Mampf im Müll
Aufregung gibt es auch gerne über etwas, was zwar nicht absichtlich im Essen landet, aber bei der Zubereitung entsteht. Man erinnere sich hierbei an das Theater vor zehn Jahren, als schwedische Forscher festgestellt hatten, dass Acrylamid nicht nur in Ratten Krebs auslösen kann, sondern auch bei so ziemlich allem entsteht, was irgendwie mit Garen, Grillen und Frittieren zu tun hat. Es wurden eiligst Temperaturbegrenzungen eingeführt, peinlich genau wurde jedes unschuldige Lebensmittel auf seinen Acrylamid-Gehalt untersucht und insbesondere dann angeprangert, wenn es irgendwo in der Nähe der Schulkantine zu finden war. Noch heute ist das Acrylamid eine Sau, die man gerne durchs Dorf treibt, wenn es gerade keine anderen Themen gibt. Und das alles für nichts. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Acrylamid auch beim Menschen krebsauslösend wäre. In Studien stellte man sogar fest, dass die Krebsrate gerade bei den Leuten mit höherem Acrylamidspiegel im Blut geringer war – und dass das Acrylamid in der Nahrung vermutlich sowieso kaum einen Einfluss auf den Acrylamidgehalt im Blut hat. Aber erst einmal musste man ja in der Bevölkerung wieder das Gefühl schüren, dass sie mit jedem Bissen ihr Leben um ein paar Jahre verkürzt.
Inzwischen scheint es egal zu sein, was die Lebensmittelindustrie wie produziert, es gibt immer irgendwelche Bekloppten, für die das Resultat unübersehbares Anzeichen dafür ist, dass uns die Betriebe allesamt auf dem Altar des Profits opfern würden. Hier ist ein Video aus der Sendung mit der Maus über die Herstellung von Stangeneiern für die Gastronomie, damit jeder Gast – ob Maurer oder Vorstandsvorsitzender – auf seinem Essen die gleiche Portion Eiweiß und Eidotter bekommt. Die Herstellung ist simpel: Man trennt Eiweiß und Eidotter, gießt das Eiweiß in eine Form und kocht es, bis es fest ist, dann zieht man einen Bolzen aus der Form heraus und gibt das Eidotter dort hinein. Dann kocht man alles weiter, bis alles fest genug ist, um verpackt und eingefroren zu werden.
In den Kommentaren zu diesem Video bei Youtube beschwert sich jemand: „mal wieder eine ausgeburt kapitalistischem , unnatürlichen unsinns. hochinteressant.“ Die abenteuerliche Grammatik mal ganz außen vor gelassen, ist es natürlich Quatsch, einem Unternehmen vorzuwerfen, dass es Geld verdienen will (das wollen die Menschen, die dort arbeiten, schließlich auch), und auch der Vorwurf der Unnatürlichkeit könnte alles treffen, was der moderne Mensch so nutzt und konsumiert, von der Wurst über die Kleidung bis zum Computer, auf dem man Youtube-Videos über Stangeneier anschaut und sich dann darüber empört. Erstaunlicherweise schlug selbst derjenige, der das Video erst hochgeladen hatte, in dieselbe Kerbe: „McDonalds und Co. bedanken sich für immer gleiche Scheiben- und wir uns für E101- 999“, obwohl überhaupt keine Zusatzstoffe für diese Stangeneier verwendet werden. Als der Film ursprünglich in der Sendung mit der Maus lief, zeigte man sogar indigene Völker auf den Salomon-Inseln, die auf ganz ähnliche Weise Stangeneier zubereiten. So viel zur Ausgeburt des Kapitalismus.
Komischerweise scheint der Kapitalismus in der öffentlichen Meinung auf eine Sparte nicht zuzutreffen: Wer Bio-Lebensmittel herstellt, scheint gegen Kritik fast immun zu sein, zumindest wenn er nicht einfach normale Lebensmittel mit dem Biosiegel ausstattet und dann zu einem überhöhten Preis verkauft. Wenn ich nicht zu faul wäre, würde ich mich jeden Tag vor einen Bio-Supermarkt stellen und die Leute auslachen, die ihr Geld für Bio-Obst und -Gemüse zum Fenster hinauswerfen. Das Zeug schmeckt nicht besser, gesünder ist es auch nicht. Es stammt auch nicht von kleinen, beschaulichen Familienbetrieben; der Handel mit dem Bio-Krempel ist ein Milliardengeschäft, da tummeln sich große Unternehmen. Der Glaube, dass die Pflanzen im Laufe ihres Lebens nie mit Giften in Berührung gekommen wären, ist in seiner Naivität schon richtig putzig.
Kommerzielle Landwirtschaft kann niemand betreiben, ohne etwas gegen Fressfeinde und Unkraut zu unternehmen. Beim Bio-Anbau ist man in der Wahl seines Giftes allerdings auf Mittelchen beschränkt, die natürlichen Ursprungs sind. Sehr gerne nimmt man dafür Kupfer – immerhin ein Schwermetall, was auch für Menschen in höheren Dosen nicht allzu gesund ist. Moderne Pestizide und Herbizide könnten gezielter, effektiver und so auch in geringeren Mengen eingesetzt werden, aber dagegen steht ja wieder die Angst vor der bösen Chemie beim Verbraucher.
Quatsch ist die Panik allemal: Fast sämtliche Gifte in unserem Gemüse und Obst werden von den Pflanzen selbst gegen Fressfeinde wie uns gebildet. Und dennoch gibt es Leute, die bedenkenlos ihren Kindern grüne Kartoffeln (am besten noch mit Schale) vorsetzen, weil die ja angeblich so natürlich und gesund sein sollen. Gut, im Zweifel für die Angeklagten: Es kann auch sein, dass sie ihre Nachkommen einfach nicht lieben und deswegen absichtlich vergiften wollen.
Das ist für mich sowieso die Haupterklärung dafür, wieso Menschen tatsächlich Sprossen aus Bockshornkleesamen verfüttern. Nicht nur, dass auch die nicht ganz ungiftig sind und daher nur kompetent zubereitet werden sollten: Es waren solche Sprossen aus einem Bio-Betrieb, die uns 2011 die große Blutscheißerei namens EHEC gebracht haben. Angesichts der objektiv zweifelsfreien Feststellung, dass das Zeug nicht mal schmeckt, kann ich nur davon ausgehen, dass die Käufer dieses Grünzeugs finstere Absichten hegen.
Leider ist man zugegebenermaßen auch bei Lebensmitteln aus Erzeugnissen des unbiologischen Raubbaus nie vor bösen Überraschungen gefeit. Einer aktuellen Meldung zufolge hat man in China zum Beispiel fast zwei Tonnen Ikea-Schokoladenkuchen vernichtet, nachdem man in den aus Schweden importierten Backwaren Fäkalkeime entdeckt hatte. Das finde ich sehr bedenklich, aber ich glaube auch nicht, dass dort jemand mit übler Absicht in den Teig geschissen hat, weil er dachte, dass die Farbe noch nicht schokoladig genug wäre. Auch in der Lebensmittelindustrie passieren viele Fehler aus Versehen. Die Hauptsache ist natürlich, dass man die Zahl dieser Fehler minimiert und dafür sorgt, dass sie an möglichst wenig Stellen geschehen können.
Anderes passiert natürlich aus Profitgier, wenn zum Beispiel überlagertes Fleisch verkauft wird oder eher unübliche Vertreter unserer Fauna in unsere Stalltierfetzen hineingepanscht werden. Auch wenn es selbstverständlich richtig ist, dass das auch ein Resultat der „Geiz ist geil“-Mentalität sein kann, so liegt die Lösung nicht darin, dass wir einfach alle mehr bezahlen für das Essen. Wer skrupellos bescheißt, wird auch weiterhin bescheißen und seine Gewinnspanne steigern, anstatt das zusätzliche Geld für bessere Ware auszugeben. Nestlé, Ikea und die anderen Lebensmittelhersteller werden bestimmt nicht um Pferdehack gebeten haben – auch sie wurden betrogen und müssen jetzt unter großem Aufwand die Scherben aufkehren und ihren Ruf wiederherstellen.
Und dann gibt es die Dinge, die weder gefährlich für unsere Gesundheit sind noch irgendeine Form des Betruges darstellen, etwa Klebeschinken für unsere Billigpizzen. Das sind die Dinge, bei denen wir aufhören sollten, dauernd einen Skandal auszurufen und zu fordern, dass irgendwo Köpfe rollen. Wir müssen entspannter damit umgehen. Dass wir uns erlauben, einwandfreie Lebensmittel nicht etwa deswegen abzulehnen, weil sie uns nicht schmecken würden, sondern weil wir nach zehn, zwanzig Jahren herausfinden, dass die Herstellung industriell geschehen ist, damit Geschmack, Zusammensetzung und Preis nicht allzu stark variieren, ist eine Sünde an all den Tieren und Pflanzen, die wir für unsere Ernährung töten – oder für unsere Sexualität, weil wir uns gerne wie einst Mickey Rourke und Kim Basinger in „9½ Wochen“ in Lebensmitteln wälzen, bevor wir voller Wonne ein Stück Fleisch in ein anderes stecken. Bleibt dann nur zu hoffen, dass das auch möglichst keimfrei abläuft.