Das Netz
Als ich einer Freundin sagte, dass ich über „Das Netz“ lästern wolle, meinte sie verdutzt, dass sie den Film eigentlich in guter Erinnerung gehabt hätte. So ging’s mir eigentlich auch bis vor einiger Zeit, als ich den Streifen wieder einmal sah. Begleitet mich auf eine Reise in die Vergangenheit und bestaunt das Internet des Jahres 1995, wie man es sich in Hollywood vorstellte.
Was für ein herrlich sonniger Tag in Washington DC. Genau richtig für einen entspannten Spaziergang, bei dem man mit seinem Handy telefonieren kann. Und wenn der Gesprächspartner versichert, dass die telefonisch gegebene Information garantiert korrekt ist, kann man einen kurzen Abstecher in den Park machen, seine Familie anrufen und sich dann die Birne wegpusten.
Im fernen Los Angeles verbringt eine junge Frau ihren Abend etwas lebensfroher. Sie spielt Wolfenstein 3D und unterhält sich per Telefon mit einem Typen, der vollkommen davon überzeugt ist, dass die Kids dieses Spiel, was „so blutrünstig wie nur möglich“ ist, den Verkäufern aus den Händen reißen werden, wenn denn Angela (so der Name der jungen Frau) herausfindet, warum es ständig abstürzt.
Oje, der Film läuft noch keine fünf Minuten, und schon krampft mein Hirn. Erstens benutzt Angela nur Macs, weil Apple schon immer großzügig in Hollywood für Product Placement bezahlt hat. Und Macs waren für Spieler extrem beschissen, weil die wenigen Spiele, die für Mac veröffentlicht wurden, meistens auch noch ewig später als die PC-Versionen herauskamen. Nebenbei gesagt hätten sich nicht nur Spieler, sondern auch Hacker vom Mac fern gehalten; die Kisten galten in den 90ern als reine Klickibunti-Spielzeuge für Grafiker und Laien. Und zweitens war Wolfenstein 3D im Jahr 1995 schon uralt. Selbst der indirekte Nachfolger Doom, der mit Kettensägen und Raketenwerfern zeigte, dass es doch blutrünstiger geht, war zu der Zeit schon relativ gut abgehangen.
Aber zurück zum Film. Aus irgendeinem Grund weiß Angela, dass die Escape-Taste einen Virus auslöst, der die Bildschirmausgabe verzerrt. Und aus einem noch unerfindlicheren Grund weiß sie auch sofort, dass der Virus das gesamte System vernichtet. (Wie infiziert der Virus eigentlich andere Programme, wenn er das System vernichtet, auf dem er sich ausbreiten könnte?) Sie hackt den Schadcode ganz 1337 innerhalb von wenigen Sekunden direkt per Hand aus der Programmdatei heraus, was vermutlich heißt, dass sie sich nicht nach Stunden bezahlen lässt. Außerdem kopiert sie den Virus auf eine rote Diskette, da sie einen Kumpel hat, der Computerviren sammelt. Ja, das wird viel später noch wichtig. Ihr Kunde versucht noch, eine Verabredung auszuhandeln, um die Geschäftsbeziehung auf eine etwas persönlichere Ebene zu stellen, aber bekommt von Angela einen Korb.
Angela ist bereits zum Essen verabredet. Soll heißen: Sie frisst Pizza, während sie chattet. Dafür bestellt sie sich ihre Pizza sogar im Internet. Und um noch mehr zu zeigen, wie verrückt und merkwürdig diese Leute sind, die sich mit Computern und diesem neumodischen Kram auskennen, schaltet sie einen Bildschirmschoner mit Kaminfeuer ein. Wie gemütlich.
Der Chatroom ist ebenfalls etwas, was eigentlich als unlautere Werbung durchgehen sollte, da er ganz anders ist als alle Chats, die damals möglich waren. Alles, was die anderen schreiben, wird von einem Programm in einer nervigen Roboterstimme vorgelesen. (Alternativ wäre möglich, dass sie zeitgleich einen Voicechat offen hat und ihre Chatpartner wirklich Roboter sind. Das würde den Film vermutlich sogar cooler machen. Die Sache mit dem Voicechat würde auch erklären, warum sie alles, was sie selbst tippt, auch noch spricht.) Wenigstens eins ist realistisch: Ein Mädchen im Chat wird garantiert irgendwie angebaggert. So probiert auch Cyberbob sein Glück, wird aber ebenfalls von Angela abgekanzelt, obwohl er es charmanter versucht als mit „Tits or GTFO!“ Die freut sich nämlich auf ihren kommenden Urlaub in Mexiko. Immerhin sagt sie auch noch, wie ihr Traumtyp sein müsste: Macho, makellos schön, megabrillant, eine Mischung aus Captain America und Albert Schweitzer, bereit, sich tagtäglich in den Kampf zu stürzen bla bla bla. Na immerhin kein tätowierter Biker, der sich mit Pornosternchen herumtreibt.
Vielleicht hätte Angela sich doch auf ein kleines Abenteuer mit Cyberbob einlassen sollen, denn selbst mit ihrer Mutter ist keine echte zwischenmenschliche Beziehung mehr möglich. Die Frau sitzt nämlich in einem Heim und lernt dank Alzheimer täglich neue Leute kennen. Kein Wunder, dass Angela sich lieber im Internet herumtreibt, das Internet vergisst nämlich nie.
Nach diesem Elend ist es wieder Zeit für Product Placement. Der nette FedEx-Neger steht vor der Tür und bringt die Post. Angela gibt ihm gleich die Diskette mit dem Wolfenstein-Virus mit. Und was hat Angela bekommen? Auch eine Diskette, nur in grün. (Mir fällt gerade ein: Muss ich eigentlich erklären, was Disketten sind? Disketten sind magnetische Datenträger, die wir in der Steinzeit benutzt haben. Die Dinger, die Angela verwendet, fassen etwa ein halbes Lied als MP3. Und Wolfenstein 3D passte schon damals nicht auf eine einzige Diskette.)
Auf der Diskette ist eine Webseite. (Hä?) Und auch wenn die Webseite der Band „Mozarts Geist“ webdesigntechnisch großartig in die 90er Jahre passt (Augenkrebsgefahr!), dürfte sie mit all ihren Animationen, Musikstücken und Sprachausgaben damals weder auf eine Diskette noch durch die Telefonleitungen gepasst haben. Um herauszufinden, warum sie diese Abscheulichkeit bekommen hat, ruft sie den Absender an, der bei einer Softwarefirma namens Cathedral arbeitet. (Dafür, dass es hier um das Netz geht, wird ganz schön viel telefoniert in dem Film …) Dale, der übrigens auch der ist, der die Viren sammelt, hat schon sehnsüchtig auf den Anruf gewartet, schließlich hat Angela schon vor drei Minuten mit ihrer Unterschrift den Empfang des Briefes mit der Diskette bestätigt. Okay. Selbst für mich als netzaffinen Menschen ist das mehr unheimlich und verstörend als beeindruckend, Dale. Gibt es irgendwelche Leute, denen du auf Anordnung eines Gerichts nicht näher als 500 Meter kommen darfst?
Auf Anweisung von Dale klickt sich Angela zu den Konzertinformationen durch, landet aber auf der Webseite eines Elektrizitätswerkes, auf der außer einem großen Passwortfeld kaum etwas zu sehen ist. Angela findet aber nicht etwa merkwürdig, dass ein E-Werk so eine Seite im Web hat, sondern vielmehr ein kleines Pi in der Ecke unten rechts. Mit Control-Shift-Klick auf dieses Symbol spielt der Bildschirm verrückt und zeigt jede Menge Seiten an. Wer aufgepasst hat, weiß natürlich sofort: Das ist ein Virus, der frisst sich durch das System und … Halt, nein, doch nicht. Diesmal ist es ein Programmierfehler. Ein Patzer schickt die Besucher auf die falsche Internetadresse, und mein Hirn möchte sich bei dieser dussligen Erklärung vor Verzweiflung selbst verdauen.
Jedenfalls ist Angela immer noch ganz entspannt, obwohl dieser Fehler die Leute auf Seiten schickt, die sie gar nicht erreichen dürften. Warum Dale denn nicht einfach den Fehler finde und lösche? Ihr Gedankengang muss etwa so lauten: Webseiten werden ja anscheinend wie Wolfenstein 3D auf einer Diskette verteilt, die dann von Hinz zu Kunz geschickt wird. Wenn man da einen Fehler repariert, ist ja alles wieder gut. Und wenn man irgendwelche Seiten erreicht, auf die man gar nicht kommen darf, ist das die Schuld desjenigen, der darauf verlinkt hat. Ah! Kopfschmerzen! Und so jemand will Ahnung von Computersicherheit haben? Dale möchte ihr vermutlich auch eine reinhauen für so viel Dämlichkeit, und deswegen bittet er um einen Treffen am nächsten Tag. Und Angela gibt ihm auch einen Korb. (Merkt ihr auch, dass sich gewisse Teile des Skripts wiederholen? Bestimmt ein Computerfehler.) Schließlich will sie morgen in den Urlaub fliegen. Dale besteht aber auf dem Treffen, wenn nötig vor dem Abflug. Er schmiert ihr noch etwas Honig um den Bart, da sie ja angeblich am besten Bescheid wüsste über „diesen Scheiß“. Sie fällt darauf herein, aber wir kennen die Wahrheit: Er will sie schlagen für ihre Dummheit. Bestimmt!
Dale ist auch ein typischer Computerfreak: Er macht es sich selbst. In diesem Falle ist damit die Luftbeförderung nach Los Angeles gemeint. Während er aber so gemütlich in seiner Cessna fliegt und mit der Flugsicherung plaudert, die ihn nicht auf dem Radar hat, tauchen plötzlich Schornsteine vor ihm auf. Er fliegt dagegen, seine Mühle explodiert und er wird knusprig gebraten. Ich glaube, es ist keine große Überraschung, wenn ich verrate, dass die Bösewichte dafür gesorgt haben. Es glauben zwar nur Vollidioten, dass man die Navigationsinstrumente von Flugzeugen übers Internet manipulieren kann, aber wir wissen jetzt immerhin, dass der Drehbuchautor dazu gehört.
Angela wartet also vergeblich, aber bevor sie sich zum Flughafen aufmacht, ruft sie ihren Boss bei Cathedral an. Der bekniet sie sofort, sie möge sich doch bitte überlegen, dort im Büro zu arbeiten, um Dale zu ersetzen. Angela ist verdutzt – Dale ersetzen? So erfährt sie einfühlsam, dass ihr Kollege verunglückt ist. Nachdenklich packt sie ihr Macbook ein und fährt zum Flughafen. Hey, kein Grund, sich den Urlaub verderben zu lassen. Er war Computerfreak, richtig? Ist ja nicht so, als wenn er vorher ein Leben gehabt hätte.
Am Flughafen ist wegen eines Computerfehlers das totale Chaos ausgebrochen. Angela nimmt das gelassen und trinkt eine köstliche Coca Cola, den erfrischenden Durstlöscher, während im Fernsehen ein Bericht über den sympathischen Anzugträger läuft, der sich zu Beginn des Films einen Tunnel zwischen Rachen und Schädeldecke geschossen hat. Der war nämlich Staatssekretär im Verteidigungsministerium und soll HIV-positiv gewesen sein. Bevor man sich aber von dem Massensterben rundherum die Laune verderben lassen kann, löst sich das Computerchaos in Luft auf und die Flugzeuge fliegen wieder planmäßig. Auf nach Mexiko!
Unter dem blauen Himmel am mexikanischen Strand entspannt sich Angela in ihrem schwarzen Bikini, indem sie mit ihrem Laptop herumspielt. Neben ihr bestellt ein Typ etwas zu trinken – ihren Lieblingscocktail, wie sie feststellt. Dass der Knabe auch einen Laptop im Gepäck hat, fällt ihr auch auf. Sie kommen ins Gespräch, und er stellt sich ihr als Jack Devlin vor. Ah ja. Angela, Devlin, Cathedral … der Drehbuchschreiber hielt das bestimmt für clever.
Devlin entpuppt sich als absoluter Traumtyp für Angela. Er hat den gleichen Lieblingsfilm, lädt sie zum Essen ein, fährt mit ihr Boot … und ihr ahnt es schon: Er fickt sie. Das passiert wohlgemerkt alles am letzten Tag ihres Urlaubs. Super. Ein netter Typ wie Cyberbob, mit dem sie ewig lange chattet, kriegt einen Korb, und dieser Kerl bekommt Mösenzugriffsrechte innerhalb von wenigen Stunden. Typisch. Nein, ich projiziere überhaupt keine eigenen Erlebnisse da hinein und bin überhaupt nicht verbittert. *grmbl*
Noch bevor er einen wegsteckt, klaut ein Halunke Angela am Strand die Handtasche. Devlin rennt mutig hinterher – und es stellt sich heraus, dass der Halunke von Devlin angeheuert wurde, um nach etwas zu suchen, zuerst in ihrem Hotelzimmer, dann in ihrer Handtasche. Devlin findet schließlich, was er sucht: die grüne Diskette mit der Webseite von „Mozarts Geist“. Außerdem legt er den gedungenen Schurken um und schmeißt die Tasche weg. Aber pssst: Angela bekommt von all dem nichts mit. Um ein Alibi zu haben, schneidet er sich selbst in die Hand.
Auf dem Boot lässt er sich dann bemitleiden und meint dann, dass sie weiter herausfahren müssten, um die Polizei über Funk zu rufen. Klar, Funk funktioniert immer besser, wenn man den Sender noch einige Kilometer weiter vom Empfänger platziert. Angela ist doof vor Geilheit und glaubt den Quatsch. Kein Wunder, dass Dale sie für ihre Dummheit schlagen wollte. (Das ist meine Theorie und ich weiche keinen Fußbreit davon ab!)
Schließlich parkt er sein Schiff irgendwo auf dem Wasser und geht kurz unter Deck, um die Diskette in eine Schublade zu schmeißen und ein neues Magazin in seine Pistole zu schieben. Der Typ weiß, was romantisch ist. Deswegen poppen die beiden dann an Deck. Statt des Nachspiels erzählt sie ihm ganz offen, dass sie zuletzt vor Ewigkeiten mit ihrem Psychotherapeuten gevögelt hat. Gibt ja nichts Besseres, was man in so einer Situation bereden kann.