Zahlenspielereien
"Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast", formulierte Joseph Goebbels einst und dichtete dieses Bonmot Winston Churchill an, um so die eigene Position zu stärken.
Trotz aller Entnazifizierung bemühen sich heutzutage erstaunlicherweise sehr viele Institutionen darum, in Goebbels' Fußstapfen zu treten und zu lügen, zu fälschen und zu täuschen.
In aller Regelmäßigkeit gehen die Meldungen durch die Presse: "Filmbranche verzeichnet im Jahr 2004 eine Milliarde Euro Schaden durch Raubkopien", "2004: 3,8 Milliarden Euro Schaden für Musikindustrie durch illegale Kopien", "1,8 Milliarden Euro Schaden durch Softwarepiraterie allein in Deutschland" usw.
Nun mal eine kleine Frage an die Leute, die so etwas ausrechnen: Wollt ihr mich verarschen!?
Die Zahlen klingen schön hoch und sind schlimmer geschönt als die Bilanzen der alten griechischen Regierung. Denn bei der Berechnung wird an mindestens vier Punkten geraten, gelogen oder übertrieben.
- Woher weiß man, wieviele Raubkopien unter das Volk gebracht wurden, schließlich gibt's keine Registrierungsstelle für Raubkopien? Man schätzt einfach. Und dabei schätzt man lieber höher als niedriger.
- Wieviele der angenommenen Inhaber von Raubkopien hätten sich das Original gekauft, wenn sie nicht an die Kopie gekommen wären? Großzügigerweise gehen die Verbände meist von Prozentwerten zwischen 25% und 100% aus, realistisch gesehen liegt die Zahl wahrscheinlich weit unter 10 Prozent. Kennt man doch von sich selbst: Wenn es umsonst ist, nimmt man Krempel wie Jojos oder Luftballons, für die man nie Geld ausgeben würde.
- Wieviele der tatsächlichen Inhaber von Raubkopien haben sich das Original gekauft? Dort gehen die Verbände ausgleichenderweise von 0,000% aus. Wenn ich mich mal outen darf: Die Anime-Serie "Excel Saga" hatte ich mal auf CDs als Raubkopie. Ich hab die DVDs trotzdem gekauft. Ich hab auch Photoshop und Acrobat gekauft, obwohl man die Programme einfach über Tauschbörsen bekommt.
- Welchen Geldbetrag setzt man pro angenommener Raubkopie an? Üblicherweise den Endverkaufspreis. Der Fehler dabei ist natürlich, dass im Verkaufspreis auch Händler- und Zwischenhändler-Margen enthalten sind sowie Fertigungskosten für DVDs/CDs mitsamt Boxen, Papiereinlegern und sonstigem Schnickschnack, was also weder als Gewinn für die produzierende Firma gelten kann, noch bei einer Raubkopie als Verlust definiert werden dürfte.
Ach ja, manchmal wird noch angegeben, wieviele neue Arbeitsplätze man mit dem Geld hätte schaffen können. Netter Versuch, Jungs, aber ihr könntet auch schreiben, wie viele Kondome man davon kaufen kann, denn inzwischen glaubt nur noch ein Idiot, dass großer Gewinn auch neue Arbeitsplätze bedeutet. Viele Konzerne machen einen viel größeren Gewinn und feuern trotzdem tausende Leute, also spart euch den Scheiß.
Ich möchte hier keine Lanze für Raubkopierer brechen. Es ist kacke, wenn man die Arbeit anderer klaut. Es sind nicht wenige Firmen in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, weil sie zu wenig ehrliche Kundschaft hatten, obwohl ihre Produkte weit verbreitet waren. Jede Arbeit ist es wert, entsprechend ihres Aufwandes bezahlt zu werden. Und es stimmt schon nachdenklich, wenn etwa das Buch zu einem Computerspiel wesentlich häufiger verkauft wird als das Spiel selbst. Allerdings finde ich es genauso kacke, wenn die Industrie versucht, ihre Maßnahmen gegen Raubkopierer mit Lügen, Falschaussagen und bloßen Vermutungen zu rechtfertigen. Es ist einfach unseriös. Ich kann ja auch nicht behaupten, dass mir monatlich 5000 Euro entgehen, weil so viele Zeitschriften keine Artikel von mir wollen, obwohl die Redakteure hier mitlesen (kommt schon, meldet euch mal, ich beiß nicht). Ein Bäcker kann auch nicht behaupten, dass er täglich Verlust macht, weil so viele Leute nicht kaufen.
Wer Ehrlichkeit von anderen erwartet, sollte auch selbst bereit sein, Ehrlichkeit zu geben. Denn wer möchte schon Leute und Firmen am Leben erhalten, die ständig nur lügen?
Nachtrag: Das Zitat stammt wohl doch nicht von Gobbels. Allerdings ist der Einleitungssatz trotzdem vorzüglich, nicht wahr?