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Gibt es im Osten wirklich mehr "Rechte" als im Westen? Und warum ist der Ausländerhass dort zumindest gefühlt größer?
Das ist ein etwas umfangreicheres Thema, also wird das jetzt eine laaange Antwort.
Es wird oft auf die DDR geschoben, aber es gibt eigentlich zwei wesentliche Faktoren, die quasi aus DDR-Zeiten geerbt wurden und die gar nicht per se rechts sind:
1. Heimatverbundenheit/Patriotismus (der halt dem ähnelt, was in allen anderen Ländern außer Deutschland so normal ist) und
2. das Vertrauen, dass der Staat sich um das Wohl seiner Bürger kümmern muss. (Das heißt nicht Sozialhilfe, sondern eher, dass Chancen auf ein würdevolles Leben geschaffen werden.)

Nach der Wiedervereinigung sind viele Betriebe untergegangen. Viele waren nicht konkurrenzfähig, einige sind auch einfach verramscht und ausgeplündert worden (tw. verkaufte die Treuhand Betriebe zu einem Preis, der weit unter dem Grundstückswert und dem Schrottwert der Maschinen lag), teilweise sind Fördergelder für den Osten nach Westdeutschland umgeleitet worden (Bremer Vulkanwerft z.B.). Für viele westliche Betriebe wurde der Osten einfach zur Werkbank. (Ein großer Teil des Produktivitätsrückstands im Osten erklärt sich schlicht daraus, dass hier größtenteils Arbeitsplätze für Geringverdiener entstanden sind, Sachen wie Management oder Forschung aber im Westen verblieben.) Viele Leute sind arbeitslos geworden, viele bekamen nur Arbeit mit wenig Gehalt und ohne Aufstiegschancen. Berufserfahrung wurde nicht voll anerkannt. Es gab ungleiche Bezahlung zwischen miteinander arbeitenden Ost- und Westdeutschen im Öffentlichen Dienst (Buschzulage).
Zu den wirtschaftlichen Problemen kommen Akzeptanzprobleme: Viele Westdeutsche (die sich vermutlich für irrsinnig weltoffen halten) haben Vorurteile gegen Ostdeutsche, halten sie für faul und dumm. (Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie; der wirtschaftliche Aufschwung Bayerns z.B. hing auch von den Leuten ab, die in der DDR erstklassig ausgebildet wurden und dann in den Westen flohen. Die Wirtschaft der DDR war in erster Linie durch das Embargo und das von der Sowjetunion aufgedrückte Wirtschaftssystem weniger leistungsfähig.) Die Ablehnung (nicht nur durch Privatleute, auch die Schlagzeilen der Medien nach so gut wie jeder Wahl im Osten sind oft unheimlich respektlos) merken die Ostdeutschen natürlich auch, es macht sich das Gefühl breit, als Bürger 2. Klasse oder als Problemkinder zu gelten. Die Lebenserfahrungen, die man gemacht hat, werden marginalisiert.

Und jetzt musst du dir vorstellen, du bist Ostdeutscher, du hast einen mies bezahlten Job, der nur 80% von dem einbringt, was du im Westen verdienen würdest, deine Eltern sind arbeitslos oder in ebenso schlechten Arbeitsverhältnissen, eventuell haben sie ihr Haus nach der Wende verloren, in dem sie 25 Jahre gelebt haben, weil das an irgendeinen Alteigentümer zurückgegeben werden musste, der 1961 in den Westen abgehauen ist. Die Politik verwaltet nur noch, was da ist. Dein Bruder ist arbeitslos, aber schon über 35 Jahre alt und wird überall abgelehnt. Du würdest gern mit deiner Freundin zusammenziehen, aber ihr findet keine bezahlbare Wohnung, weil die Politik aufgehört hat, Sozialwohnungen zu bauen, und ansonsten große Teile der vorhandenen Wohnungen verkauft hat. Du siehst Obdachlose in der Stadt, und du liest in der Zeitung, dass die paar Obdachlosenunterkünfte ab 22 Uhr voll sind und Leute abweisen müssen. Du und deine Freundin, ihr hättet gerne ein Kind, aber wenn ihr euch die Situation bei den Kindergartenplätzen anschaut, wäre das wohl eine Schnapsidee.

So, und dann kriegst du mit, dass die Politiker begeistert davon reden, wie die Einwanderer ja ein Segen für das Land wären, weil sie ja anders als das fickfaule deutsche Pack noch Kinder kriegen würden und das ganz toll für die Rente wäre. Du kriegst mit, dass die Wirtschaft freudestrahlend davon fabuliert, dass man ja sooo viele Fachkräfte braucht und darauf brennt, die Einwanderer auszubilden. Du bemerkst, dass jetzt auf einmal einsfixdrei Notunterkünfte für die Einwanderer gebaut werden, und dass die Politik sich jetzt endlich vornimmt, für bezahlbare Wohnungen zu sorgen, jetzt wo es so viele Neuankömmlinge gibt.
Und dann denkst du wieder an dich und deine Freundin, die ihr Hemmungen habt, eine Familie zu gründen. Du denkst an deinen Bruder, der in der Wirtschaft, in der es so an Fachkräften mangelt, keinen Ausbildungsplatz kriegt, weil er zu alt wäre. Du denkst an die Obdachlosen, für die kein Schlafplatz vorhanden ist.

Und es macht sich das Gefühl breit: Die Politiker kümmern sich mehr um die Ausländer als um ihr eigenes Volk. (Das Gefühl geht nicht unbedingt gegen die Ausländer an sich.) Man hat den Eindruck, dass den Migranten mehr Chancen eröffnet werden als einem selbst. Warum sieht man in den zum großen Teil kaum gebildeten Einwanderern ein Potenzial und ignoriert das der ostdeutschen Bevölkerung? Das fragt man sich.
Gewisse Parteien und Organisationen machen es nicht besser, wenn sie davon reden, wie toll sich durch die Neuankömmlinge das Leben verändert und die Kultur bereichert wird. Ostdeutsche sind heimatverbunden. Sie wollen sich nicht umgewöhnen, sie wollen nicht in Klein-Damaskus wohnen, sie wollen sich nicht für eine fremde Kultur verändern müssen. Und solches Gerede (wie es oft von den Grünen kommt) bereitet vielen Ostdeutschen einfach Unwohlsein, was ja ganz verständlich ist. Warum sollen sie sich an Fremde anpassen müssen und nicht umgekehrt? Warum soll der Schwanz mit dem Hund wackeln? (Ich nehme an, vielen Westdeutschen geht es ähnlich.) Gerade in Berlin: Wenn man da mal in die Westberliner Bezirke guckt, will man die Bereicherung oft gar nicht.

Das sind natürlich Gefühle und Stimmungen, die irgendwie von der Politik aufgenommen werden müssten, und die an sich gar nicht rechts sind (auch wenn gewisse Stiftungen das anders sehen *hust*). Aber sie werden eben oft automatisch in die rechte Ecke gestellt. Und einige Ostdeutsche orientieren sich eben dann auch politisch rechts, weil sie dort für ihre Befürchtungen und Ängste nicht angefeindet werden. Dummerweise besteht in Gruppen dann eben auch immer die Gefahr, dass man sich radikalisiert und am Ende eine radikalere Position vertritt, als jedes Einzelmitglied für sich vertreten hätte.
Ein großer Teil der Ostdeutschen wählt aber halt dann rechts oder links, um einfach gegen die Politik zu protestieren und zu sagen: "Hey, nehmt uns endlich ernst!" Die Hälfte der AfD-Wähler findet, dass die AfD sich nicht genug nach rechts abgrenzt. Ein großer Teil der AfD-Wähler wählt sie nicht aus Überzeugung. Insofern muss man da auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen, wenn man sagt, Ostdeutschland wäre furchtbar rechts, zumal da ja oft auch einfach Positionen vertreten werden, die vor 20 Jahren noch zum Standard der CDU gehörten.

Am Ende kann man auch fragen, ob Westdeutschland wirklich so viel weniger Rechte hat oder ob die rechten Positionen da nicht eher versteckter sind - oder eben, ob jemand wirklich so viel toleranter und menschenfreundlicher ist, wenn er darüber schreibt, wie dumm, faul und verkommen die Ostdeutschen offenbar sind, weil ihm nicht gefällt, wo sie ihr Kreuzchen gemacht haben.