Zensur halte ich hier für das falsche Wort. Man kann sicher darüber diskutieren, ob hier Unternehmen zu große Macht besitzen, aber es ist nunmal ihr Recht im Sinne des Hausrechts abzulehnen, was nicht passt. Zumal in den USA die Unternehmen aus eigenem Antrieb reagieren (wenngleich sie wohl "nur" um ihren Ruf fürchten). Da empfinde ich die Facebook-Löschdebatten in Deutschland wesentlich unangenehmer. Hier wird ernsthaft darüber diskutiert, dass Facebook und Co dafür bestraft werden, wenn sie nicht erkannt haben, ob ein Posting illegal ist. Das wird dazu führen, dass solche Unternehmen zwangsläufig offensiver löschen, als notwendig, weil man lieber ein Posting, das gerade noch okay war, mit löscht, als dass man eines stehen lässt, dass der Gesetzgeber dann als "offensichtlich strafrechtlich relevant" einordnet.
Die Meinungsfreiheit muss ja nach wie vor der Staat sicherstellen. Deshalb ist es unschön, wenn beispielsweise Linksextremisten AfD-Vorträge stören, aber es schränkt deren Meinungsfreiheit nur dann ein, wenn sich die Polizei weigert dagegen etwas zu unternehmen.
Was man den Unternehmen vorwerfen kann, ist, dass sie gerade mal demonstrativ gegen Nazis sind, während ihnen das Thema lange ziemlich egal war.
In Zeiten, wo das Internet schon zum Lebensstandard gehört, kann man natürlich darüber streiten, ob der Staat sicherstellen muss, dass auch unbeliebte Meinungen im Internet eine Plattform bekommen müssen. Wie siehst du das, sollte der Staat beispielsweise Webspace zur Verfügung stellen, wenn privatwirtschaftliche Unternehmen diesen verweigern?
Sollte der Staat Webspace bereitstellen? Nö. Aber es könnte durchaus überlegt werden, ob die Kündigung eines gültigen Vertrages - zumindest ohne angemessene Frist - rechtmäßig ist, solange kein Vertragspartner Gesetze verletzt hat. (Hat ja auch durchaus was mit Treu und Glauben zu tun, aber ich weiß nicht, inwiefern so etwas in den USA gilt.)
Der Staat mischt sich ja auch so schon in die Vertragsfreiheit ein. Man kann Schwule, Behinderte, Juden, Moslems, Schwarze etc. nicht als Kunden ausschließen, weil das als illegale Diskriminierung gilt (außer vll., man ist ne Kirche ). Insofern wäre da jetzt eine weitere Regelung keine große Abweichung von der bisherigen Linie.
Mich stört eben bei der Sache, dass die meisten Leute sich keine Gedanken machen, was diese Boykotthaltung für sie bedeuten würde, wenn sie davon betroffen wären. (Und ich halte es für naiv, davon auszugehen, dass man selber ja nie Zielscheibe so einer Empörung werden würde.) In anderen Fällen geht es ja schon weiter als nur ins Internet. Arbeitgeber werden gedrängt, Leute zu entlassen. Vermieter werden unter Druck gesetzt, Leuten die Wohnung zu kündigen. Ein Mob setzt sich zum Ziel, das Leben von Leuten gezielt zu zerstören - und das, weil sich der Mob für besonders anständig hält. Finde ich sehr bedenklich.
Und was das Verbreiten von Meinungen im Internet angeht: Sollten wir nicht stark genug sein, das auszuhalten? Sollten wir Meinungen, die wir nicht teilen, nicht eher diskutieren, als sie zu verstecken? Halten wir die Menschen echt für zu dumm, um sich damit auseinanderzusetzen? Haben wir vielleicht gar keine guten Antworten darauf? Ich find's ja auch schon unangenehm, wenn Buchhandlungen Bücher mit Absicht nicht verkaufen, weil ihnen das nicht gefällt, was drin steht (oder was sie glauben, was da drin steht).
Ich mach mir auch deswegen Gedanken, weil dieses Deplatforming auch in anderen Bereichen große Ausmaße annimmt. Filme wie "The Red Pill", die sich um Männerprobleme drehen, werden mit absurden Begründungen torpediert und Kinos werden unter Druck gesetzt, sie nicht zu zeigen. Leute, die Feministen kritisieren, werden beschuldigt, verkappte Vergewaltiger, Rassisten und Nazis zu sein, und Veranstalter, die Diskussionsrunden mit ihnen organisieren wollen, werden unter Druck gesetzt, sie nicht auftreten zu lassen. Gamergate-Anhänger, die sich in einem Café treffen wollen, werden mit einer Bombendrohung aus dem Lokal gezwungen.
Ich mach mir sehr große Sorgen, wie diskursfeindlich die Atmosphäre mittlerweile geworden ist. Selbst in Deutschland bauen staatlich finanzierte Stiftungen Internetpranger auf, in denen vermeintliche Antifeministen in Verbindung mit Rechtsaußen-Bewegungen gebracht werden.
Ich sehe eine sehr große Gefahr, dass Menschenrechte nur noch denen mit genehmer Gesinnung zugestanden werden.