Die pure Verzweiflung
Nuff! Ich grüße das Volk.
Trotz des Erfolgs von Amazon kennen viele von euch sicherlich noch ein paar der alten Versandhäuser, die einem früher (tw. bis heute) regelmäßig dicke Kataloge ins Haus schickten, damit man in Ruhe durchs Angebot stöbern kann, welches mindestens zu drei Vierteln aus Damenmode besteht. Nicht alle der alten Häuser haben überlebt. Den Otto-Versand gibt es noch und er ist sogar relativ erfolgreich, Quelle ist hinüber (die Marke gehört heute zu Otto), Neckermann ist auch dahingeschieden (die Marke gehört ebenfalls zu Otto), Bader schlägt sich hingegen noch ganz wacker.
Was mich besonders überrascht: Klingel aus Pforzheim gibt es auch noch. Das überrascht mich deswegen so, weil die seit Jahren in ihren Werbebemühungen so verzweifelt rüberkommen, als müsste man jeden Tag mit der Schließung rechnen, wenn nicht ein bisschen Geld reinkommt. Es ist eigentlich sowieso überfällig, dass ich darüber schreibe, aber der letzte Werbebrief, den sie an meine liebe Mama schickten, war wieder so ein Höhepunkt der Verkrampftheit, dass ich es nicht weiter aufschieben kann.
Das Elend fängt schon beim Umschlag in Signalfarbe an.
Das fette "WICHTIG" ist noch das Dezenteste, weil unter dem Logo des "Klingel Paketdienstes" schon angedeutet wird, was für eine fette Beute da auf den Empfänger wartet und wie sehr sich der Versender ein Bein rausreißen möchte, um dem Kunden eine Freude zu bereiten. Sehr schön auch die Akzentuierungen mit gefälschtem Fineliner, die wohl eine besondere persönliche Behandlung andeuten sollen. Darauf weist auch der innige Wunsch hin, dass die sich doch auf den 600 Kilometer langen Weg machen möchten, um ein Präsent loszuwerden. Klingel schafft es tatsächlich, die Werbepost so zu personalisieren, dass trotzdem kein Zweifel daran bleibt, dass hier nur eine seelenlose Maschine im Akkord Informationen aus der Kundendatenbank verarbeitet.
Die Rückseite ist natürlich ebenso gelungen. ">>DRINGEND!<<" mahnt die Lasche, und ein riesiges Feld spoilert schon, was für tolle Sachen einem im Inneren angeboten werden. Man wird zur Eile gedrängt, denn es warten im Inneren nicht nur allerlei Zettel; auf der Innenseite des Umschlags ist auch ein "fantastisches Angebot". Das ist gar nicht so fantastisch. Es gibt einen kleinen Schminkspiegel nebst Kunstlederportemonnaie für 14,99 Euro und einen Kunstledersack (soll eine Handtasche sein) für 19,99 Euro. Angeblich 50% Rabatt, aber das sagt einem eigentlich nur, dass die ganz schöne Halunken wären, wenn sie den Vollpreis tatsächlich verlangen würden.
Egal, widmen wir uns dem reichhaltigen Inhalt! Den Anfang macht das geradezu aufpeitschend formulierte Anschreiben von Robert Klingel höchstpersönlich, natürlich mit "EILIGE NACHRICHT!" versehen.
Der Herr Klingel scheint den Schockfaktor von Werbebriefen ein wenig zu überschätzen, aber ist es nicht schön zu erfahren, dass ein Paketbote schon heftig mit den Füßen scharrt, um seine herrlich ineffiziente Arbeit zu erledigen?
Ja, es gibt ein Geschenk! Oder viel eher ein Geschenk*. Das Sternchen ist wichtig, wisst ihr? Das informiert einen nämlich darüber, dass das nur in Verbindung mit einer Bestellung ab 40 Euro Warenwert gilt. Und nur solange der Vorrat reicht. Zu den Geschenken* komme ich noch, aber ihr seid bestimmt jetzt schon bis zum Zerreißen gespannt.
Nein, ist es denn die Möglichkeit? Eine Glotze kann man auch gewinnen! Donnerwetter, die sind ja richtig freigiebig da in Pforzheim. Fast so, als müssten sie ihre Kunden mit einer albernen Tombola dazu überreden, bei ihnen zu bestellen.
Und wie ein Marktschreier, der immer noch eine Banane ins Publikum wirft, gibt's noch ein weiteres Gewinnspiel, bei dem man richtig Geld gewinnen kann. Da schämt sich ja bald sogar der Weihnachtsmann bei so viel Großzügigkeit.
Fast schon schamhaft versteckt sich am Ende der Hinweis darauf, dass Klingel immer noch ein Versandhandel ist und der ganze Zweck dieses Klimbims der ist, dass man gefälligst etwas bestellen und bezahlen soll. Aber um das nicht zu sehr in den Vordergrund treten zu lassen, mahnt Robert, die ganzen Gewinnlose am besten noch per Zeitmaschine in die vorige Woche nach Pforzheim zu schicken, damit man dort gar nicht mehr so lange warten muss, um das ganze edle Geraffel endlich nach Berlin zu senden.
Wenn man aus den Formulierungen "gleich", "noch heute" oder "so schnell wie möglich" auf den ganzen beigelegten Zetteln ein Trinkspiel machen würde, müsste man prophylaktisch im Katalog gleich mal zu der Seite mit den Spenderlebern blättern. Die angebotenen Schnäppchen sind natürlich billigster Plunder, den man vermutlich für zehn Euro pro Container aus China kriegen kann.
Die Texte haben sie schon erwähnt: die Glücksmarken. Und Klingel scheut da wirklich keine Mühen: Bei jedem zweiten Werbebrief sind solche Rubbellose dabei (die Alternative sind übrigens gerollte Lose auf buntem Papier, so wie auf dem Rummel). Und jedes Mal soll man die Lose mit total zufällig ausgelosten Glückscodes abgleichen. Meine liebste Mutter erhält diese Bettelbriefe schon seit über einem Jahrzehnt, und ich hab noch nie erlebt, dass sie mal Nieten gehabt hätte, die ihr die Teilnahme an auch nur einem der Gewinnspiele verwehrt hätten. (Die Rubbelfelder hier sind auch noch ziemlich armselig, sodass man die Nummern darunter auch so erkennen kann.)
Sehr schön auch der Hinweis auf die "Kontrollierte, einmalige Ausgabe von 3 Wertmarken auf den Namen von: Frau Schmidt". Ist doch beruhigend zu wissen, dass sie höchste Aufmerksamkeit walten lassen, um meiner Mama nicht versehentlich zwei gleiche Briefe zu schicken.
Dann schauen wir uns mal das Geldgewinnspiel an. Das edle Zertifikat dafür steht nämlich direkt unter dem Anschreiben und tut so, als wäre es eine offizielle Bekanntmachung für... nun ja, für nichts eigentlich.
Es sagt nicht, dass man etwas gewonnen hätte, sondern nur, dass man an der Verlosung diverser Geldpreise teilnehmen darf. Man stelle sich mal vor, man würde in Lottoannahmestellen die Kunden mit Fanfaren und Konfetti begrüßen, die tatsächlich die Möglichkeit haben, einen Lottoschein auszufüllen und abzugeben.
Dann schauen wir uns doch mal die genialen Geschenke* an, von denen man eins kriegen kann.
Ist jetzt nicht unbedingt das, was dem kleinen Jesuskind an der Krippe dargeboten wurde. Ein paar Frotteefetzen, ein Satz mikrowellengeeigneter Plastikschalen, eine Decke, eine Kaffeemaschine (weiß der Geier, was daran luxuriös sein soll), ein Wasserkocher und eine Küchenwaage. Auch hier wurde wieder keine Mühe gescheut, an jedes "Geschenk" oder "Gratis" ein Sternchen ranzudengeln, welches auf die vielfältigen Bedingungen hinweist.
Die Sorgfalt setzt sich nicht im Kleingedruckten fort, immerhin wird hier nur von "4 beschriebenen Geschenke[n]" geschrieben. Aber das Prinzip ist das Gleiche wie immer: Den etwas teureren Tand gibt's für den 50., 100., 150., 200. oder 250. Besteller, der Rest kriegt eine Fleece-Decke.
Ein Klassiker, der in anderen Klingel-Werbebriefen immer wieder auftaucht, ist übrigens das "elektronische Geschenk* mit LCD". Da wird dann geworben mit Fernsehern, Tablets und Laptops, aber die meisten kriegen nur einen schnöden Billigwecker aus Fernost, der von den Kindern zusammengebaut wird, die zu doof oder zu undiszipliniert für eine iPhone-Fabrik sind.
Eigentlich sollte ich jetzt zum Fernseher kommen, aber den heb ich mir für den Schluss auf, also komm ich noch mal auf den armen Paketboten zurück, der derzeit noch in Pforzheim in seinem Stall angekettet ist und sich nichts sehnlicher wünscht, als ein Päckchen nach Berlin zu tragen (und dann vermutlich rasch über die polnische Grenze in die Freiheit zu entfliehen). Offenbar reicht es aber für den Beförderungsauftrag nicht, einfach nur was zu bestellen. Nein, wenn ein Geschenk* dabei ist, muss der Kunde natürlich auch noch eine Einwilligungserklärung ausfüllen! Da finden wir übrigens auch die auf dem Umschlag erwähnte Wegbeschreibung, die komplett nutzlos sein dürfte, um eine Adresse in irgendeiner Stadt zu finden, geschweige denn eine in Berlin.
Damit der Paketbote nicht unmenschlich lange warten muss, legt Klingel auch gleich einen Rückumschlag bei. Und auch der ist so zurückhaltend und dezent gestaltet, dass man ihn fast Donald nennen will.
Da wird groß gepetzt, was sich in dem Umschlag so alles verbirgt, so als ob die Postangestellten sich auch nur einen Furz dafür interessieren, was sie da groß befördern. Und garantiert wird keiner von ihnen so einen Umschlagaufdruck zum Anlass nehmen, sogleich den Firmenporsche aus der Garage zu holen, um den Brief höchstpersönlich mit der größtmöglichen Geschwindigkeit ins Klingel-Hauptquartier zu befördern.
Kommen wir nun aber zum Prunkstück: dem 55-Zoll-LCD-Fernseher! Der Zettel informiert uns freundlicherweise darüber, dass der Fernseher ein prachtvolles Design hat (nun ja, großes Display in einem Gehäuse, so viel kann man da nicht verkehrt machen) und ein echter Blickfang ist... was ja irgendwie für einen Fernseher auch eine Grundvoraussetzung ist.
Lasst euren Blick aber auch ruhig mal auf die rechte Seite schweifen: "VERPACKUNGSMUSTER BEIGELEGT FÜR DIESEN FERNSEHER IM WERT VON 1.099.- €!" verkündet ein roter Kasten. Uiuiui! Klingel hat wirklich ein Muster der Verpackung des Fernsehers in den Umschlag gesteckt. Was wird es wohl sein? Wird der Fernseher in einer Marmortruhe transportiert? Oder harrt er in einer Umhüllung aus edlem Mahagoniholz auf seine Beförderung?
Nein, es ist schnöde Pappe.
Für die Leute, denen gerade entfallen ist, wie sich Pappe anfühlt, hat Klingel tatsächlich extra ein Stück davon beigelegt. Und wenn die Fingerkuppen zart über diese Pappe streichen, fällt es einem wirklich nicht mehr schwer, sich einen Fernseher im Wohnzimmer vorzustellen. Man wünschte fast, sie hätten noch eine Pappe beigelegt, damit man sich auch einen Blu-ray-Player vorstellen kann.
Das Fazit dieser ganzen Werbebotschaft ist klar: Da ist jemand zutiefst verzweifelt. Selbst Cracknutten bieten ihre Dienste würdevoller an (hab ich gehört ), und ich mach mir dann doch ein bisschen Sorgen um Klingel.
Immerhin hat die Klingel-Gruppe laut Eigenauskunft 2000 Mitarbeiter und ist einer der größten Arbeitgeber in Pforzheim, und jeder Satz ihrer Werbeschreiben erweckt den Eindruck, als wenn bei denen die Hütte brennt. Falls es nicht so sein sollte, ein kleiner Tipp an Robert Klingel: Setz bitte deinen Werbechef wieder auf dem Rummel an der Losbude ab, an der du ihn aufgelesen hast!
Nachtrag: Im nächsten Katalog von Klingel war ebenfalls ein Gewinnspiel, welches ich auch im Blog würdige.
Kleine Werbe-Anmerkung in eigener Sache: Anfang des Monats ist die neue offizielle Biografie der Die Ärzte erschienen. Falls ihr damit liebäugelt und das dann auf Amazon bestellen würdet, wäre es superschnuffig von euch, das über diesen Link zu erledigen.
Mitglied
Ach du große Scheiße. Also ich habe ja schon eine Menge Drogen genommen aber selbst im schlimmsten Rausch wäre ich nicht auf so eine Werbeidee gekommen