Klopfer im Versicherungsbüro
Allen Lesern wünsche ich ein frohes Osterfest! Genießt die Feiertage und lasst euch die Leckereien schmecken!
Melanie tippte gerade einige Zahlen in ihren PC ein, als sie die Tür ihres Büros hörte. Verwirrt blickte sie zum Eingang, denn sie hatte überhaupt keinen Besucher erwartet. Doch da stand ein großer Hase und schaute sie erwartungsvoll an.
»Gibt’s doch nicht«, keuchte Melanie baff.
»Wäre es nicht angebrachter, ›Guten Morgen‹ zu sagen?«, fragte der Hase.
»Äh … Guten Morgen.«
Der Hase blickte auf die Uhr.
»Etwas spät für einen guten Morgen, es ist 15 Uhr!«, tadelte er.
»Aber Sie haben doch ›Guten Morgen‹ gesagt«, stammelte Melanie.
Der Hase hob eine Augenbraue. »Wollen Sie mir jetzt etwa einen Strick daraus drehen, nur weil ich die Zeiten durcheinandergebracht habe?«
»Nein, nein«, versicherte Melanie, »Was kann ich für Sie tun?«
»Zunächst wäre es sehr reizend, mir etwas zu trinken anzubieten. Ich muss sagen, der Service lässt doch etwas zu wünschen übrig.«
»Oh, Entschuldigen Sie, was kann ich Ihnen anbieten? Wasser? Kaffee? Cola? Zitronenlimonade eines Markenherstellers, den ich hier zwecks Vermeidung von Schleichwerbevorwürfen nicht näher benennen kann?«, bot Melanie peinlich berührt an.
»Ich nehme die Limonade, vielen Dank.«
Melanie stellte mit zitternden Händen ein Glas auf den Tisch und füllte es mit dem sprudelnden Getränk. Die Flasche setzte sie daneben ab und sich selbst wieder hinter den Schreibtisch. Der Hase nahm einen großen Schluck.
»Und nun, was kann ich sonst noch für Sie tun?«, fragte Melanie wieder.
»Sie sollen meine Eier versichern«, forderte der Hase selbstbewusst.
»Bitte was? Herr …«
»Klopfer. Ich heiße Klopfer. Und Sie sollen meine Eier versichern. Nicht lange, nur für ein paar Tage«, präzisierte das Langohr seine Forderung.
»Das muss ein Missverständnis sein«, sagte Melanie, die allerdings gleich von dem Hasen unterbrochen wurde.
»Wieso? Das ist doch ein Versicherungsbüro, oder? Steht zumindest an der Tür.«
»Schon, aber …«
»Oder wollen Sie mich etwa diskriminieren, weil ich ein Hase bin?! Zeigt sich hier die schändliche Fratze des Anti-Hasismus?«, fragte Klopfer scharf. »Muss ich meinen Anwalt anrufen oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über mein trauriges Schicksal jammern?«
»Aber mitnichten! Bitte nicht klagen! Sie sind durchaus als Kunde willkommen, aber ich mache eher Hausrats- und Lebensversicherungen, Haftpflicht, Versicherungen gegen Diebstahl und so etwas …«
»Diebstahl! Genau darum geht es!«, rief Klopfer mit erhobener Pfote.
»Diebstahl? Sie haben Angst, jemand könnte Ihnen Ihre Eier klauen?«, fragte Melanie baff und erhob sich etwas aus ihrem Stuhl, um einen besseren Blick auf den Unterleib ihres Gasts zu werfen.
»Nicht diese Eier, Sie mannstolles Frauenzimmer!«, schimpfte Klopfer. »Ich rede von bunten Eiern, wahlweise aus Schokolade, Marzipan oder einem Hühnerstall.«
»Sie meinen Ostereier?«
»Sehen Sie?!«, empörte sich Klopfer und nahm wieder einen großen Schluck Limonade, bevor er weiterzeterte: »Sie tun es auch! Jeder verleugnet, dass es meine Eier sind, und tut so, als wenn sie Allgemeingut wären, die man sich an einem zufällig ausgewählten Tag straffrei unter den Nagel reißen könnte. Dabei sind die doch meistens gut versteckt!«
»Moment, noch mal von vorn«, versuchte Melanie ihre Gedanken zu ordnen. »Also, wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie ein Problem mit Leuten, die bei der Ostereiersuche auch Ihre Eier finden und mitnehmen.«
»Was heißt auch? Nur meine Eier!«, stellte Klopfer klar.
»Sie verstecken also auf Ihrem Grundstück Eier und dann kommen Ihre Nachbarn und klauen die einfach? Und was sagen die, wenn Sie sie ansprechen? Haben Sie schon mal daran gedacht, zur Polizei zu gehen?«, schlug Melanie vor.
»Unsinn. Ich verstecke keine Eier«, berichtigte Klopfer und nippte an seinem Glas.
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass die Leute Ihre versteckten Eier mitnehmen!«
»Ja, aber ich habe nicht behauptet, dass ich die verstecke!«
»Also versteckt jemand anderes die Eier? Und wer macht das?«, fragte Melanie, der die Sache immer seltsamer vorkam. Dabei war die Tatsache, dass ein großer, sprechender Hase in Ihrem Büro stand, schon seltsam genug.
»Ich vermute, die Leute, die sie mitnehmen«, überlegte Klopfer. »Ich habe nie so genau darüber nachgedacht, weil es ja eigentlich auch egal ist.«
»Aber wie kommen die Leute an Ihre Eier, um sie zu verstecken?«, wollte Melanie wissen, die nun gar nichts mehr verstand.
»Das ist mir doch egal, wo sie die herhaben! Es sind meine!«, erwiderte Klopfer nachdrücklich und stampfte mit einer Hinterpfote auf.
»Die Leute bringen die Eier, verstecken sie auf Ihrem Grundstück und finden sie dann also wieder. Und Sie denken, dass Ihnen die Eier dann gehören?«
»Nicht direkt auf meinem Grundstück«, murmelte Klopfer. »Also noch nicht. Aber das ist in Arbeit.«
»Bitte? Wo passiert das denn dann?«
»Auf der ganzen Welt eigentlich«, antwortete Klopfer nachdenklich.
Melanie rieb sich gestresst das Nasenbein, als der Groschen bei ihr fiel. »Sie wollen also behaupten, alle Ostereier gehörten Ihnen, ja?«
»Natürlich! Ich bin schließlich ein aufrecht gehender, sprechender Hase, und der wird schon in der Folklore überall als rechtmäßiger Besitzer der Eier anerkannt!«, sprach Klopfer und deutete als Beweis auf den Wandkalender, dessen Kalenderblatt tatsächlich einen großen Hasen zeigte, der in einem Korb auf dem Rücken lauter Eier herumtrug.
»Das ist als Rechtfertigung etwas wenig. Auf welcher Rechtsgrundlage soll sich Ihr Anspruch denn gründen?«
»Gewohnheitsrecht«, erwiderte Klopfer trocken und füllte sein Glas erneut mit der Limonade.
»Gewohnheitsrecht?«
»Gewohnheitsrecht. Und wenn Sie alles wiederholen, glauben die Leser noch, dass hier Zeilenschinderei betrieben wird«, rügte Klopfer.
»Ich verstehe allerdings nicht, was das Gewohnheitsrecht mit dem Besitz an den Ostereiern zu tun haben soll.«
»Ganz einfach: Ich habe mich inzwischen sehr an den Gedanken gewöhnt, dass es meine Eier sind«, sagte Klopfer selbstbewusst.
Melanie stöhnte.
»Solange sich nicht der Rest der Welt an den Gedanken gewöhnt, werden Sie mit dieser Rechtsauffassung wohl kein Glück haben, Herr Klopfer.«
»Aber die Leute sind doch daran gewöhnt! Sehen Sie, das Kalenderblatt!«
»Das Kalenderblatt zeigt den Osterhasen, nicht Sie! Sie haben doch selbst zugegeben, keine Eier zu verstecken. Also können Sie nicht der Osterhase sein«, folgerte Melanie.
»Vielleicht ist das nur ein Fehler in der Überlieferung und der Osterhase hat die Eier eigentlich alle eingesammelt«, überlegte Klopfer und nippte wieder an seinem Glas. »Immerhin glauben die Leute ja auch die wildesten Geschichten über Jesus nach der Kreuzigung.«
Melanie schüttelte den Kopf. Als sie an diesem Morgen aufgestanden war, hätte sie nie vermutet, dass sie versuchen müsste, jemanden davon abzuhalten, ihr Kunde zu werden. Sie musste die Sache wohl von einem anderen Winkel angehen.
»Mal angenommen, wir würden diese Eier versichern. Voraussetzung wäre doch, dass Sie gewisse Sicherungspflichten für die Eier übernehmen, um sie vor Diebstahl zu schützen. Wie wollen Sie das machen, wenn sich die Eier gar nicht in Ihrem Besitz befinden, sondern auf der ganzen Welt versteckt sind?«
Klopfer rückte näher an Melanie an, schaute sich vorsichtig um und flüsterte: »Ganz unter uns, ich will den Diebstahl ja gar nicht verhindern.«
»Pardon? Auf einmal doch nicht?«
»Was soll ich mit so vielen Ostereiern? Eigentlich will ich nur die Versicherungssumme. Also wenn Sie ein Äuglein oder zwei zudrücken, geb ich Ihnen was ab«, zeigte sich Klopfer großzügig.
»Sehr verlockend, aber das kann ich nicht machen. Das würde die Zentrale nie bewilligen und ich wäre meinen Job los. Tut mir wirklich leid.«
Klopfer seufzte betrübt. »Na gut. Dann kann man wohl in der Hinsicht nichts machen.«
»Leider nicht. Aber wie sieht es denn sonst mit Ihren Versicherungen aus? Haben Sie eine Hausratsversicherung oder eine Haftpflichtversicherung?«, fragte Melanie und setzte ihr schönstes Vertreterlächeln auf. »Ohne die sollten Sie wirklich nicht durchs Leben gehen!«
Klopfer grinste. »Sie sind mutig, mir eine Haftpflichtversicherung andrehen zu wollen. Aber was mir gerade in den Sinn kommt: Würden Sie meinen Penis versichern?«
Melanie ließ frustriert ihren Kopf auf die Tischplatte fallen.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir so etwas ni…«
Sie wurde von einem Piepton unterbrochen. Klopfer nestelte sein Handy hervor und stellte den Alarm ab.
»Schon gut, ich muss jetzt sowieso gehen!«, verkündete er und leerte sein Glas.
»Äh, was? Und Ihre Versicherung?«
»Ich wollte gar keine. Aber die Wartezeit auf meinen Bus war so lang und ich hatte einen heftigen Durst«, grinste Klopfer und hüpfte fröhlich zur Tür. »Auf Wiedersehen!«
Melanie blickte dem Hasen erschöpft hinterher.
»Bitte nicht.«
Mitglied
Ein frohes Hasenfest dir Klopfer!