Steuern auf gedachten Reichtum
Die wohl angenehmste Art, sich zur Zielscheibe anderer zu machen, ist es, außergewöhnlichen Erfolg zu haben. Besonders gut klappt das, wenn man reich wird. Noch besser klappt es, wenn man reich ist und dann noch reicher wird.
Jeff Bezos‘ Vermögen soll 2020 wegen der Covid-Pandemie um 24 Milliarden US-Dollar gewachsen sein. Oxfam vermeldete kürzlich, dass das Vermögen der Milliardäre auf der ganzen Welt im besagten Jahr um 3,9 Billionen US-Dollar angeschwollen sei. Prompt griffen viele Leute schon nach Fackeln und Mistgabeln, und Oxfam selbst fordert eine Vermögensteuer – ähnlich wie einige Parteien bei uns im Vorfeld der Bundestagswahl. Ich habe allerdings Zweifel, dass die Leute auch nur ahnen, wie schwer es ist, so eine Steuer tatsächlich gerecht zu gestalten.
Ganz grundsätzlich: Der Vermögenszuwachs von Jeff Bezos (und den anderen Milliardären) ist kein Einkommen. Bezos selbst hat von Amazon in dem Jahr „nur“ 1,6 Millionen Dollar gekriegt. Es ist nicht so, dass die Zahl auf dem Bankkonto plötzlich extrem nach oben gesprungen wäre. Hauptsächlich beruht der Vermögenszuwachs auf Steigerungen von Aktienkursen und somit einer höheren Bewertung der Aktien, die diese Leute besitzen, was wiederum heißt: Das Vermögen ist erst einmal gar nicht real.
Amazon hat von der Pandemie profitiert. Viele denken da zuerst an den Versandhandel, weil so viele Leute dazu verdammt waren, daheim zu hocken, und nicht mehr im stationären Handel einkaufen konnten. Allerdings ist der Versandhandel schon lange nicht mehr die Haupteinnahmequelle von Amazon, sondern das Cloudgeschäft. Und auch das boomte, weil dank Homeoffice der Bedarf an Online-Speichern und -Rechenleistung nach oben schoss. Das machte natürlich die Amazon-Aktie auch für Anleger interessanter. Der Aktienkurs von Amazon liegt derzeit (Anfang Juli 2021) bei etwa 3000 Euro, doppelt so hoch wie vor drei Jahren. Aber das heißt nicht, dass jede Amazon-Aktie jetzt für 3000 Euro verkauft werden könnte.
Jeff Bezos hat 2020 Aktien im Wert von 13 Milliarden Dollar verkauft (wobei auf Aktienveräußerungen auch Steuern fällig werden), wohl auch, weil er 10 Milliarden Dollar in einen Klimaschutzfonds stecken will. Würde er aber anfangen, sein gesamtes Aktienpaket zu verkaufen, würde er nicht die 200 Milliarden US-Dollar bekommen, die sein Vermögen angeblich gerade wert ist. Zunächst würde er mit der plötzlichen Verfügbarkeit seiner Aktien selbst den Aktienkurs senken, weil das Angebot über die Nachfrage steigt. Zusätzlich würden aber viele andere Inhaber von Amazon-Aktien das Vertrauen in das Unternehmen verlieren und ihre Aktien ebenfalls abstoßen wollen, was den Preis weiter nach unten treiben würde.
Wer Civilization IV gespielt hat, wird den Spruch noch im Ohr haben: „Jedes Ding ist wert, was der Käufer dafür zahlen will.“ Etwas, was es in großen Stückzahlen gibt (wie Aktien oder Beanie Babies oder Bitcoins), nach dem zu beurteilen, was das zuletzt verkaufte Exemplar eingebracht hat, setzt die Annahme voraus, dass man für jedes Exemplar einen Käufer findet, der denselben Preis zahlen würde. Das ist natürlich illusorisch. Und trotzdem tun wir so, als wenn dieser imaginäre Vermögenszuwachs aufgrund von Aktienkursen real wäre. Das wird er aber erst, wenn die Aktien auch verkauft werden – was möglicherweise wiederum die Preise beeinflusst.
Auf Facebook und 9gag habe ich häufiger Beiträge gesehen, in denen der (virtuelle) Vermögenszuwachs der Milliardäre im letzten Jahr dem (fast identischen) Vermögensverlust der Ärmeren im gleichen Zeitraum gegenübergestellt wurde, mit der unterschwelligen Botschaft: „Diese verdammten reichen Säcke haben den Armen ihr Geld weggenommen, holt das Teer und die Federn!“ Da spielt natürlich der Irrglaube rein, dass Wirtschaft ein Nullsummenspiel wäre und das, was einer gewinnt, unbedingt der Verlust des anderen sein müsse. Selbst wenn es so wäre: Der „Gewinn“ der Milliardäre ist ja erst einmal nur virtuell, insofern wäre der Verlust der Ärmeren auch nur virtuell.
Tatsächlich ist die Entwicklung aber gar nicht überraschend, denn Aktienkurse steigen oft, wenn Staaten den Sack aufmachen und Unterstützungsgelder an notleidende Privatleute und Unternehmen rausgeben, weil das natürlich die Wirtschaft stützt (die Empfänger legen das Geld üblicherweise nicht auf die hohe Kante, sondern geben es aus) und somit bei denen, die etwas anlegen können, das Vertrauen steigert, dass die Börsenkurse nicht einbrechen. Am Anfang der Pandemie sind die Kurse tatsächlich heftig abgesackt – und die oben erwähnten Milliardäre haben in dieser Periode sogar an Vermögen eingebüßt, bis die Wirtschaftshilfen kamen. (Natürlich war der Wertverlust da auch nur virtuell.) Die positive Entwicklung der Aktienkurse war kein Indiz für Ausbeutung, sondern im Gegenteil ein Symptom davon, dass man die wenig Begüterten nicht einfach am langen Arm verhungern ließ.
Will man eine Vermögensteuer auf Wertpapiervermögen erheben, stellt sich (wie immer, wenn Werte sich schnell ändern können) die Frage, was man da als Wert anrechnen will. Den Börsenwert der Aktien und Anleihen zum Jahresende? Aber was, wenn es dann im Folgejahr einen Crash gibt und das, was am 31. Dezember noch mehrere Millionen oder Milliarden wert war, zur Zeit der Steuererklärung wertlos ist? (Wirecard etwa hatte auf seinem Höhepunkt einen Börsenwert von 25 Milliarden Euro.) Will man demjenigen dann eine Steuerschuld aufbürden, die höher ist als das, was noch übrig ist? Wäre das tatsächlich gerecht? (Mal ganz davon abgesehen, dass man unterschiedlicher Meinung kann, wie gerecht es überhaupt wäre, ganz selbstverständlich eine Steuer auf Vermögen zu erheben, welches mit bereits versteuertem Einkommen aufgebaut wurde.)
Aber auch, wenn man sich von der Welt der Wertpapiere fernhält, ist „Vermögen“ gar nicht so leicht definierbar. Nehmen wir etwa Immobilien. (Ich weiß, ein aufgeheiztes Thema: Selbst Adam Smith, der Vater der Nationalökonomie, pflegte eine Abneigung gegen Vermieter und Verpächter, die er in seinem Buch „Der Wohlstand der Nationen“ eher als Parasiten charakterisierte. Deswegen rede ich erst einmal von selbstgenutzten Immobilien.)
Es gibt allerlei Adelsfamilien, die noch diverse Güter aus ihren besseren Zeiten besitzen, etwa Schlösser oder Burgen. Wie viel sind die aber wert? Nach üblichen Quadratmeterpreisen würde man sagen, sicherlich einige Millionen Euro, wenn sie nicht gerade nur noch Ruinen sind. Wenn wir aber nach „Jedes Ding ist wert, was ein Käufer dafür zahlen will“ gehen, wären die Gebäude oft komplett wertlos. Ein Schloss ist ein Geldgrab. Man muss es ständig instand setzen, die Heizkosten sind enorm, der Denkmalschutz verteuert jede Sanierung. Und kaum jemand will sich so einen Klotz ans Bein binden. Es ist kein Wunder, dass so viele Schlösser und Burgen heute Hotels oder Veranstaltungsorte sind, weil sich kaum jemand leisten kann, einfach nur selbst darin zu wohnen wie die Urahnen.
Ein Musterbeispiel dafür ist das Schloss Marienburg der Welfen. Ernst August (der Jüngere, nicht der Jähzornige) ließ 2005 Möbel und Kunstschätze aus dem Schloss versteigern, weil damit der Unterhalt des Schlosses finanziert werden sollte. Vor ein paar Jahren wollte er das Schloss für den symbolischen Preis von einem Euro an die öffentliche Hand verkaufen, weil der Erhalt des Schlosses seine Mittel übersteige. (Sein Vater legte dann ein Veto ein, weswegen es doch nicht zur Übergabe kam.) Wenn Adlige ihr Schloss lieber an den Staat verschenken würden, um sicherzustellen, dass es nicht vergammelt, wie will man es dann für die Festlegung einer Vermögensteuer bewerten?
Man muss aber nicht mal zu den großen Palästen des Adels schielen: In vielen Städten und Gemeinden sind die Immobilienpreise in den letzten Jahrzehnten explodiert. Es dürfte nicht wenige Familien geben, die vor längerer Zeit mal zu normalen Preisen ein Häuschen gebaut oder gekauft haben und nun allein dank der guten Lage Vermögensmillionäre sind. Ein Haus, das man lediglich selbst bewohnt, bringt natürlich kein Geld ein, insofern wäre eine Vermögensteuer eine Belastung, die aus anderen Quellen beglichen werden müsste. Schließlich kann man ja nicht einfach eine Ecke vom Haus oder zwei Quadratmeter vom Garten verkaufen.