Fifty Shades of Grey - Geheimes Verlangen
Eine grausame Wahrheit muss mal ausgesprochen werden: Die meisten Fanfics sind beschissen. Das ist an sich auch nicht schlimm. Der Existenzzweck von Fan-Fiction besteht im Wesentlichen darin, ihren Autoren die Flucht in die geliebten Fantasiewelten zu ermöglichen, ein bisschen handfester davon zu träumen und – so es denn gewünscht wird – auch andere daran teilhaben zu lassen. Das gilt im Prinzip auch für Twilight-Fan-Fiction.
Dann allerdings kam eine Geschichte namens „Master of the Universe“ von einer Autorin, die sich Snowqueens Icedragon nannte. In der Geschichte ging es wider Erwarten nicht um einen halbnackten Muskelmann, der mit seinem Zauberschwert gegen den bösen Skeletor kämpft, sondern um Bella Swans pornografische SM-Abenteuer mit Edward Cullen. Irgendeine kleine Verlagsbutze in Australien hielt es dann für eine gute Idee, diese Story (bereinigt von allen Twilight-Anleihen) in gedruckter Form herauszubringen. Und dann zeigte sich wieder einmal, dass die Welt ungerecht ist: Millionen von Weibern mittleren Alters, die noch nicht gemerkt haben, dass man an jedem Bahnhof für kleineres Geld seit Jahrzehnten pornografische Liebesgeschichten für Frauen kaufen kann, stürzten sich wie ausgehungerte Furien auf die Bücher, machten sie zu einem gigantischen Überraschungserfolg und die Autorin zur Millionärin. Über die verliere ich nachher noch ein paar Worte, aber zuerst möchte ich mal den ersten Band dieser Trilogie betrachten, „Fifty Shades of Grey“ oder „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“, wie das Buch in Deutschland heißt.
Wir begleiten in dieser romantischen Geschichte die 22-jährige Studentin Ana(stasia) Steele. Ihre Zimmergenossin Katherine ist Redakteurin der Studentenzeitung und hat ein Interview mit dem 27-jährigen Milliardär Christian Grey arrangiert, sich dann aber die Rüsselpest eingefangen. Also soll Ana für sie einspringen und das Interview führen. Das Interview ist zwar eine mittlere Katastrophe, dennoch ist Ana total von dem jungen Mann angetan, aber wagt nicht, es zu zeigen. Doch auch Christian scheint Ana total geil zu finden. Er lauert ihr an ihrem Arbeitsplatz in einem Baumarkt auf und gibt ihr seine Nummer. Irgendwann auf einer Party ruft sie ihn besoffen an und er kommt gerade rechtzeitig, um zu verhindern, dass Anas mexikanischer Freund sich an sie ranmacht. Außerdem kann er ihr beim Kotzen zugucken. Am nächsten Morgen wacht sie dann in seinem Hotelzimmer auf, aber außer Knutschen im Fahrstuhl passiert nichts.
Später holt er sie zu einem Date dann mit seinem Hubschrauber ab und bringt sie zu seiner Edelwohnung. (Angeber.) Dort muss sie erst einmal eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben und bekommt dann sein voll ausgestattetes SM-Zimmer zu sehen. Christian möchte gerne, dass sie einen Vertrag unterschreibt, in dem sie sich ihm in einer SM-Beziehung unterwirft, allerdings ohne Romantik, weil das nicht so sein Ding ist. Noch unterschreibt sie aber nicht, allerdings haben sie trotzdem Sex, wobei er sie entjungfert. Am nächsten Morgen bumsen sie noch einmal und werden von seiner Mutter überrascht, die begeistert von Ana ist, weil sie ihren Sohn bereits für schwul hielt.
In den kommenden Tagen kriegt sie einige Geschenke von Christian, zum Beispiel ein Auto und einen Laptop. (Ein MacBook. Ist ja klar.) Den Computer braucht sie, damit sie mit Christian kommunizieren kann. Den Vertrag unterschreibt sie immer noch nicht, aber die beiden machen sich gegenseitig ziemlich geil mit ihren E-Mails. Ana schließt dann auch das College ab und angelt sich einen Job in einem kleinen Verlag in Seattle. Außerdem lässt sie sich mal probehalber von Christian nach dem Bumsen verhauen und ist dann davon und der Tatsache, dass er sie nach dem Entsaften immer alleine lässt, so schockiert, dass sie sich bei ihrer Mama ausheult und ihm einige beleidigte Mails schickt. Er kommt dann auch angehetzt, fickt sie noch mal durch und alles ist erst einmal wieder gut.
Lange Rede, kurzer Sinn: Sie trifft dann auch noch seine Familie und erfährt, dass er als kleines Kind adoptiert wurde und seine richtige Mama für ihn nur eine Crackhure ist. Schließlich bittet sie ihn darum, dass er sie mal richtig bestraft, damit sie sieht, wie das so ist, und er verdrischt sie mit einem Gürtel. Das tut ihr allerdings dann so weh, dass sie ihn verlässt und wieder in die gemeinsame Wohnung mit Katherine zieht. (Und wir können alle drauf wetten, dass sie gleich am Anfang des nächsten Buches mit ihm wieder zusammenkommen wird.)
Die Story reißt also niemanden vom Hocker, was an sich nicht so schlimm wäre, wenn das Buch wenigstens gut geschrieben wäre. Aber nein, es liest sich tatsächlich wie eine schlechte Fanfiction. Das fängt damit an, dass E. L. James andauernd irgendwelche Nebensächlichkeiten beschreiben muss, ob es nun um die Innenarchitektur irgendwelcher Räumlichkeiten, die Klamotten oder irgendwelche Düfte geht, und das auch noch auf so eine plumpe Weise, dass es einen unweigerlich aus dem Lesefluss reißt. Zudem: Wenn so ausufernd beschrieben wird, wie Christian sich modebewusst leger kleidet, ist mein erster Gedanke „Homo!“ und nicht „Was für ein weltgewandter junger Mann.“
Die Charaktere schwanken sowieso dauernd zwischen Vollidiot und Klischee. Als Anastasia einen Laptop bekommt, mit dem sie ihre E-Mails abrufen kann, fragt sie blöd: „Ich habe eine E-Mail-Adresse?“ Ja, Mädel, du bist eine Studentin an einer US-amerikanischen Universität im 21. Jahrhundert. Ich glaube, inzwischen kann man nicht einmal mehr eine Clownschule besuchen, ohne eine E-Mail-Adresse zu benötigen.
Anderes Beispiel: Sie hat noch nie richtig geknutscht. Als es dann tatsächlich passiert, denkt sie allen Ernstes: „So bin ich noch nie geküsst worden.“ No shit, Sherlock. Aber auch als Person ist sie einfach nur merkwürdig. Sie hält sich für hässlich und zu dünn, obwohl dauernd irgendwelche Kerle auf sie spitz sind. Sie ist scharf auf ihre Freundin, aber merkt es anscheinend selbst nicht. Sie beißt sich dauernd auf die Lippen. Wenn man ein Trinkspiel daraus machen würde, wäre man nach der Hälfte des Buches reif für eine Lebertransplantation. Das Lippenbeißen macht Christian dann auch noch total geil, was Ana nicht gerade zum Anlass nimmt, es einzuschränken. Sie redet auch dauernd von ihrer inneren Göttin und ihrem Unterbewusstsein. Als Ana zum Beispiel Christian einen bläst, jubelt ihre „winzig kleine innere Göttin“, weil sie es tatsächlich schafft, ihm mit ihrem Mund Vergnügen zu bereiten. (Ist ja auch etwas, was kaum eine Frau vorher bei einem Mann zustande gebracht hat.) Während ihre innere Göttin sich aber um alles kümmert, was Geilheit angeht, meldet sich ihr Unterbewusstsein bloß zum Motzen und Keifen. Die innere Göttin hat allerdings mehr zu tun, denn Christian muss Ana bloß mal scharf angucken, damit sie feucht wird und einen Orgasmus kriegt. Fünfzehnjährige Jungs haben größere Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu kriegen, und das will was heißen. Ich habe keine Ahnung, was Ana vorher gemacht hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Insofern verstehe ich auch folgende Stelle im Buch nicht, als Ana, Katherine und der Mexikaner quasi zum Studienabschluss gemeinsam einen gemütlichen Abend verbringen:
Wir sehen uns irgendeinen Blödsinn im Fernsehen an, trinken Bier und schwelgen lautstark in Erinnerungen an alte Zeiten, während das Bier allmählich Wirkung zeigt. Es waren schöne vier Jahre.
Ich rekapituliere mal, was ich aus dem Buch von Anas Vorleben weiß: Sie hat noch nie geknutscht, nie gevögelt, nie gesoffen, nie masturbiert, hat keinen Computer und in der ganzen Zeit bloß zwei Freunde gefunden. So viele besondere Erinnerungen kann die in den vier Jahren gar nicht aufgebaut haben.
Die andere Hauptfigur ist auch nicht besser angelegt. Das fängt natürlich schon damit an, dass Christian Grey ein 27-jähriger Multimilliardär ist, der seinen Reichtum selbst erarbeitet hat und aussieht wie ein junger Gott. Zudem spricht er mehrere Sprachen fließend, kann tanzen wie ein Weltmeister und fliegt seine Flugzeuge und Hubschrauber selbst. Natürlich setzt er sich auch ganz besonders gegen den Hunger in der Welt ein. Jetzt sagt mal selbst: Wie kann ein Mädchen sich nur überwinden, so einen Menschen zu lieben? In dieser Art von Liebesromanen ist es ja eigentlich immer so, dass der Kerl stinkreich ist. In der verqueren Logik der Autorinnen ist das Vermögen nämlich da, um darzustellen, dass das Mädchen ihn trotz seines Geldes liebt und nicht deswegen. So kann die Protagonistin zeigen, dass sie sich gar nichts aus den teuren Geschenken macht, mit denen sie überhäuft wird, muss aber trotzdem am Ende nicht das schnöde, armselige Leben der Leserinnen ertragen.
Ich habe allerdings keine Ahnung, wann der Typ eigentlich sein Geld verdient, da er die meiste Zeit damit verbringt, hinter Ana herzusteigen, ihr Mails zu schreiben oder seinen Lümmel in eine ihrer Körperöffnungen zu schieben. Wenn mal so etwas wie Arbeit angedeutet wird, spricht er nichtssagende Floskeln ins Telefon, die sich nur jemand ausdenken kann, der keinerlei Ahnung vom Geschäftsleben hat (wie E. L. James). Aber es gibt ja auch seine dunkle Seite. Seine leibliche Mama ist eine Crackhure, die ihn offenbar gequält hat, und seine sexuellen Vorlieben kommen daher, dass er als pubertierender Knabe von einer älteren Frau in die Liebeskunst eingeweiht wurde – oder eher missbraucht, wie Ana es formuliert.
Und da kommen wir auch schon zum Hauptgrund des großen Bucherfolges: dem Sex. Angeblich soll das Buch die Muttis ja unheimlich saftig machen. Ich hingegen finde die Beschreibungen eher unspektakulär und kann auch keine technischen Finessen erkennen, die eine Erklärung für Anas rekordverdächtige Blitzorgasmen liefern würden – dass Christian Grey offenbar keine Pausen nach dem Entsaften braucht, ist jedenfalls irrelevant, denn sie kommt ja eh früher als er. Bei manchen Stellen fragt man sich, ob die tatsächlich nötig waren: So fragt Christian Ana an einer Stelle, ob sie gerade ihre Tage hat. Als sie das bejaht, freut er sich tierisch, weil er nicht verhüten muss, zieht ihr den blutigen Stöpsel raus und poppt sie. Ich hab zwar nichts gegen Sex während der Periode, aber in meinen erotischen Fantasien haben die Frauen jedenfalls grad nicht Besuch von der roten Tante.
Ein viel größeres Problem ist aber der SM-Teil. Es ist schon heikel, dass das Buch andeutet, dass SM-Anhänger ihre sexuellen Vorlieben traumatischen Erlebnissen in der Kindheit verdanken würden. Was aber noch problematischer ist, ist das Verhalten von Christian Grey als dominantem Partner. Er entjungfert ein Mädel und will sie als seine Sexsklavin haben, aber sie muss alles allein bewältigen, weil der edle Herr sich zu fein ist, die absolut unerfahrene Frau behutsam an die Sache heranzuführen. Das nötige Vertrauen, um so einen langfristigen Vertrag zu schließen, kann eh noch nicht da sein, weil sie sich gerade erst mal ein paar Tage kennen. Dazu kommt, dass einige der Praktiken in dem Buch schlicht gesundheitsgefährdend sind. Kein Wunder, dass sich BDSM-Anhänger weltweit über das Buch empört haben und sich falsch dargestellt fühlen.
Die weiteren Bände sind übrigens nicht besser, was die Darstellung von Christian angeht. Da gibt es beispielsweise Schläge auf den Bauch der hochschwangeren Ana, und einmal freut sich Christian darüber, dass sein ungeborenes Töchterchen offenbar auch schon Sex mag, weil das Baby im Bauch strampelt, als er Anastasia streichelt. Was zum Fick ist bei E. L. James kaputt!?
E. L. James ist eine fast 50-jährige ehemalige TV-Produzentin aus England, hat zwei Kinder und heißt eigentlich Erika Leonard. Nach eigener Aussage schrieb sie sich mit dieser Twilight-Fanfiction ihre Midlife-Crisis von der Seele. Ich möchte mal behaupten: Würde ein knapp 50-jähriger Mann zwecks Bewältigung seiner Midlife-Crisis solche Pornogeschichten schreiben und veröffentlichen, müsste er vermutlich prophylaktisch Fingerabdrücke und DNA-Proben bei der Polizei abgeben. Ein Mann würde sich in dem Alter aber vermutlich auch nicht so einen pubertären Spitznamen wie Snowqueens Icedragon geben.
Ich habe mir spaßeshalber mal die originale Fanfic angeschaut, als es noch um Bella und Edward ging. Ich hatte zuerst vermutet, dass die Bearbeitung ja schon recht umfangreich gewesen sein müsste, um aus dieser Fan-Fiction „50 Shades of Grey“ zu machen, schließlich lernten sich Bella und Edward nicht erst kennen, als sie an der Uni war, und Edward war auch kein Industriemagnat. Aber nein, die Änderungen als „dezent“ zu bezeichnen, wäre schon übertrieben. Die Namen sind ausgetauscht worden, kurioserweise auch die Automarken, und die Kapitel sind anders aufgeteilt. Wer also irgendwo noch den Ursprungstext entdeckt, der kann sich selbst einen nahezu unverfälschten Eindruck von dem Buch machen – aber ganz ehrlich: Lohnen tut sich das nicht.
Ich habe mir inzwischen auch die Verfilmung dieses Buches angeguckt. Meine Lästerei zum Film "Fifty Shades of Grey" findet ihr hier!