Ich habe nicht so diese Nostalgie für die DDR, wie sie viele andere haben, die sie vielleicht länger erlebt haben und die durch die Wende einen größeren Absturz erlebt hatten. Ich war ja erst neun Jahre alt, als die Mauer fiel. Ich denke, die DDR war angefüllt mit guten Absichten bei vielen Leuten, aber im Endeffekt nicht lebensfähig. Einerseits durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten (was durch den Würgegriff des großen Bruders Sowjetunion verschärft wurde), andererseits einfach deswegen, weil die Weltanschauung Annahmen über den Menschen und die Gesellschaft hatte, die mit der Realität nicht so viel zu tun haben (dickes Problem des Kommunismus halt). Und wenn du so eine Weltanschauung hast, die die eigene Position als die einzig moralisch richtige für die Weiterentwicklung der Menschheit hält (und glaubt, das wäre auch noch wissenschaftlich fundiert), dann folgt daraus, dass man Grausamkeiten gegenüber denen, die diese Position nicht teilen, moralisch ebenfalls rechtfertigt und nur zu gerne anwendet. Das wird natürlich noch dadurch verzwickter, dass selbst die eigene Position nicht statisch ist und plötzlich auch die zu Klassenfeinden werden, die heute immer noch dieselbe Position vertreten, die man gestern selbst vertreten hat. Immer, wenn man ein System etabliert, in dem Leute einfach so durch ihre Ansichten zu Feinden erklärt werden können und deren radikale (und insbesondere gewaltsame) Bekämpfung moralisch geboten ist, wird es Menschen geben, die das zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, und das sind dann auch die, die mit höherer Wahrscheinlichkeit in machtvolle Positionen gelangen. Wenn man sich überhaupt mal die kommunistischen Regime (nicht nur in der DDR) anguckt oder auch linksradikale Bewegungen, da wimmelt es ebenso vor Psychopathen und Widerlingen wie bei den Rechtsradikalen, und da gab und gibt es keinerlei Skrupel, mit diesen gewissenlosen Menschen zusammenzuarbeiten, weil sie angeblich die richtige Meinung vertreten.
Man muss bei aller Kritik an der DDR aber auch immer beachten, dass es immer noch ein normales Land und insbesondere ein deutsches Land war, genauso geprägt von der Geschichte, den Traditionen und größtenteils auch ähnlichen gesellschaftlichen Vorstellungen über zwischenmenschliches Verhalten. Der Alltag war in vielen Dingen gar nicht so anders hüben wie drüben, und in vielen Sachen waren und sind sich Ost- und Westdeutsche vermutlich ähnlicher in den Ansichten, als viele denken.
Natürlich gibt's manche Sachen in der DDR, die besser waren. Das Polikliniksystem, das ja auch in anderen Ländern existiert, funktioniert zum Beispiel für die Gesundheitsversorgung meiner Meinung nach besser als das, was wir gerade haben. Man musste keinen Hunger leiden und auch keine Angst vor Obdachlosigkeit haben. Aber ich glaube, was Deutschland aus DDR-Zeiten mehr braucht, ist eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit, die es auch schon früher in der BRD gab, die aber heute fast verloren ist.
Immer wenn es ein Vorhaben irgendwelcher Art gibt, wird es ewig lange diskutiert und zerredet. Oft stehen sich die öffentlichen Stellen sogar selber ein Bein. Da gibt's ein staatliches oder kommunales Projekt, und Gegenwehr kommt von einer anderen staatlichen oder kommunalen Stelle, die offenbar nur als Kernaufgabe sieht, das zu verhindern, anstatt zu schauen, wie man es hinkriegt. Und natürlich kommen dann noch irgendwelche Bürgerinitiativen und Lobbyorganisationen und so weiter und so fort. Irgendwann muss man da mal auf den Tisch hauen und eine Entscheidung treffen, anstatt zuzulassen, dass durch so ein Theater dafür gesorgt wird, dass fünf Jahre lang nichts passiert, aber das Projekt immer noch irgendwie als halbtotes Phantom existiert. Entweder wird's gemacht, dann krempelt man die Ärmel hoch, oder es wird nicht gemacht, dann blockiert es aber auch nicht weiter jahrelang irgendwelche Flächen oder Ressourcen, weil es ja irgendwie doch noch realisiert werden könnte.
Vor acht Jahren wurde in Berlin schon beklagt, dass der Bau einer Schule zwischen 8 und 9 Jahren dauert, und man wollte das gerne mit verkürzten Verfahren bis 2026 auf 4,5 Jahre verkürzen. Neun Jahre hat man in Berlin für Planung und Bau des Bundeskanzleramts bis 2001 gebraucht, wobei der eigentliche Bau in vier Jahren fertig war. Das ist immerhin laut Wikipedia der größte Regierungssitz der Welt. Dass man dann anstrebt, für eine lumpige Schule die Hälfte der Zeit aufzuwenden, ist für mich Irrsinn, das muss in zwei Jahren klappen. Da muss man aber auch zeitnah den Deckel drauf machen und sagen: "Jetzt ist genug genörgelt."
Und das muss halt bei vielen Sachen geschehen. Es gibt Wohnungsmangel und dort soll ein Wohnhaus hin? Dann muss das halt gemacht werden, egal ob da ein seltener Regenwurm wohnt. Verkehr würde durch eine Straßenbahnlinie entlastet werden? Dann muss das halt gemacht werden, egal ob das dann ein bisschen quietscht (moderne Straßenbahnen sind sowieso vergleichsweise leise). Kommunen sollten gleiche Verfahren und die gleiche Software benutzen? Dann muss das halt gemacht werden, auch wenn sich die Angestellten und Beamten umstellen müssen. Und da muss man für solche Bau- oder Verwaltungsvorhaben die Gesetze entsprechend anpassen und entschlacken und nicht so tun, als wären sie von Moses auf Steintafeln vom Berg getragen worden und müssten in alle Ewigkeit so beachtet werden. Und natürlich muss dieser Gesetzgebungsprozess auch entschlackt werden und nicht versucht werden, jede Eventualität durch eigene Sonderregeln zu behandeln. Und um Himmels Willen, stutzt den Datenschutz so zurecht, dass der notwendige Datenfluss zur Bearbeitung von Anliegen nicht über den Bürger laufen muss, wenn eine öffentliche Stelle die benötigten Daten hat und eine andere öffentliche Stelle sie braucht. Geht angeblich nicht? Bei der Rundfunkabgabe geht's auch, Daten einfach so weiterzugeben, also gibt's da keine Ausrede.
Erstaunlicherweise existiert diese Durchsetzungsfähigkeit durchaus: Wenn's um die Einrichtung von Flüchtlingsheimen geht, zeigen sich ungeahnte Potenziale, Nägel mit Köpfen zu machen, und das wahnsinnig schnell.