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#43295 Es geht dabei auch immer gern vergessen, dass die Staaten, die an Russland angrenzen, seit 1721 (also seit Russland in Europa etwas zu melden hatte) entweder eng mit Russland verbunden oder gegen die Russen waren. Aus der historischen Sicht hat das etwas von "entweder wir kontrollieren sie oder sie versuchen, uns zu überfallen". Dazu kommt, dass die NATO 2004 einen ziemlichen Vertrauensbruch hingelegt hat, man hatte schliesslich Anfangs 90er mal versprochen, keine Staaten östlich von Deutschland aufzunehmen. Das ist so ähnlich wie Frankreich 1990 immer noch Bedenken hatte, Deutschland durch die Wiedervereinigung zu stark werden zu lassen. Geschichte bleibt halt im kollektiven Gedächtnis haften. Ich glaube auch, wenn Putin könnte, würde er ganz gerne die Ukrainekrise beilegen, nur wird er auch nicht derartig viel Kontrolle über Donezk und Luhansk ausüben, wie es immer heisst. Es ging ihm wohl immer nur darum, die Ukraine daran zu hindern, sich von Russland abzuwenden, was geostrategisch gesehen aus russischer Sicht absolut gerechtfertigt und sogar nötig ist. Daher werden wir auch im Baltikum kaum wirkliche Aggression sehen - die Russen hätten natürlich gerne eine Landverbindung nach Kaliningrad und Sicherheit, dass die NATO nicht plötzlich St. Petersburg blockieren könnte, aber das Baltikum ist schon so weit von Russland entfernt, dass es da nichts zu holen gibt, wenn man das Territorium nicht gewaltsam annektieren und ethnisch säubern will.
Ich stimme zu, dass die "Russland hat nichts falsches getan!"-Tour niemandem hilft, aber es würde sehr wohl helfen, wenn man sich einfach mal die Gegenseite in Erinnerung ruft. Russland agiert schlicht und einfach strategisch. Etwas angewandter Realismus würde dem Westen gut tun, ob man dann einen Deal zustandebringen will oder einfach Russlands Strategie besser verstehen will, um sie kontern zu können.

Denkst du, dass solche historischen Überlegungen und Reservationen gegenüber Staaten in der internationalen Politik einen Wert haben?
Na ja, Russland war ja auch nicht immer unschuldig daran, dass die Länder, die angrenzten, was gegen sie hatten bzw. die, die mal zu Russland gehörten, auch nicht unbedingt über die Russen jubelten. Das muss man dabei natürlich auch bedenken. Dass die baltischen Länder oder Finnland nicht jubeln über Russland, hat eben auch viel damit zu tun, dass es aus dem Wald herausschallt, wie man hineinruft.
Dazu kommt, dass die NATO 2004 einen ziemlichen Vertrauensbruch hingelegt hat, man hatte schliesslich Anfangs 90er mal versprochen, keine Staaten östlich von Deutschland aufzunehmen.

Da muss man ein bisschen konkretisieren, weil das heutzutage auch von russischer Seite etwas verzerrt dargestellt wird. Dieses Versprechen war zwar mal im Gespräch, aber wurde damals auch von russischer Seite nicht sehr ernst genommen und nie vertraglich festgeschrieben. Gorbatschow hat inzwischen auch klargestellt, dass das damals nur am Anfang der Verhandlungen mal kurz im Raum stand, aber von keiner Seite ernsthaft als Voraussetzung für die Zustimmung zur Deutschen Einheit angesehen wurde. Den Russen war damals recht klar, dass sie so was gar nicht realistisch verlangen könnten.

Ob Putin nun wirklich so wenig Einfluss auf die Ukraine-Krise hat, das glaub ich so richtig nicht. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Putin die ukrainischen Russen nicht militärisch unterstützt. Schließlich hat er es bei der Krim auch gemacht - und schließlich zugegeben.
Dass es im Baltikum keine wirklichen Aggressionen geben wird... Ich weiß nicht. Die Russen, die in den baltischen Ländern leben, könnten sich durch die Krim-Sache ermutigt fühlen, ebenfalls Anschlussbestrebungen umzusetzen, und Russland hat diese Angewohnheit, Russen im Ausland auch gerne militärisch zu "schützen". Auch Russland könnte da mehr tun, um die Bedenken der baltischen Länder zu lindern. Im Endeffekt ist das ja auch ein gewollter Effekt der Russifizierung, die sowohl unter den Zaren als auch in der Sowjetunion gerne eingesetzt wurde, um Gebiete näher an Russland anzubinden.

Ich denke, den Diplomaten sind die historischen Überlegungen und Bedenken durchaus bewusst, die da auf allen Seiten eine Rolle spielen. Dummerweise gibt's halt oft keine Lösung, die wirklich alle Seiten befriedigt, und da bleibt's nicht aus, dass eine Seite dann zurückstecken muss, auch wenn das in manchen Fällen heißt, dass das ihre historisch bedingte Paranoia füttert.