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Ein Feuerwerk der schlechten Laune

Im letzten Monat gab es den 21. Oktober 2015, den Tag, an dem Marty McFly die Zukunft besuchte. Seit diesem Datum spielt die komplette Trilogie in der Vergangenheit, und das ist deprimierend. Und damit meine ich nicht die Enttäuschung, dass wir immer noch Rechtsanwälte, aber keine Hoverboards haben. Dass das echte 2015 anders aussieht als im Film, dürfte für niemanden mit einem IQ oberhalb der Zimmertemperatur eine Überraschung gewesen sein. Ich rede davon, dass „Zurück in die Zukunft“ eine der wenigen modernen Science-Fiction-Geschichten ist, in denen die Zukunft relativ optimistisch geschildert wird und nicht als Vorhof der Hölle.

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Die Grundeinstellung moderner Sci-Fi.

Fast jeder andere Science-Fiction-Film heutzutage zeigt eine Zukunft, bei der ich hoffe, dass ich mir eine Kugel in den Kopf jagen kann, bevor sie eintritt. Selbst in den letzten Star-Trek-Filmen war die Zukunft eher etwas, was man zu erleiden hat. Von der eigentlich in Star Trek als Utopia beschriebenen Erde sieht man in den neuen Filmen fast nur die strammen Offiziere der Sternenflotte, ein paar üble Spelunken und allerlei übles Gerät, welches San Francisco umpflügt oder sprengt. Dass es in irgendeiner Form eine Zukunft wäre, in der es sich zu leben lohnt, kann man nicht mal erahnen. Beim alten Star Trek war fast die gesamte Galaxie lebenswert, wenn man nicht gerade einen roten Pullover trug.

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Und weil es nicht oft genug gesagt werden kann:
DAS ist mehr traditionelles Star Trek...
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... als das hier.

In anderen Filmen kämpft die Menschheit als solche dauernd um ihr Überleben. Mal geht’s gegen Killerroboter, mal geht ein wissenschaftliches Experiment furchtbar schief und droht den Planeten zu entvölkern. Gern genommen wird auch ein Schurke, der moderne Technik missbraucht, um die Menschheit zu versklaven. Wenn ausnahmsweise mal nicht die Menschheit selbst Schuld trägt, kommen Außerirdische und machen uns platt, falls nicht vorher eine Naturkatastrophe für unser Ende sorgt, weil Gaia den Menschen mal zeigen will, wer hier immer noch der Boss ist. Aber meistens muss unbedingt gezeigt werden, wie böse und unberechenbar die Technik ist und wie schuftig Wissenschaftler doch sind, weil sie unbedingt das Wissen der Menschheit vermehren wollen. Die Zukunft wird nicht zum Setting, um (bekannte) zwischenmenschliche Konflikte in ungewohnter Umgebung darzustellen, die Zukunft (und was zu ihr führt) wird selbst zum Buhmann. Und das nur, weil die Autoren glauben, das machen zu müssen, um zumindest peripher als gesellschaftskritisch zu gelten, anstatt nur schnöde Unterhaltung zu produzieren.

Diese Tendenz zum Düsteren hat aber nicht nur die Science-Fiction befallen. Oh nein, ALLES muss auf einmal pessimistisch, düster und voller Wut und Schmerz sein, weil jeder Idiot glaubt, etwas wäre tiefsinnig, wenn es schlechte Laune macht. Das beste allgemeine Beispiel für den Niedergang des Optimismus ist wohl Batman. Der freundliche, stets respektvolle und hilfsbereite Batman der 60er Jahre ist out, der Batman des aktuellen Jahrhunderts ist ein psychologischer Pflegefall, der den Tod seiner Eltern nach Jahrzehnten immer noch nicht verarbeitet hat, furchtbar grummelig ist und sein Vermögen lieber für das Ausleben infantiler Einzelkämpferfantasien verwendet, anstatt es in Gothams Verbrechensvorsorge zu investieren. Aber Hauptsache, er knabbert an seiner dunklen Vergangenheit und hat ganz dollen Seelenschmerz, dann glaubt das Publikum auch, es würde etwas Anspruchsvolles gucken.

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In den 60er Jahren konnte man auch noch ganz ungezwungen zeigen, wie lustig eigentlich das Leben im Dritten Reich war.

Inzwischen gibt es kaum eine Geschichte, in der man den Charakteren nicht allerlei seelischen Ballast aufbürdet, der zumeist auch noch ganz plump aus dem Klischeefundus von Sesselpsychologen gezerrt wurde und in seiner Gesamtheit normalerweise selbst in den Schreibstuben normaler Seifenopern als zu unrealistisch wieder in der Tonne landen würde. Es ist, als wenn die Autoren komplett vergessen hätten, dass man einem Charakter auch Tiefe und Motive verleihen kann, ohne seine Verwandten brutal abzuschlachten, ihn zu einem Vergewaltigungsopfer zu machen oder ihn in seiner Kindheit häusliche Gewalt erleben zu lassen. Und wenn die Schreibknechte sich das bei den Charakteren gerade so verkneifen, müssen sie das Umfeld der Hauptcharaktere in eine Gegend verwandeln, die eigentlich mit UN-Blauhelmen in eine entmilitarisierte Zone verwandelt werden müsste, weil Gewalt, Kriminalität und allgemeines Unbehagen gang und gäbe sind. Deswegen sind so viele Komödien ab der Hälfte ihrer Laufzeit Müll, weil spätestens dann ein absurder Plot beginnt, in dessen Verlauf man sich mit irgendwelchen Bösewichten anlegt (die vermutlich alle eine schwere Kindheit hatten). Das merkt man meistens daran, dass sämtliche Szenen im Trailer aus der ersten Hälfte des Films stammen.

Das Elend beschränkt sich aber nicht nur auf die Unterhaltungsmedien, sondern zeigt eigentlich die gewandelte Einstellung der Menschen generell. Es ist, als wenn der typisch deutsche Hang zu Weltschmerz und Miesepetrigkeit die ganze westliche Welt infiziert hätte. Und dabei hatten wir nie zuvor in der Geschichte der Menschheit so wenig Grund dazu.

Es gibt weniger Armut und Hunger auf der Welt als je zuvor. Es gibt weniger Kriege auf der Welt als in den letzten Jahrtausenden. In Deutschland wird die Wasserqualität besser, es gibt wieder Wölfe, aber weniger Schwerkriminalität, und außerdem habe ich einen Bäcker gefunden, der für seinen gefüllten Streuselkuchen echten Pudding verwendet. Und trotzdem jammern wir, als wenn die Menschheit als solches jeden Tag dem Abgrund einen Schritt näher wäre.

Einen Teil tragen sicherlich die Nachrichtenmedien dazu bei, da sich schlechte Nachrichten besser verkaufen als gute. Aber das war vor 20 Jahren auch schon so, ebenso vor 50 Jahren. Ironischerweise ist ein geschändetes und dann ermordetes Kind heutzutage genau deswegen eine größere Sensation, weil es seltener passiert als früher, aber dass es eine Sensation ist, erhöht wiederum den Panikpegel der Bevölkerung. Und das passiert nicht mal, weil es irgendeinen geheimen Plan skrupelloser Eliten gäbe, um die Menschen gefügig gegenüber den Obrigkeiten zu machen, sondern weil sich eine Zeitung mit der Schlagzeile „Kleiner Kjell gehäutet und aufgefressen!“ besser verkauft als mit der Titelseite „Uns geht’s gar nicht so schlecht“, die nicht mal die Befürchtung der Menschen bestätigt, dass die Gesellschaft immer mehr verrohen würde.

Fast schon überraschend ist, dass sich in diesem Klima die Zahl der „Die Menschheit ist der Krebs der Erde“-Prediger nicht wesentlich erhöht hat, wobei es wohl unbegründeter Optimismus wäre zu glauben, dass diese Leute im Sinne ihres Kreuzzugs für das Aussterben der Menschheit mutig schon mal den ersten Schritt gemacht haben. Nicht, dass ich all die Gemeinheiten, die der Mensch unserem Planeten angetan hat, mit dem Schleier des Vergessens bedecken möchte, aber mich stört dieser Fatalismus, der vollkommen die Möglichkeit ignoriert, dass wir Menschen durchaus schaffen können, unsere Vergehen wiedergutzumachen und vielleicht in Zukunft auch mal in der Lage sind, ein erfülltes und modernes Leben zu führen, ohne dabei Mutter Natur kräftig in den Uterus zu treten.

Das ist nicht mal so verwunderlich, denn so ein Leben ist sicherlich nicht ohne moderne Technik möglich, und die meisten dieser Leute hassen moderne Technik, abgesehen von der, die es ihnen erlaubt, ihren ganzen Weltschmerz auf Tumblr auszubreiten. Die restlichen Errungenschaften des menschlichen Geistes sind entweder mies, weil sie Menschen umbringen, oder weil sie Menschen am Leben erhalten (und somit das Elend für den Planeten verschlimmern). Und das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Ihren Lebensunterhalt verdienen sie, indem sie Science-Fiction-Drehbücher schreiben.

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