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Feministische Linguistik

Vor kurzem musste ich für die Uni einen wissenschaftlichen Aufsatz über das Thema „Welches Genus hat ‚wer’?“ lesen. (Oh ja, mein Leben überschlägt sich vor Aufregung.) Wenig überraschend kam der Text zu dem Schluss, dass „wer“ grammatisch als männlich einzustufen sei. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, wie man zu diesem Ergebnis kommt und ob das so richtig ist – was mich wirklich nervte, war das anschließende Plädoyer, man solle doch im Namen der Gleichberechtigung auch ein weibliches Pendant zu „wer“ einführen, wobei die Autorin immerhin zugestand, dass „wie“ als naheliegende Variante bereits belegt ist. Wie leer muss das Leben einer Feministin sein, wenn sie sich vom Wort „wer“ beleidigt fühlt oder meint, nach über tausend Jahren deutscher Sprache eine Lücke entdeckt zu haben, die dringend geschlossen werden müsste? Das Wort „Feminismus“ hat auch ein männliches Genus, wäre das keine dringendere Baustelle?

Ebenfalls ein Dauerbrenner in dieser Hinsicht sind die geschlechtsspezifischen Tätigkeitsbezeichnungen. Selbst wenn es keine Rolle spielt, ob zwischen den Beinen Loch oder Lunte ist, so wird heutzutage viel zu oft erwartet, dass man umständlich von Lehrern und Lehrerinnen, Ärzten und Ärztinnen oder Schülern und Schülerinnen redet. Halt, stopp, falsch. Es muss natürlich „Lehrerinnen und Lehrern, Ärztinnen und Ärzten oder Schülerinnen und Schülern“ heißen, denn geschlechtliche Gleichbehandlung bedeutet wohl, dass die weiblichen Formen grundsätzlich zuerst genannt werden müssen. Die Sperrigkeit dieser Formulierungen und die typografische Hässlichkeit des Binnen-I sorgten in einigen Bereichen gar für alberne Ersatzwörter. So gibt’s heute vermutlich kein Studentenparlament mehr in Deutschland, sondern nur Studierendenparlamente, die die Belange der Studierenden vertreten sollen, auch wenn diese gerade gar nicht studieren, sondern zum Beispiel schlafen oder arbeiten und somit dann eigentlich in diesen Momenten eher Schlafende bzw. Arbeitende sind und sich sowieso ganz simpel selbst als Studenten bezeichnen.

Das Problem der Feministen ist das arme, unschuldige generische Maskulinum. Gerade bei Berufsbezeichnungen versorgt uns das generische Maskulinum mit einem Sammelbegriff, der sowohl männliche als auch weibliche Vertreter des jeweiligen Berufs umfasst. Grammatisch stimmt das Wort dann mit dem überein, was nur die männlichen Berufsgenossen bezeichnet, aber heutzutage ist die Unterscheidung nach Geschlechtern im Beruf zumeist so irrelevant, dass die rein männliche Bezeichnung sowieso selten gemeint ist. Wenn gesetzliche Verordnungen für Anwälte eingeführt werden, ist jedem klar, dass mit „Anwälte“ gewisse Juristen beiderlei Geschlechts gemeint sind. Es ist unnötig zu betonen, dass sie auch für diejenigen gelten, die jeden Monat bluten. Jeder erwartet in einer Liste aller Empfänger des Nobelpreises für Physik auch, dass Marie Curie genannt wird – keiner glaubt, dass hier nur diejenigen mit Sack und Flöte aufgelistet sein könnten, nur weil nicht „Physiknobelpreisträgerinnen und –preisträger“ drüber steht. Und nicht zuletzt ist es mir persönlich scheißegal, ob die Ärzte, die meinen abgehackten Arm wieder annähen, nun im Stehen pinkeln können oder nicht. Die medizinische Ausbildung ist da von wesentlich größerer Wichtigkeit, und die sollte schließlich für beide Geschlechter gleich sein.

Wer immer also die feministische Linguistik vertritt, kann eigentlich keine anderen Probleme haben, als gewaltige Minderwertigkeitskomplexe bezüglich seines Geschlechts in seiner Seele herum zu tragen (oder halt Schuldgefühle, wenn dieser jemand ein Kerl ist). Niemand sonst würde auf die Idee kommen, so viel Zeit damit zu verschwenden, unnötige Informationen in offizielle Texte zu packen, denn dann würde in der Straßenverkehrsordnung vermutlich noch verzeichnet sein, dass die Verkehrsregeln für Autos mit allen Farben von albinoblass bis zuckerrohrbraun gelten.

Eine Gleichberechtigung der Geschlechter durch das Pochen auf geschlechtspezifische Formen voranzutreiben ist zudem auch von der reinen Logik her die blödeste Vorgehensweise. Um es mal zu vergleichen: Die Rassendiskriminierung in den USA ist nicht dadurch überwunden, dass die USA jetzt einen schwarzen Präsidenten haben – sie wird dann überwunden sein, wenn es niemand mehr für nötig hält zu betonen, dass der amerikanische Präsident schwarz ist. Insofern ist unser Gewürge mit den Anwältinnen und Anwälten, Lehrerinnen und Lehrern und so weiter wohl doch eher ein Schritt zurück.

Wenn es darum geht, sich vom Sprachgebrauch in seinem Geschlecht angegriffen zu fühlen, fällt mir immer ein weiteres Phänomen auf: die Empörung von Frauen, denen irgendwelche Halbaffen hinterher rufen, dass sie schöne Titten (oder einen heißen Knackarsch) hätten. Was für eine Beleidigung. Ich gerate auch immer total in Rage, wenn Frauen mir auf der Straße im Vorbeigehen mitteilen, dass sich in meiner Hose ein wirklich geiler Schwanz befände. Okay, das ist gelogen. Erstens passiert so etwas nie, und zweitens wäre ich eher irritiert als sauer und würde meinen Reißverschluss auf seine Unversehrtheit prüfen, während sich tief in mir wohliger Stolz ausbreitete.

Ganz ehrlich, Mädels: „Geile Titten!“ mag nicht gerade das romantischste Kompliment auf dem Erdenrund sein, aber wer sich davon angegriffen fühlt, wurde vermutlich noch nie als „fettes Schwein“, „flachbrüstige Missgeburt“ oder „strunzdummes Ohrfeigengesicht“ bezeichnet. Das sind echte Beleidigungen, und die Zielscheiben dieser Bosheiten haben tatsächlich mehr Mitgefühl verdient als irgendwelche Mimosen, die in die Luft gehen, wenn ihnen die Formschönheit ihrer Brüste oder ihres Pos attestiert wird.

Ich kenne natürlich den Einwand, den einige jetzt gerne vorbringen würden: „Ich möchte nicht als Objekt betrachtet werden!“ Wer so argumentiert, hat wohl noch nie genau darauf geachtet, wie echte Objekte behandelt werden. Mein DVD-Player ist ein Objekt, und ich schwöre hiermit aufrichtig, dass ich ihm bisher weder Komplimente über seine schönen Titten gemacht habe (gut, wäre auch nicht die ganze Wahrheit) noch es irgendwie in Betracht ziehe, ihn persönlich durch Zuruf von der Qualität seines Aussehens zu unterrichten. Noch ist mein Vertrauen in die Welt groß genug um zu glauben, dass mein Verhalten eher die Regel als die Ausnahme ist und auch der Rest der Menschheit vermeidet, mit Objekten über deren Mammae zu reden.

Ich möchte gar nicht abstreiten, dass „Schöne Titten!“ tendenziell eher eine oberflächliche und wenig subtile Bewertung darstellt. Aber wir reden hier immerhin über etwas, was irgendwelche fremden Leute vom Baugerüst, von der anderen Straßenseite oder aus einem 3er BMW heraus rufen. Mehr als eine oberflächliche Einschätzung sollte man da nicht erwarten, denn die ganzen guten Charakterzüge wie Ehrlichkeit und Humor sind schließlich ebenso wenig von außen erkennbar wie die wohltätigen Bemühungen in der Freizeit, zum Beispiel die ehrenamtliche Mitarbeit im Tierheim oder die Mithilfe bei der Kastration von herumstreunenden Waisenkindern. „Schöne Titten!“ ist angesichts dieser Voraussetzungen doch durchaus als eine Bestnote anzuerkennen – auch wenn dieser Triumph sicherlich dadurch geschmälert wird, dass diese Wertung von jemandem kommt, der aufrichtig davon überzeugt ist, mit solchen plumpen Anmachen eine Dame zum Geschlechtsverkehr überreden zu können. Das ist allerdings keine Herabwürdigung der Frauen, sondern eher eine der Männer.

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