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Geistiger Energiemangel

In Europa zu leben, hat einen großen Vorteil. Man hat zum Beispiel das Recht, alles zu glauben, ohne Repressionen zu fürchten. Leider erstreckt sich das auch darauf, die idiotischsten Dinge zu glauben, und dieses Recht wird viel zu oft wahrgenommen.

Besonders bei Menschen, die anscheinend im Hippiezeitalter gezeugt oder aufgewachsen sind, fallen bizarre Ideen auf fruchtbaren Boden. So glauben viele dieser Leute, man könnte mit "Lichtnahrung" seinen Lebensmittelverbrauch innerhalb von 21 Tagen auf Null reduzieren. Die Idee dahinter ist, dass man statt köstlichem Schnitzel und leckerem Schokoladenkuchen (sorry, ich hab grad Hunger...) vergeistigte Energie konsumiert (je nach religiöser Ausrichtung als Prana, Chi, Ki, die Macht, Reiki oder ähnlich bezeichnet). Das 21-Tage-Programm sieht folgendermaßen aus: In der ersten Woche nimmt man gar nichts zu sich, in der zweiten nur Wasser und Fruchtsäfte, in der dritten nur verdünnte Säfte. Danach soll man sich angeblich von dem Zwang freigemacht haben, feste oder flüssige Nahrung zu konsumieren. Die ganzen Gurus, die angeblich erfolgreich dieses Programm durchlaufen haben, essen und trinken nach eigener Aussage gar nichts, außer gelegentlich zum Spaß. Dummerweise konnten sie das vor Wissenschaftlern noch nie nachweisen, bei der Australierin Jamuheen, die als Obermutti dieser gesamten Geschichte gilt, musste ein entsprechender Beobachtungsversuch nach wenigen Tagen wegen gesundheitsbedrohlicher Dehydrierung abgebrochen werden. Was für mich eigentlich nur bedeutet: Wenn diese Menschen sich von ihrer eigenen geistigen Energie versorgen lassen müssten, würden sie verhungern.

Da die Wissenschaft dank ihrer Beobachtungen und Untersuchungen so schöne Geschichten regelmäßig ins Reich der Märchen verbannt, sind die Esoteriker schon aus Prinzip skeptisch gegen alles, was diese Spielverderber mit gutem Grund als Stand des Wissens betrachten. So wundert es nicht, dass alternative Weltbilder gar nicht dämlich genug sein können - sie werden trotzdem für bare Münze genommen. So gibt es zum Beispiel die ziemlich blöde Theorie, wonach die Erde hohl wäre, ein hoch entwickeltes Volk in dieser hohlen Erde leben würde und die Verbindungspunkte zu unserer Welt in Löchern am Pol bestehen würden. Man könnte meinen, dass diese Löcher noch kein geistig gesunder Mensch gesehen hat (und am Südpol sogar eine Forschungsstation genau dort steht, wo eigentlich das Loch klaffen müsste), würde die Glaubwürdigkeit dieser Theorie stark beeinträchtigen, aber natürlich steckt dahinter nur eine Regierungsverschwörung, wie immer.
Nach einer anderen Theorie leben wir selbst im Innern einer Hohlkugel, die Sterne sind auf eine Kugel in der Mitte der Hohlkugel gemalt, und Sonne, Mond und die Planeten kreisen um diese Himmelskugel herum. Gegen wie viele physikalische Gesetze dieses Weltbild verstößt, lässt sich gar nicht mehr zählen, auch die Entstehung so einer Welt können die Innenweltler nicht erklären.

Besonders aktiv im Verbreiten dummer Theorien ist Gernot L. Geise, der wirklich zu fast jeder blöden Idee mindestens ein Buch oder wenigstens ein Essay auf seiner Webseite geschrieben hat. Der Mensch glaubt nicht an die Evolutionstheorie oder Karl den Großen, auch nicht an das antike Römische Reich, aber dafür an Außerirdische, die die Cheopspyramide bauten, an Saurier, die zusammen mit den Menschen lebten, oder an Handys, die das Gehirn braten. Dafür ist das Ozonloch ja gar nicht so schlimm. Er pflückt sich dabei jedes Mal aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Stellen raus, die seiner Meinung nach die bekloppte Theorie bestätigen, die er grad zu seinem Lieblingsobjekt erkoren hat, der ganze Rest ist für ihn einfach nur Lug und Betrug und gar nicht nachgewiesen, umgekehrt nimmt er aber all die Dinge, an die er glaubt, als bewiesen an und setzt sie ein, um sich gegenseitig zu bestätigen. Und weil Klein-Gernot im Unterricht nicht aufgepasst hat, hat er zum Beispiel auch nie gelernt, dass der Neanderthaler kein direkter Vorfahr des heutigen Menschen ist. Als eine DNA-Analyse bestätigte, dass der gute alte Neanderthaler aus einer Nebenlinie der Entwicklung stammt, war es für ihn der Beweis schlechthin, dass die Abstammungslehre nicht stimmt. Traurig dabei: Seine Bücher verkaufen sich anscheinend prächtig, die kommerzielle Ausnutzung galoppierender Dummheit findet nicht nur bei 9Live statt.

Eines der großen Themen für Gernot Geise war aber die Mondlandungslüge. Weil man Regierungen ja so ziemlich alles zutraut, dem Menschen aber nicht, hatte jemand mal die Theorie aufgestellt, dass die Apollo-Mondlandungen im Studio gedreht wurden (später wurde daraus Area 51, man will ja möglichst viel Verschwörung mit reinkriegen) und in Wirklichkeit nie ein Mensch den Mond betrat. Mittlerweile ist diese Theorie gute 30 Jahre alt und so ziemlich jedes Argument der Verschwörungstheoretiker wurde zigfach widerlegt, was sie aber nicht daran hindert, diese Geschichte nahezu jedes Jahr mit einem neuen Buch aufzuwärmen. Plausibler wird sie trotzdem nicht, aber wer will Korrekturen schon hören, wenn man dabei einen Grund aufgeben müsste, die Amerikaner nicht zu mögen?

Manche Theorien findet man dann aber doch eher im rechten Spektrum der Gesellschaft. Alle paar Monate geht durch die Boulevardpresse eine Meldung, dass mal wieder jemand in einer Verkehrskontrolle erwischt wurde, der Führerschein und Personalausweis des Deutschen Reiches vorzeigte. Kein antikes Stück, sondern tatsächlich kleine Plastikkarten, die im Namen der "Kommissarischen Regierung des Deutschen Reiches" ausgestellt werden. Ins Leben gerufen wurde diese kommissarische Regierung von einem amtlich als geistig unzurechnungsfähig bescheinigten Rentner, der aus irgendeinem Grund der Meinung ist, die Bundesrepublik würde eigentlich gar nicht rechtmäßig existieren. Seine Legitimation bekam er durch die Amerikaner, indem er an den amerikanischen Botschafter per Einschreiben schrieb, dass er den Job gerne machen würde. Die Empfangsbestätigung und die ausbleibende Reaktion (also kein "Nein") bestätigten ihn darin, sich seine Ernennungsurkunden selbst zu schreiben und eine Reichsregierung aufzubauen, die immer noch existiert, putzige Todesurteile durch die Republik schickt und ansonsten die oben benannten Ausweise verkauft, die von den meisten Staatsanwaltschaften als Scherzartikel eingeschätzt werden. Nach diversen Abspaltungen gibt es mittlerweile aber noch mindestens drei andere kommissarische Reichsregierungen, die sich alle nicht leiden können, kräftig gegeneinander hetzen und von den Verfassungsschutzbehörden einhellig als "Spinner aus dem rechten Spektrum" bezeichnet werden.

Haunebu
Reichssuppenschüssel

Ein paar Vertreter dieser Reichsregierungen (und diverse andere stramme Neonazis) sind von einer noch viel wahnsinnigeren Geschichte überzeugt: Angeblich sollen die Nazis im zweiten Weltkrieg in Neuschwabenland (das ist in der Antarktis) eine Kolonie aufgebaut haben, die bis heute existiert und von der aus die Herrenrasse in UFOs, so genannten Reichsflugscheiben der Marke Vril oder Haunebu (in den Geschmacksrichtungen I, II oder III) durch die Welt gondelt und heimlich in der Weltpolitik die Fäden zieht. Übrigens sollen auch diverse Nazis, darunter der olle Hitler, in die Antarktis geflüchtet sein. Der Mann wäre inzwischen übrigens 117 Jahre alt, selbst seine Fans sollten ihm mittlerweile den Tod wünschen. Gerüchteweise sollen diverse Konstrukteure schließlich gegen Ende des Krieges bis zum Aldebaran geflogen sein. Man könnte sich fragen, warum Klumpfuß Goebbels bei solch beachtlichen technischen und wissenschaftlichen Leistungen nicht sofort einen Kinofilm zum Thema gedreht hat, um die Überlegenheit der deutschen Rasse zu dokumentieren. Oder warum wir eigentlich trotz dieser duften Waffen den Krieg verloren haben. Ich hingegen frage mich, warum Leute, die derartige Geschichten glauben und allen Ernstes verbreiten, um für ihre kranke Ideologie zu werben, damit anscheinend noch Erfolg haben. Es gibt zu viele Idioten auf der Welt. Und leider auch genügend Schwachsinn, mit dem sie sich beschäftigen können.

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