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Wir werden alle sterben

Gut, damit sage ich euch nichts Neues. Die Wahrscheinlichkeit des Sterbens liegt bei jedem ungefähr bei 100 Prozent, und auch wenn es mir (und wohl auch euch) bisher ganz ordentlich gelang, Gevatter Hein zu entkommen, so muss ich doch leider annehmen, dass irgendwann jeder von uns ins Gras beißt – übrigens möchte ich schon jetzt mein aufrichtiges Bedauern über euer Dahinscheiden zum Ausdruck bringen. Ihr wart bestimmt ganz tolle Menschen. Sonst wärt ihr nicht auf dieser Seite.

Die Unvermeidlichkeit des Sterbens macht es aber nicht unbedingt einfacher, diesem Thema gelassen ins Auge zu blicken. Gänzlich kontraproduktiv ist es aber, wenn Medien anfangen, uns haarklein zu erzählen, dass wir oder irgendwer in unserem persönlichen Umfeld eventuell höchst wahrscheinlich ziemlich sicher innerhalb der nächsten Woche den Löffel reichen werden. Nun ist also die Schweinegrippe die große Gefahr des Tages. In Wirklichkeit eine Art Voltron aus Menschen-, Vogel- und zwei Arten der Schweinegrippe, sollte dieser Grippevirus in Mexiko laut ersten Berichten bereits hunderte Menschen dahingerafft und tausende mehr infiziert haben. Nachdem schließlich auch in den USA die ersten Infizierten aufgetaucht sind, gab’s für die Medien kein Halten mehr: Zweifellos steht uns hier eine Pandemie bevor, jeder sollte aufpassen, wem er die Hand schüttelt oder einen bläst (gut, das ist eigentlich in jeder Situation ein guter Rat), und am besten wäre es gar, wenn wir alle Reisenden aus Mexiko in Konzentrationslager sperrten.

Beim Aufschlagen der Zeitungen kann man angesichts der Schlagzeilen à la "Todesgrippe breitet sich aus!" also nur den Eindruck bekommen, dass das eigene Ableben unmittelbar bevor steht. Vor dem geistigen Auge tauchen Bilder vom Todeskampf auf – literweise Blut aus dem Hintern, die Kotze fließt aus der Nase, die Arme fallen ab, die inneren Organe werden flüssig... und niemand kann helfen, da alle in der gleichen Lage sind; und weil deine Augen noch funktionieren, kannst du dann wenigstens deiner Familie bei ihrem Todeskampf zuschauen, während du selbst mit dem Sensenmann ringst. Das kann einem schon das Wochenende vermiesen.

Dabei sieht die ganze Sache objektiv betrachtet weitaus weniger dramatisch aus. Tatsächlich durch Laboruntersuchungen bestätigt wurden in Mexiko bisher (als ich diese Zeilen schreibe) gerade mal 19 Infizierte und sieben Tote. In den USA gibt’s 66 Infizierte und ein totes Baby. Und in Deutschland ist eine von den drei infizierten Personen sogar schon wieder gesund gewesen, als sie untersucht wurde. Drei Leute in Deutschland hatten die Grippe, wie schrecklich. Dafür muss man ja unbedingt die Titelseiten frei räumen. Die allermeisten Leute fühlen sich eine Woche lang dreckig und sind dann wieder putzmunter, und bei den Amis behielt man den Großteil der Infizierten nicht einmal im Krankenhaus. Von den gesundheitlichen Auswirkungen her ist es also für die meisten Betroffenen einfach eine stinknormale Grippe. Wenn man jetzt noch weiß, dass die normale Grippe im Jahr weltweit an bis zu einer halben Million Todesfällen beteiligt ist und allein in Mexiko schon weitaus mehr Menschen an der normalen Grippe als an der gefährlichen Mexiko-Grippe gestorben sind, möchte man so ziemlich jeden Panikmacher mit dem Gesicht in den nächsten Hundehaufen stupsen.

Das Ermüdende ist, dass diese Panik wegen der Mexiko-Grippe ja kein Einzelfall ist. Dauernd gibt’s irgendwelche Krisen, die uns angeblich unmittelbar in unserer Existenz bedrohen, und man hört nie auf, uns davon auch in Kenntnis zu setzen. Das ist eigentlich ganz natürlich: Wir wollen ja wissen, was uns gefährlich werden kann, und für die Medien ist es natürlich geiler, ganz groß mit der Schlagzeile "Wir sind verdammt! Panik!" aufzumachen, als irgendwo auf Seite 7 schreiben zu müssen: "Vermutlich wird’s nicht so schlimm." Außerdem möchte keiner in der Medienwelt der Idiot sein, der die Befürchtungen als übertriebene Mufflonkacke bezeichnet und dann ansehen muss, dass diese Befürchtungen doch Realität werden. Wenn jemand grundlos Panik verbreitet, verzeiht man ihm viel eher.

Dennoch frage ich mich, warum ich mir jedes Mal gefallen lassen muss, dass die biologische Apokalypse ausgerufen wird, wenn irgendwo jemand einen Schnupfen kriegt? Bei BSE wusste man nicht, wie die Krankheit nun wirklich auf den Menschen übertragen wird, aber jeder war sich einig, dass man nun erst mal kein Rindfleisch essen sollte – außer natürlich von arischen Rindern aus dem Vaterland. Bei SARS starben weltweit nicht mal tausend Leute – sicherlich tragisch, aber angesichts von mehreren Millionen Leuten, die pro Jahr an Malaria oder Tuberkulose sterben, wohl kaum den großen Aufriss wert, der darum gemacht wurde. Die Vogelgrippe holte man sich eigentlich nur, wenn man sich täglich in Vogelscheiße wälzte, auf toten Hühnerköpfen herumkaute und mit dem schnuckeligen Flamingo von nebenan kopulierte (ich weiß, manchen von euch fällt es sicher schwer, diesem erotischen Schnabel zu widerstehen, aber für die meisten Menschen ist das wohl – auch mangels Flamingo in der Nachbarschaft – eher unüblich). Und wieder wurde so getan, als wenn die Menschheit kurz vor der Ausrottung stünde, immer wieder auch mit dem Hinweis auf die Spanische Grippe, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs zwischen 25 und 50 Millionen Menschen tötete (mehr als im Krieg selbst umkamen) und so zeigte, dass die Natur zumindest damals noch ein bisschen effektiver Leben beenden konnte als der Mensch. (Ob sich das ändert, wenn ich die Welt mit meiner Terrorherrschaft überziehe? Lasst euch überraschen!)

Was selten erwähnt wird: Obwohl diese ganzen Krankheiten, die als Pandemiekandidaten gehandelt werden, recht hohe Todesraten haben, so werden doch weit über 90% der Infizierten wieder gesund. Selbst die Spanische Grippe, die nun wirklich deutliche Auswirkungen auf die Bevölkerungszahlen hatte, infizierte wohl eine halbe Milliarde Menschen, von denen die meisten bald wieder genesen waren. Also auch wenn eine Pandemie ausbrechen sollte, stehen die Chancen gar nicht so übel, relativ ungeschoren davon zu kommen. Das lässt sich auch logisch erklären: Eine Krankheit mit hoher Letalität würde ihre Wirte regelmäßig umbringen, bevor diese die Erreger weitergeben können. Wirkliche Sorgen würde ich mir also erst machen, wenn eine Krankheit meine Eier abfaulen lassen könnte. Oh, Moment, gibt’s schon: Mumps. Interessiert aber keinen. Können wir den Panikalarm nicht also endlich beenden?

Im zweiten Sammelband von Klopfers Web ist dieser Text in einer längeren Fassung vertreten.

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