Die Schubladen des Journalismus
Gerade in Zeiten des Internets verweist der Journalismus immer gerne darauf, wie notwendig er doch ist, wie sorgfältig er im Vergleich zu anderen arbeitet und wie furchtbar wir doch alle ohne sie dran wären. Und wenn man dann zufällig mal etwas liest, in dem man selbst ein gewisses Fachwissen besitzt, stellt man meistens fest, dass die Profischreiber ganz schön viel Schwachsinn zu Papier bringen und ihre gerne hervorgehobene Objektivität eine Illusion ist.
Aber selbst ohne Fachwissen kann man sehr oft wunderbar sehen, wie wenig selbst professionell ausgebildete Journalisten sich von den simplen Denkprozessen lösen können, mit denen schon der gemeine Bürger seine einfache Weltsicht begründet. Der Mensch mag simple Konstellationen, deswegen ist die Verlockung groß, alles in einfache Erzählstrukturen einzubinden, die man aus Büchern und Filmen zur Genüge kennt. Alles ist klar eingeteilt: Auf der einen Seite gibt es die Guten, auf der anderen Seite die Bösen. Es gibt ein klar definiertes Ziel, und wenn das erreicht ist, ist alles prima.
Beim „Krieg der Sterne“ war das klar: Auf der einen Seite die Rebellen, auf der anderen Seite das Imperium, und sobald der Todesstern explodiert, ist alles erledigt, als wenn mit dem Tod von Imperator und Darth Vader alles gegessen wäre, sich sämtliche niederen Chargen des Imperiums den Rebellen anschließen und diese Rebellen auch problemlos in der Lage wären, selbst ein stabiles und funktionierendes Regierungssystem auf die Beine zu stellen.
Gerade die amerikanische Öffentlichkeit war zu Beginn des Irakkriegs auch dank der amerikanischen Journalisten der Meinung, dass es in der Realität auch so klappen würde: Man geht rein in den Irak, setzt Saddam Hussein ab, die irakische Bevölkerung feiert die amerikanische Armee für ihren gnädigen Akt der Befreiung von der Diktatur und macht sich daran, zu vorbildlichen Demokraten zu werden. In Europa – außerhalb der Koalition der Willigen – schüttelte man den Kopf über diese naiven Vorstellungen der Amerikaner, gerade die Deutschen gratulierten sich insgeheim selbstzufrieden für ihre Weitsicht, als sich wie vorhergesagt die ganzen Probleme in der Region entluden.
Jetzt kam die Ukraine-Krise, und wir in Europa tappten in die gleiche Falle: Die Journalisten vermittelten den Eindruck, in dem Land ginge es um den Kampf zwischen den guten, europäisch orientierten Aufständischen und der bösen, korrupten Regierung, die sich an Putins Russland ranschmeißen wollte. Im Prinzip müsste nur die Regierung gestürzt werden, und dem Land würde es hundertmal besser gehen. Dummerweise begann ein Bürgerkrieg. Nicht ohne Grund wurden die Medien im Verlauf dieses Bürgerkriegs heftig für eine einseitige Berichterstattung kritisiert. Das Absurde: Die meisten derjenigen, die das kritisieren, drehen das Narrativ einfach um und tun so, als wäre die Position der russischstämmigen Aufständischen und Russlands selbst die reine Wahrheit, obwohl die über die angeblichen Machenschaften der neuen ukrainischen Machthaber auch die wildesten Räuberpistolen erzählten. Als dann ein malaysisches Passagierflugzeug über der Ostukraine abgeschossen wurde, erreichte die Diskussion den Höhepunkt des Schwachsinns, als diese Menschen kategorisch die logischste und plausibelste Erklärung ausschlossen, nämlich dass die Aufständischen die Maschine versehentlich runtergeholt haben.
Offenbar sind erschreckend viele Leute absolut unfähig, auch nur in Betracht zu ziehen, dass beide Seiten für ihre legitimen Ziele lügen, Dinge verschweigen oder auch nur extrem verzerrt darstellen könnten, um die Sympathien von Außenstehenden zu verlangen. Die Menschen wollen offenbar, dass alles in zwei unversöhnliche Lager eingeteilt werden kann. Das lässt sich auch gut bei Diskussionen um den Nahost-Konflikt beobachten. Sagt man etwas, was Verständnis für Israel ausdrückt, ist man für einen großen Teil der Diskussionsteilnehmer ein Feind der Unterdrückten und Mietmaul der israelischen Propaganda-Maschine. Sagt man etwas gegen Israel, ist man gleich ein Antisemit und steht quasi kurz davor, im Vorgarten wieder ein KZ anzulegen. Dass man die Sache quasi neutral von außen betrachten und je nach Situation abwägen kann, welche Seite gerade größeren Bockmist produziert, ist anscheinend eine Idee jenseits jeglicher Vorstellungskraft.
Und jetzt haben wir die PEGIDA-Proteste. Und die Medien fallen wieder in das alte Schwarz-Weiß-Schema zurück und treiben ironischerweise genau auf diese Weise Leute in die Bewegung, die sie eigentlich bekämpfen wollen. Hirnrissiger geht es wohl kaum.
Es mag sein, dass die Organisatoren von PEGIDA Rechtsradikale sind und der harte Kern der Bewegung alles Rassisten und Nazis sind. Das ist unsympathisch genug. Das heißt allerdings nicht, dass jeder, der da mitmarschiert, auch ein strammer Nazi oder Rassist ist. Und genau diese Inhomogenität wäre eigentlich die Chance, diese Bewegung aufzubrechen. Denn worum geht es denn vordergründig? Nein, es geht nicht um die Verteidigung christlicher Werte und das Abendland, das ist eine aufgeladene Floskel, die einfach nur heißen soll: Es soll alles so bleiben, wie es ist, selbst wenn wir nur zweimal im Jahr in die Kirche gehen und ziemlich gottlos leben. Deswegen ist auch dieses Wettpissen zwischen PEGIDA-Anhängern und -Gegnern, wer jetzt eher christliche Werte vertritt, totaler Unsinn. Damit wird man niemanden überzeugen können, weil es einem großen Teil der Leute nicht wirklich darum geht, das Christentum zu verteidigen, sondern den Status quo gegen den steigenden Einfluss des Islam.
Nun haben die Medien vor gar nicht langer Zeit noch relativ oft über Reibungen und Reibungspotenziale berichtet: Es gab die selbst ernannte Scharia-Polizei, in Talkshows öffentlich-rechtlicher Sender berichteten türkische Frauenrechtlerinnen über die religiös begründete Unterdrückung durch konservative Moslems, es gab Meldungen über die Anwerbung von islamistischen Kämpfern durch Hassprediger, Warnungen vor Parallelgesellschaften und die leicht beunruhigende Erkenntnis, dass eine Mehrheit der in Europa lebenden Moslems eher die Regeln des Islams befolgen würden als die Gesetze des Landes, in dem sie leben. Anerkannte Kabarettisten redeten offen darüber, wie schwer Witze über den Islam zu machen sind, weil man da Gefahr läuft, dass einem ein übellauniger Moslem ein Messer in den Leib steckt – und alle dachten an das Theater um die Mohammed-Karikaturen zurück und konnten nur zögernd nicken. Natürlich kann man sich fragen, ob diese Berichte den objektiven Blick auf den Islam verzerrt haben. Aber es wäre sicherlich auch nicht objektiv gewesen, diese Punkte zu verschweigen und so zu tun, als gäbe es sie nicht.
Aber weil die Medien ja unbedingt alles in zwei klar abgegrenzte Gut-und-Böse-Lager einteilen müssen und PEGIDA nun mal zur bösen Seite gehört, überschlägt man sich bei der Diskussion um PEGIDA jetzt in Beteuerungen, wie absurd es doch wäre, im Islam etwas anderes als eine Kulturbereicherung zu sehen. Ich bin Atheist. Mir ist es ehrlich gesagt scheißegal, ob der Einfluss der christlichen Kirchen schwindet. Ich kann aber jeden verstehen, der sagt: Wir brauchen nicht noch mehr Leute, die ihre Religion (und das, was andere drüber denken) zu wichtig nehmen. (Und das sage ich als jemand, der es ungerecht findet, Moslems den Bau von Minaretten für ihre Moscheen zu verbieten.) Ich laufe trotzdem nicht mit PEGIDA mit, weil ich diese Bewegung unsympathisch und kontraproduktiv finde, aber ich habe den Verdacht, dass ein großer Teil der PEGIDA-Demonstranten ebenfalls schlicht und einfach – auch aufgrund der Medienberichte – Sorge hat, dass ein wachsender Einfluss des Islam negative Auswirkungen haben könnte, insbesondere angesichts der derzeitigen Konflikte und durchaus einflussreichen fundamentalistischen Strömungen innerhalb der islamischen Welt.
Gerade deswegen ist die pauschale Darstellung der PEGIDA-Demonstranten als Vollidioten, Nazis und Rassisten so verheerend. Wir wissen aus der Psychologieforschung, dass Druck von außen den Zusammenhalt einer Gruppe stärkt. (Das funktioniert sogar, wenn man sich nicht ausgesucht hat, in welcher Gruppe man ist; wie stark wird dieser Effekt also wirken, wenn es zumindest eine Position gibt, die die Mitglieder verbindet?) Wir wissen auch, wie Gruppendenken dafür sorgt, dass eine Gruppe radikalere Positionen vertreten kann, als sie eigentlich jedes einzelne Mitglied dieser Gruppe vertritt – darüber habe ich in „Sexpanzer und Babytod“ auch geschrieben.
Je mehr die Medien den Eindruck erwecken, dass eine Meinung oder Befürchtung es nicht wert wäre, ernst genommen, diskutiert oder offen geäußert zu werden, desto mehr werden die Träger dieser Meinungen und Befürchtungen dahin getrieben, wo sie das Gefühl haben, ernst genommen zu werden. Und das ist in diesem Fall PEGIDA, zumal die Selbstdarstellung der PEGIDA-Positionen ja eher zurückhaltend ist. Politik und Medien könnten mit Leichtigkeit die gemäßigten PEGIDA-Demonstranten aus dieser Umgebung holen und somit diese Bewegung aufbrechen, wenn sie ihnen das Gefühl geben würden, dass sie eben keine Trottel sind, sondern dass man ihre Ängste in Betracht zieht und aktiv versucht, auf sie einzugehen und die befürchteten Veränderungen zu verhindern beziehungsweise abzumildern. Das Schöne an der menschlichen Psychologie ist, dass man den Leuten nur das geben muss, was sie wirklich brauchen, nicht das, was sie glauben, sich zu wünschen, um sie glücklich zu machen. Einer der größten Fehler ist, ihnen jetzt bloß zu sagen, dass sie doof sind und komplett unrecht haben. Auch da wissen wir aus der Psychologie, dass das reine Widerlegen den Glauben an die widerlegten Positionen eher noch verstärkt.
Wenn man sich aber schon auf die Position „Das sind doch alles Idioten“ zurückzieht, sollte man wenigstens vermeiden, sich dabei noch kräftig Eigentore reinzuhauen wie zum Beispiel mit diesem tollen Bildchen:
Das wurde unter anderem auf der Facebookseite der Süddeutschen Zeitung gepostet. Und es ist Quatsch. Der einzige Punkt, der stimmt, sind die Juden. Der Rest erledigt sich mit dem simplen Nachlesen in der Bibel: Maria und Josef waren zu der Zeit keine Flüchtlinge, die mussten wegen der Volkszählung nach Betlehem, weil Josef von da stammte. Geflüchtet sind sie erst später. Die Sterndeuter kamen aus dem Morgenland, also aus dem Osten. Damit fallen Afrikaner schon mal komplett raus. Höchstwahrscheinlich waren es Perser, Meder oder Chaldäer, also keine Araber. (Und wer jetzt denkt, das wäre doch alles die gleiche Soße da unten: Wer ist jetzt unsensibel gegenüber fremden Kulturen, hm?) Und das heißt insgesamt: Man kann problemlos eine Weihnachtskrippe ohne Afrikaner, Araber und Flüchtlinge basteln und muss trotzdem keine einzige Figur weglassen. Und es ist nicht nur peinlich, dass ein gottloser Heide wie ich, der vielleicht drei Mal in seinem Leben so eine Krippe von Nahem gesehen hat, Christen so etwas erklären muss. Es ist noch peinlicher, so einen Bock zu schießen, wenn man sich im wohligen Gefühl der intellektuellen Überlegenheit über die PEGIDA-Schwachmaten suhlt. Damit torpediert man nur seine eigene Position.
Vielleicht sollte man schon an der Schule ausdrücklich lehren, dass die Welt kein Film ist, in dem der gute Held gegen den bösen Drachen kämpft und am Ende der Entscheidungsschlacht nur noch die Prinzessin genagelt werden muss, um die strahlende, problemfreie Zukunft zu erschließen. Falls das aber zu viel Aufwand wäre: Könnten wir das wenigstens an den Journalistenschulen hinkriegen?