falsch wäre. Die Begründung, die er dazu liefert, kann man auch in einem Zwiebelfisch nachlesen. "Wohlgesonnen" sei falsch, weil "wohlgesinnt" ein Adjektiv und kein Partizip II wäre, da es kein Verb "wohlsinnen" gibt. Es gibt zwar tatsächlich kein Verb "wohlsinnen", aber trotzdem hat Bastian Sick unrecht.
Dafür gibt's zwei Begründungen, eine kurze und eine lange.

Die kurze: Wenn über 90% der Deutschen dialektübergreifend der Meinung sind, es hieße "wohlgesonnen", dann heißt es auch "wohlgesonnen". Was immer gerne von diesen Sprachhütern vergessen wird: Deutsch wird nicht definiert von wenigen Sprachlehrern, sondern von den Sprechern. Was sich allgemein im Sprachgefühl durchsetzt und als richtig empfunden wird, ist dann auch richtig.

Die lange: Hier muss ich etwas ausholen und einiges zur Flexion von deutschen Verben sagen. Es gibt im Deutschen (unter anderem) die Unterscheidung zwischen starker und schwacher Beugung von Verben. Dieser Unterschied äußert sich darin, wie die Vergangenheitsformen gebildet werden. Schwache Verben haben in den Vergangenheitsformen Endungen mit -t, die an den Wortstamm angehängt werden.

Stammform1. Ps. Sing. Prät.Partizip IIAnmerkungen
gehenich ginggegangenstarkes Verb
fummelnich fummeltegefummeltschwaches Verb


Als Faustregel kann man sagen, dass alle starken Verben im Deutschen aus alter germanischer Zeit stammen, da neue Verben grundsätzlich schwach gebildet werden (es gibt aber auch alte germanische Verben mit schwacher Beugung, z.B. brennen - ich brannte - gebrannt). In der Sprachentwicklung des Deutschen gibt es aber auch seit langem die Tendenz, dass viele starke Verben mit der Zeit in die schwache Flexion wechseln:
Stammform1. Ps. Sing. Prät.Partizip IIAnmerkungen
siedenich sottgesottenstarkes Verb
siedenich siedetegesiedetschwaches Verb

Sieden ist ein schönes Beispiel dafür, dass das Wort "gesotten" heute nur noch als Adjektiv oder substantiviert in festen Wendungen auftritt ("Gebratenes und Gesottenes"). Es zeigt sich generell auch, dass sich das Partizip II am längsten weigert, in die schwache Flexion zu wechseln, was zu Mischformen zwischen starken und schwachen Verben führt:
Stammform1. Ps. Sing. Prät.Partizip IIAnmerkungen
backenich bukgebackenstarkes Verb
backenich backtegebackengemischt stark/schwach

Irgendwann wird "gebacken" vielleicht auch nur noch als feste Adjektivform existieren und von "gebackt" als Partizip II abgelöst werden. Das werden wir dann eventuell in 100 Jahren sehen.
(Übrigens: Dass ein Verb von der schwachen in die starke Flexion wechselt, ist sehr sehr selten, allerdings beobachten wir das zum Teil gerade bei "winken", welches immer häufiger das starke Partizip "gewunken" bekommt statt "gewinkt".)

So, jetzt kommen wir mal zum Wort "wohlgesinnt"/"wohlgesonnen". Das Verb "sinnen" kennen wir noch, es wird stark flektiert und hieß im Althochdeutschen "sinnan".
Stammform1. Ps. Sing. Prät.Partizip IIAnmerkungen
sinnenich sanngesonnenstarkes Verb

Bereits in althochdeutscher Zeit gab es eine verstärkte Form von "sinnan", nämlich "gisinnan", aus dem später das Verb "gesinnen" wurde. Auch gesinnen wurde stark gebeugt:
Stammform 1. Ps. Sing. Prät. Partizip II Anmerkungen
gesinnen ich gesann gesonnen starkes Verb

Die Partizip-II-Form ist identisch mit der von "sinnen". Auch wenn das Verb "gesinnen" heutzutage wohl so ziemlich ausgestorben ist, kennt man immer noch die Gesinnung, die aus dem Verb entstanden ist. Im Neuhochdeutschen entwickelte sich zur starken Flexion auch parallel eine schwache Flexion von "gesinnen":
Stammform 1. Ps. Sing. Prät. Partizip II Anmerkungen
gesinnen ich gesinnte gesinnt schwaches Verb

Die Bedeutung ist die gleiche wie beim starken Verb. Aus dem (etwas altertümlich wirkenden) Satz "Ich gesinne ihm wohl" konnte man also gut "Ich bin ihm wohlgesonnen" (nach der starken Flexion) als auch "Ich bin ihm wohlgesinnt" (nach der schwachen Flexion) bilden. Beides absolut korrekt, weil grammatisch korrekt aus den Verbformen gebildet. Wie gesagt, ist das Verb "gesinnen" heutzutage ausgestorben, aber erinnern wir uns an das "Gesottene": Oft bleiben ehemalige Partizipien als Adjektive, substantivierte Adjektive oder in festen Formen im Sprachschatz erhalten, wenn das ursprüngliche Verb bereits ausgestorben ist.
Offenbar ist "wohlgesonnen" im kollektiven Sprachgedächtnis erhalten geblieben. (Eine zweite Möglichkeit ist, dass die Menschen es immer noch als Partizip erkennen und analog zum Partizip von "sinnen" bilden, da kommt ja das Gleiche heraus.)

Und deswegen ist "wohlgesonnen" ebenso korrekt wie "wohlgesinnt" und Sick ist eine Lusche.

Mehr zu lesen:

Thumbnail

Wie man RSS-Feeds benutzt

Veröffentlicht am 8. April 2008 um 20:22 Uhr in der Kategorie "Besserwisserei"
Dieser Eintrag wurde bisher 1 Mal kommentiert.
Thumbnail

Wie kann man Klopfers Web unterstützen?

Text veröffentlicht im
Klopfer erzählt, wie man helfen kann, Klopfers Web zu erhalten und besser zu machen - sowohl ohne als auch mit Geldeinsatz. [mehr]

dead_puppet
Kommentar melden Link zum Kommentar

ich mag es auch nicht wenn jemand falsches Deutsch schreibt, bzw einen verkümmerten Wortschatz besitzt. Und ich finde es auch richtig andere zu berichtigen bzw berichtigt zu werden. aber man kanns auch übertreiben ö..ö
Wie du schon geschrieben hast. Wenn der Großteil der Deutschen es als richtig, angenehmer empfindet, dann ist es auch richtig.

0
Geschrieben am
Marle
Kommentar melden Link zum Kommentar

Über den ach so schrecklichen Verfall der deutschen Sprache haben sich schon die Gebrüder Grimm aufgeregt, da erzählt der liebe Herr Sick nichts neues. Allerdings wird einem schon in der ersten Vorlesung einer Einführungsveranstaltung in Linguistik erzählt, dass in der Sprachforschung schon sehr lange nicht mehr in den Kategorien "gut" und "schlecht" gedacht wird, weil Sprache nun mal WANDEL ist. Aber es ist natürlich schön, seine eingebildete geistige Überlegenheit öffentlich demonstrieren zu können.
Ich hoffe, jemand erschlägt den Herrn irgendwann einmal mit einem Duden.

0
Geschrieben am

Es können zu diesem Eintrag derzeit keine neuen Kommentare abgegeben werden.