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Glaubt Gillette an das Beste im Mann?

Die „Werbung“ von Gillette ist Rotz.

Eigentlich hatte ich ja gar nicht vor, über den offensichtlichen Versuch eines Konzerns, mit geheucheltem „sozialen Engagement“ auf einen Zug aufzuspringen und sein Image aufzubessern, noch Worte zu verlieren. Allerdings werden mir in den sozialen Medien inzwischen so viele strunzdumme Kommentare präsentiert, dass in mir der Gedanke gereift ist, doch nicht zu schweigen.

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Dazu möchte ich anmerken: Ich unterstütze durchaus das Ziel, das der Werbespot offenbar erreichen soll (mal abgesehen von der Imagepflege des Unternehmens). Natürlich sollten (auch) Männer einschreiten, um Schwächere zu beschützen und sexuelle Übergriffe zu verhindern. Und natürlich sollen Männer auch mit ihren Kindern liebevoll umgehen. Die Argumentation des Spots ist allerdings idiotisch und geht deswegen auch voll am vorgeblichen Ziel vorbei. Und es ist kein Wunder, dass sich Männer davon unfair an den Pranger gestellt fühlen.

Die Macher des Clips gehen offensichtlich davon aus, dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe zwischen Raufereien in der Kindheit und antisozialem Verhalten im späteren Leben. Ebenso wird angedeutet, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen anzüglichem Humor und sexuellen Übergriffen. Kurz: Sie gehen davon aus, dass diese Sachen auf einem Spektrum lägen und sich so verstärkten, dass die schlimmen Vorkommnisse also die Folge davon wären, dass die vorgenannten Dinge nicht energisch genug von Männern eingedämmt wurden.

Es gibt keine Belege dafür, dass es tatsächlich so wäre. Im Gegenteil: Wenn das zutreffen würde, wären solche extremen Vorkommnisse wesentlich häufiger.

Jungen und Männer sind im Schnitt aggressiver als Mädchen und Frauen. Das ist biologisch begründet, wie ein Blick zu unseren nächsten Verwandten zeigt. Auch bei den Menschenaffen sind die männlichen Vertreter deutlich aggressiver als die weiblichen. Gleichzeitig sind die Männchen sowohl im Tierreich als auch beim Menschen kompetitiver. Insoweit ist „Boys will be boys“ tatsächlich eher eine Beschreibung der Realität als ein Ausdruck maskuliner Sozialisierung.

Wenn also Jungen miteinander raufen, um ihre Kräfte zu messen, ist das erst einmal nichts, was gesellschaftlich vorgegeben wird. Und solange beide ungefähr gleich stark sind, keine gefährlichen Gegenstände benutzen und sich beide darauf einlassen, so miteinander die Kräfte zu messen, ergibt sich auch kein zwingender Grund, sie zu trennen, zumal Jungs (und Männer) weniger nachtragend als Frauen sind und häufig problemlos nach einer Prügelei wieder kameradschaftlich miteinander umgehen können.

(Ich muss dazu sagen: Ich war als kleiner Junge nie so eingebunden in diese Kraftproben. Ich wollte mich nie prügeln, musste mich nie prügeln und mir wurde auch nie eingetrichtert, dass ich mich prügeln sollte. Es ist also nicht so, als wollte ich hier nachträglich mein eigenes oder das Verhalten meiner Eltern rechtfertigen.)

Nur weil jemand als kleiner Junge mit seinen Altersgenossen rauft, heißt das noch lange nicht, dass er später antisoziales Verhalten zeigen wird. Es ist eher andersherum: Kinder mit antisozialen Anlagen fühlen sich natürlich besonders zu derartigen Kämpfen hingezogen. Diese Anlagen kann man ihnen aber nicht dadurch abgewöhnen, dass man ihnen das Kämpfen verbietet. Allerdings haben auch nur 3 Prozent der Männer so eine antisoziale Persönlichkeitsstörung. (Frauen kommen übrigens auf 1 Prozent.) Da wundert es also nicht, dass die meisten Männer sich ungerecht angesprochen fühlen, wenn man wie im Werbespot eine direkte Kausalität zwischen Raufereien in der Kindheit und kriminellem Verhalten herstellt.

Zudem wirkt es hier auch etwas gezwungen, besonders die Männer in die Pflicht zu nehmen, als wäre aggressives Verhalten in Jungen in erster Linie ein Resultat ihres Umgangs: Die meiste Erziehungsarbeit wird von Frauen erledigt (wie ja auch oft beklagt wird), auch im Kindergarten und in der Grundschule sind die meisten Erzieher und Lehrer weiblich. Wieso der Spot sich bemüßigt fühlt, da ausgerechnet die Männer als Hauptverantwortliche herauszugreifen, gerade wenn die Macher so offensichtlich davon ausgehen, dass die Sozialisierung für derartiges Verhalten sorgen würde, bleibt schleierhaft.

Außerdem wäre es sicherlich angebracht, sich die Erziehung insgesamt anzuschauen. Dort kann man nämlich leicht feststellen, dass gerade in der westlichen Welt der Fokus eher darauf liegt, das Ausdrücken von Aggressionen bei Jungen zu begrenzen: „Hör auf, die Tina zu hauen“ oder „Lass den Oliver in Ruhe“ hört ein Junge wesentlich häufiger als „Dann klopp dich doch mit dem Thomas“. (Und das, obwohl Thomas zweifellos Schläge verdient hätte.) Irgendwann lernt so ein Kind im Normalfall dann auch, dass andere ebenfalls Schmerzen empfinden und man sich lieber nicht mit jemandem anlegen sollte, wenn man das Echo nicht verträgt, und dann laufen das Kräftemessen und die Hierarchieklärung auf anderen Ebenen ab, für die man dann auch über die entsprechende geistige Reife verfügt, etwa indem man versteht, dass man den anderen auch übertrumpfen kann, indem man etwas besser als er tut. (Übrigens gibt es einen weiteren Faktor, der körperliche Aggressionen zwischen Jungen reduziert: die Haltung anwesender Mädchen. Wenn zum Beispiel in Schulklassen die Mädchen eher ablehnend auf Prügeleien zwischen Jungen reagieren, gibt es deutlich weniger Dresche.)

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