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Die Leute wollen beschissen werden - Solarstraßen

Ich bin ein großer Freund von Technologie und Zukunftsvisionen, und daher freue ich mich eigentlich über viele neue Ideen, die in die Welt gesetzt werden und mithilfe des Internets bekannt oder sogar erst finanziert werden. Aber leider gibt es auch eine Welle an Ideen, die einfach unmöglich, unpraktisch oder entsetzlich ineffizient in der Umsetzung wären, allerdings trotzdem gehypt werden, als würde die Rettung aller Probleme der Menschheit darin stecken.

Das muss aufhören, und deswegen werde ich in unregelmäßigen Abständen Beiträge posten, die sich mit jeweils einer dieser Ideen befassen und darlegen, wieso sie unsinnig sind. Den Anfang machen Solarzellen als Straße. (Ich weiß, dass Thunderf00t, Dave vom EEVblog und andere sich darüber schon ausgelassen und allerlei Dinge durchgerechnet haben, und viele der Argumente in meinem Text konnte ich auch deswegen gut in Worte fassen, weil diese Menschen die Vorarbeit geleistet haben. Allerdings schadet ein zusätzlicher Text ja auch nicht. Ich lade dennoch jeden dazu ein, sich die Videos dieser Youtuber mal anzuschauen.)

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Der Anfang des Hypes geht auf eine Crowdfunding-Kampagne eines Ehepaars aus Idaho zurück, das Geld einsammelte für „Solar FREAKIN‘ Roadways“, genauer für Photovoltaik-Platten, die statt Asphalt auf den Straßen eingesetzt werden sollen, Strom generieren, im Winter durch den Strom über Heizelemente Schnee und Eis schmelzen und außerdem mit kleinen LEDs flexible Straßenmarkierungen ermöglichen sollen. Es klang wie Science-Fiction, und wie sich herausstellt, ist es das auch. Trotzdem sammelte es Millionen Dollar per Crowdfunding ein, zusätzlich auch noch staatliche Subventionen.

Das war allerdings nicht das einzige Projekt dieser Art. In den Niederlanden gibt es einen 83 Meter langen Solar-Radweg, der für 3,5 Millionen Euro gebaut wurde. In Frankreich hat man eine Solarstraße durch ein Unternehmen namens Wattway bauen lassen, welches im Anschluss auch an weiteren Orten (auch wieder in den Niederlanden) kleine Teststrecken errichtet hat, natürlich auch wieder großzügig mit öffentlichen Geldern unterstützt. China hat ebenfalls eine Solarstraße gebaut, aber die ist kurze Zeit nach der Eröffnung so kaputtgegangen, dass man zunächst dachte, Diebe hätten Paneele geklaut.
Und nun hat auch Deutschland seine erste Solarstrecke, 90 Meter lang und sündhaft teuer – der Projektleiter will nicht verraten, wie hoch die Kosten liegen, aber sein Ziel liegt darin, 250 Euro pro Quadratmeter zu erreichen, er liegt also derzeit weit höher.

Es wird jede Menge Geld für dieses Projekt verbraten – auch Steuergeld. Und das für eine Idee, die auf den zweiten Blick schwachsinnig ist.

Das größte Grundproblem dieser ganzen „Solarzellen als Straße“-Idee: Flach auf dem Boden liegende Solarpaneele sind gegenüber Solarpaneelen, die zur Sonne gewinkelt sind, entsetzlich ineffizient. (Und damit ist noch nicht mal irgendwas darüber gesagt, dass die Oberfläche für den Straßeneinsatz zusätzliche Eigenschaften erfüllen muss, die die Effizienz noch einmal senken.) Im Vergleich zu einem angewinkelten Solarpaneel auf einem Dach erzeugt ein flach liegendes Solarpaneel in unseren Breitengraden gerade mal die Hälfte des Stroms.

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Das angewinkelte Paneel wird trotz gleicher Fläche von viel mehr Licht getroffen als das flache Paneel.

Bei uns in Europa (wie auch in den USA) steht die Sonne nie im Zenit, daher wird ein flach auf dem Boden liegendes Solarpaneel niemals den optimalen Winkel haben, um möglichst viel Sonnenlicht aufzufangen. Ein angewinkeltes Solarpaneel wird diesen optimalen Winkel (also 90° zum Sonnenlicht) zwar auch nur selten haben, aber dem Sonnenlicht dennoch mehr Angriffsfläche bieten.

Jetzt gibt es Leute, die sagen: „Ja, aber die technologische Entwicklung wird doch voranschreiten und Solarzellen werden in Zukunft viel effizienter sein!“ Das mag sein, allerdings werden durch die gleiche Entwicklung die Solarpaneele auf dem Dach ebenfalls um den gleichen Faktor effizienter. Der Vorsprung der angewinkelten Solarpaneele wird also nie deutlich kleiner werden als jetzt. Und wir haben noch reichlich Dachflächen übrig, bevor wir darauf zurückgreifen müssten, die Straßen mit Solarzellen zu pflastern, die dann auch noch wesentlich teurer sind als normale Solarpaneele.

Dazu kommt, dass richtige Straßen sehr große Belastungen aushalten müssen. Es fahren dauernd tonnenschwere Gefährte darüber (was übrigens auch nicht gut für den Strom-Ertrag ist, weil die ja das Sonnenlicht abblocken), kleine Steinchen in den Reifenprofilen und Hagelkörner zerkratzen die Oberfläche. Zudem darf die Oberfläche wiederum nicht zu glatt sein, sonst rutschen bei jedem Regen die Autos über die ganze Fahrbahn. Das ist eine Herausforderung für Materialien (wie Glas), die zum Teil optisch möglichst durchlässig sein müssen, und das auch noch idealerweise über Jahrzehnte.

Ein zusätzliches Problem gibt es, wenn wie bei den Solar Roadways aus den USA kleinere, feste Module benutzt werden. Denn wenn Autos darüberfahren, kann es passieren, dass ein Modul wippt, weil die Belastung für kurze Zeit nur am Rand wirkt, und dann der Untergrund unter den Rändern der Module Lücken bildet, in die dann bei ungenügender Versiegelung auch Wasser eindringen kann, was den Untergrund noch weiter ausspülen kann, und irgendwann sackt die Fahrbahndecke ab und alle weinen.

Zusätzlich muss die Infrastruktur bedacht werden: Neben der Straße müssen Leitungen und Steuerelektroniken verlegt werden, für die dann aber auch Wartungszugänge vorgehalten werden müssen, zudem muss darauf geachtet werden, dass die Abwärme sich dort nicht staut, wenn das unterirdisch passiert. Andererseits dürfen heftige Regenfälle und Tauwasser ihnen nichts anhaben, von Dieben ganz zu schweigen.

Für die zusätzlichen Funktionen sieht es ebenfalls schlecht aus. Leuchtende LEDs aus einem sehr flachen Winkel aus einer Entfernung von 20 Metern sehen zu wollen, zumal wenn sie unter Glas sind, ist nachts schon etwas optimistisch und am hellen Tag aussichtslos. Außerdem darf man sich fragen, wieso der (sowieso schon spärliche) Strom aus den Solarzellen dann auch noch für die LEDs verschwendet werden soll.

Noch schlimmer wird’s für die Heizfunktion. Es hat seinen Sinn, dass Schneepflüge den Schnee wegschieben, anstatt ihn zu schmelzen. Und das weiß eigentlich jeder, der schon mal einen Schneeball geformt hat. Es ist leichter, den Schneeball wegzuwerfen, als ihn aufzutauen. Die Energie, die nötig ist, um ein Kilo Eis in ein Kilo Wasser umzuwandeln, ist viel höher als die Energie, die man braucht, um ein Kilo Eis zwei Meter weit zu bewegen. So viel können die Solarzellen gar nicht so schnell liefern (zumal sie an Effizienz verlieren, wenn sie zu warm werden, was die Idee, Heizelemente einzubauen, noch mal etwas unsinniger erscheinen lässt), man müsste sie also von außen mit viel Strom versorgen, weswegen diese Straßen wohl kaum ein Rückgrat der Energieversorgung werden können, da sie den Stromverbrauch im Winter noch erhöhen und somit auch den Bedarf an anderen Energiequellen.

Der deutsche Solar-Radweg, der oben erwähnt wurde, ist laut Spiegel.de-Artikel 90 Meter lang, 200 Quadratmeter groß und soll angeblich im Jahr 16.000 Kilowattstunden Strom liefern. (Die Solaroad in den Niederlanden hat mit 72 Metern Länge 9.800 Kilowattstunden im Jahr geschafft.) Das sind pro Quadratmeter und Jahr 80 Kilowattstunden. Die Erzeugung einer normalen Kilowattstunde Solarstrom kostet zwischen 8 und 12 Cent (je nachdem, ob sie aus teureren Kleinanlagen oder aus Großanlagen kommt). Das heißt, ein Quadratmeter dieses deutschen Radwegs erzeugt im besten Fall Strom im Wert von etwa 9,60 Euro im Jahr. (Der Rest des Strompreises entfällt auf Steuern, Umlagen, Netzentgelt, Vertrieb usw., deswegen wäre es nicht korrekt, hier mit den ca. 30 Cent pro kWh zu rechnen, die ein Endverbraucherhaushalt bezahlt.) Ich bin bei der Berechnung noch sehr großzügig, weil der erzielbare Verkaufspreis an der Strombörse deutlich niedriger sein wird, gerade zu Zeiten, wo die Sonne scheint, viel Solarstrom in die Netze drückt und deswegen verschenkt oder gar zu einem Negativpreis abgegeben werden muss, damit man Abnehmer dafür findet und die Stromnetze nicht überlasten.

Bei anvisierten Baukosten von 250 Euro pro Quadratmeter würde es bei 9,60 Euro pro Jahr über 26 Jahre dauern, um allein die Ausgaben für die Installation wieder reinzukriegen. Wartung und Reparaturen sind da noch gar nicht enthalten. Für normale Solarzellen rechnet man mit einer Lebensdauer von etwa 20 Jahren. Ich denke, es wäre sehr optimistisch zu glauben, dass Solarzellen, auf denen man fährt, auch nur annähernd so lange halten. (Der Radweg in Holland musste innerhalb des ersten Jahres schon repariert werden. Der kostete übrigens über 1000 Euro pro Quadratmeter.) Es würde sich also für jede Gemeinde vermutlich finanziell eher lohnen, einen Radweg zu asphaltieren und mit (angewinkelten) Solarzellen zu überdachen, als diesen Unsinn mit den Solarzellen, auf denen man fährt, zu bezahlen. In Südkorea gibt es so einen Radweg bereits.

Mittlerweile ist zumindest auf vielen Websites, die sich mit Ingenieurwesen im weiteren Sinn befassen, der Hype um die Solarstraßen deutlicher Skepsis gewichen, auch weil die Ergebnisse der ersten Testprojekte die Berechnungen der ersten Skeptiker bestätigten und sich die Vorreiter (die Amerikaner mit ihrem krawall-artigen „Solar FREAKIN‘ Roadways“-Video) besonders blamierten: Ihre 14 Quadratmeter große Testfläche in Sandpoint, Idaho, war handwerklich äußerst fragwürdig zusammengebaut, gleich am Anfang waren die LEDs der meisten Module kaputt, zunächst wurde gar kein Strom erzeugt (heute immerhin um die 0,25 kWh pro Tag), sämtliche Module wurden inzwischen ausgetauscht, der Stromkasten fing Feuer – oh, und weil die Strecke in einer Fußgängerzone auf einem Platz in der Mitte der Stadt liegt, fahren da nicht mal Autos drüber.

Ich hatte daher gehofft, dass Deutschland sich aus diesem Blödsinn heraushalten könnte, wenigstens sobald es darum geht, viel Geld für so eine Idee zu versenken. Aber man soll nie die Dämlichkeit der Leute unterschätzen.

Nachtrag: Ein Beitrag der Tagesschau gibt an, dass für den deutschen Solar-Radweg sogar nur ein jährlicher Ertrag von 12.000 kWh erwartet wird. Sollte man irgendwann einmal Baukosten von 250 Euro pro Quadratmeter erreichen, würde man so bei einer angenommenen Laufzeit von 20 Jahren auf einen Erzeugungspreis von 20,83 Cent pro Kilowattstunde kommen. Das ist ein Preisniveau, welches wir bei Photovoltaik eigentlich bereits 2012 hinter uns gelassen haben.

Nachtrag 2: Der deutsche Solar-Radweg ist im Frühjahr 2019 wegen eines Schwelbrands außer Betrieb genommen worden. (Fotos von Anfang August 2019 hier.)
Das 1 Kilometer lange Testprojekt von Wattway in Frankreich ist ebenfalls gescheitert - die Oberfläche hat die Belastung durch Verkehr und Wettereinflüsse nicht verkraftet.
Bei einer der SolaRoad-Strecken in den Niederlanden sind nicht mal mehr die Solarzellen als solche zu erkennen, inzwischen mussten die sogar mit Stahlplatten abgedeckt werden.

Nachtrag 3: Im Oktober 2019 vermeldete der WDR, dass der Solar-Radweg in Erftstadt endgültig wieder abgebaut wird.

Nachtrag 4: Die Aachener Nachrichten melden im Januar 2020, dass der Erbauer Solmove und die Stadt Erftstadt sich vor Gericht zanken, weil die Stadt die Verträge gekündigt hatte und der Erbauer bezweifelt, dass die Kündigung rechtmäßig war. Der Solar-Radweg bleibt vorerst (als Beweismittel), aber Gummimatten liegen auf den Solarmodulen.

Nachtrag 5: Auch Extra3 hat sich mit dem Solar-Radweg in Erftstadt befasst.

Nachtrag 6: Im Jahr 2024 ist der Solar-Radweg in Erftstadt zurückgebaut. Die Glassplitter der Solarmodule stellten eine Gefahr für Radfahrer dar.

Im nächsten Teil dieser Artikelreihe geht es um "Hyperloop".

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