Heute Mittag habe ich im DLF tatsächlich einen Gegner der Resolution hören müssen, der die damaligen Eregnisse als "Umsiedlung der armenischen Bevölkerung" bezeichnete und dass es dabei zu "gegenseitigen Massakern" gekommen sei. Was haben denn bitte bis zu 1,5mio Tote mit "Umsiedlung" zu tun?
Zudem wurde argumentiert, dass es im WW1 ja auch armenische Regimenter gegeben hätte, die auf Seiten Russlands gegen die Türkei aufmarschiert wären. Aber in wie weit rechtfertigt das bitte diesen Massenmord an der Zivilbevölkerung?
Bitte nicht falsch verstehen, mir geht es nicht um die Türken oder Armenier oder die spezielle Rolle der Deutschen. Eher darum, dass ich kein Verständnis für Personen habe, die das derart umfangreiche Abschlachten von Menschen auch noch rechtfertigen wollen. Es muss doch eigentlich in der breiten Masse der Menschheit ein Unrechtsgefühl gegen solche Untaten und ein Mitgefühl mit den Opfern vorherrschen. Davon ist in solch politischen Diskussionen aber nicht viel zu spüren. Wo ist das geblieben? Sind wir als Gesellschaft schon so abgestumpft?
Man muss ein bisschen nachvollziehen können, woher diese Motivation kommt, den Völkermord zu relativieren. Wer (wie viele Türken) seine nationale Identität auch zum großen Teil daraus schöpft, dass das eigene Volk immer ehrenvoll gewesen sei, für den ist so eine Anschuldigung fast so, als würde man seine Eltern beleidigen. Das betrifft einen Punkt, der ihnen ganz persönlich für das eigene Selbstverständnis und Selbstbewusstsein wichtig ist und der ihnen viel näher steht als das abstrakte Bild von einer Menge Leute, die vor 100 Jahren gestorben sind und die man gar nicht kannte. Es ist also eine Verteidigungsreaktion.
Dass man die Opfer nur abstrakt wahrnimmt, ist an sich aber auch nicht so überraschend: Der Völkermord an den Hereros (der von der Bundesregierung auch erst letztes Jahr anerkannt wurde) ist für uns auch eher ein geschichtliches Faktum, aber eine wirkliche persönliche Betroffenheit haben wir doch eher nicht. Die Opfer des 30-jährigen Krieges sind für uns noch viel eher nur eine abstrakte Idee. Vom Kopf her wissen wir natürlich, dass das alles Menschen waren (tw. unsere Vorfahren), aber vom Herzen her haben wir für sie nicht mehr Mitgefühl als für eine Märchenfigur.
Generell find ich es aber auch gut, wenn man in politischen Diskussionen die Emotionen rausnimmt. Wie ich schon in anderem Zusammenhang mal sagte: Jeder hat Emotionen, deswegen kann man damit nicht argumentieren, weil man dem anderen nicht einfach sagen kann, er solle seine Emotionen runterschlucken, um die zu akzeptieren, die man selber offenlegt. Kurz gesagt: Je emotionaler man selbst wird, desto emotionaler wird der andere, und am Ende hat man nichts gewonnen, sondern nur die Ressentiments noch angefüttert. So entstehen Fehden.
Wenn man sich dagegen auf objektive Kriterien einigen kann, anhand derer man die jeweiligen Positionen festmachen und überprüfen kann, ist viel mehr gewonnen. Sagen zu können, etwas ist ein Völkermord, weil objektiv die Kriterien A, B und C zutreffen, die man anhand der Fakten X, Y und Z belegen kann, ist eine weitaus bessere Grundlage für eine Aufarbeitung, als zu sagen, es wäre ein Völkermord, weil man das Töten von Menschen an sich so furchtbar gemein findet (und so quasi andeutet, jemand wäre ein Unhold, wenn er nicht mit dieser Einschätzung übereinstimmt).