Selbstbestimmungsrecht ist hier auch ein bisschen ein Witz. Erstens kann man das gar nicht festlegen, da jeder Mensch dazu erst mal seine Zugehörigkeit zu einem Volk festlegen müsste, zweitens stellt sich dann die Frage, wie man das praktisch umsetzen wollte (In Irland zum Beispiel sehen katholische und protestantische Gebiete völlig anders aus, je nach dem, auf welcher Ebene man misst - eigentlich mehrheitlich protestantische Counties haben da an der Grenze oft stark katholische Gebiete, die dann auf der "falschen" Seite stehen) und drittens kannst du mal die Katalanen, Basken oder Kurden fragen, wie viel von diesem Selbstbestimmungsrecht in Realität vorhanden ist.
Nationale Kulturen existieren höchstens, WEIL sie in einem Staat vereint wurden. So wäre es vor der frz. Revolution lächerlich gewesen, von einer französischen Kultur zu sprechen. Aber heute kann man das wohl durchaus, weil die Franzosen - gerade auch oft mit Druck von oben - eine Kultur geformt haben. Ist der Bayer denn immer noch näher am Norddeutschen, wenn der Vergleichswert der Österreicher ist, oder für den Norddeutschen der Niederländer oder Däne? Dasselbe gilt für China - was wir als chinesische Kultur sehen, ist die Kultur eines bestimmten Teils von China. In der Inneren Mongolei, Tibet oder Xinjiang sieht das anders aus. In Peking sieht es anders aus als in Shanghai.
Nationen sind politische Einheiten; Kulturen sind, naja, kulturelle Einheiten. Gibt ja auch genügend Nationen, die sich nicht über eine Kultur zu definieren versuchen, das ist vor allem ein Zeichen des deutschen Nationalismus.
Als Schweizer kann ich dir sagen, dass wir uns vielleicht als "Teil des deutschen Kulturraums" einordnen können, oder zumindest Teil des deutschen Sprachraums, aber deshalb keineswegs der Meinung wären, wir seien Deutsche. Es existieren gemeinsame kulturelle Werte in Deutschland (wobei ich mir nicht sicher wäre, ob diese auch spezifisch deutsch sind), aber daher gibt es noch keine einzelne deutsche Kultur.
Dieses ganze Auseinanderklamüsern, wie nahe jetzt der Bayer mit dem Österreicher oder dem Norddeutschen in der Kultur steht oder Ostchina und Westchina, das ist doch auch eine komplett überflüssige Diskussion, denn die Anpassung an die hier herrschende Kultur soll doch das Problem adressieren, dass Leute aus anderen Kulturen mit inkompatiblen Ansichten, Bräuchen und Werten hierherkommen und deswegen das gesellschaftliche Zusammenleben strapaziert wird. Da diese Inkompatibilitäten eher weniger zwischen Franzosen und Deutschen vorkommen oder Polen und Deutschen oder eben Schweizern und Deutschen, ist das eine komplett irrelevante Frage, wie genau man die Kulturen zwischen Nachbarländern abgrenzen kann. (Ich erläutere diese Inkompatibilitäten noch in einer späteren Antwort.) Ironischerweise werden auch z.B. Japaner weniger Schwierigkeiten haben, obwohl sie aus einer sehr anderen Kultur kommen, aber die ist in den fraglichen Kernbereichen, die tatsächlich gesellschaftlichen Sprengstoff bieten könnten, unserer deutlich ähnlicher als z.B. die in der ländlichen Türkei oder die Kulturen des arabischen Raums. Es geht ja bei der Forderung um Anpassung nicht um dumpfen Chauvinismus, sondern um das Verhindern von Fehlentwicklungen, die dem Gesellschaftsgefüge im Ganzen schaden.