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Akademische Idiotie

Oft werden Universitäten als die letzten großen Institutionen gesehen, in denen die Intelligenz zu Hause ist und die Fackel der Weisheit am Lodern gehalten wird. So sehen sich die Universitäten nicht zuletzt selbst am liebsten und führen das auch gerne ins Feld, wenn es darum geht, die finanziellen Zuwendungen aus dem Landeshaushalt zu verteidigen.
In Wirklichkeit ist man in Universitäten genauso blöd wie in sonstigen Bereichen auch. Das liegt nicht zuletzt an einer bemerkenswerten Fortschrittsfeindlichkeit, die man eigentlich in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen so nicht vermuten würde. Am ehesten äußert sich das in der Organisation, welche unzählige Bäume das Leben kostet und unzählige Studenten die Nerven.

Ich bin ja nun schon eine ganze Weile Student. Und am Anfang nahezu jeden Semesters sitze ich in einem Seminar, in dem der Dozent erschrocken sagt: "Huch, es sind ja mehr als 25 Studenten da, damit habe ich gar nicht gerechnet." Da weiß ich sofort, dass dort ein Vollidiot sitzt. Wenn man etwa 150 Studenten eines Jahrgangs im Studiengang hat und ein bestimmtes Seminar zum Pflichtprogramm erklärt, dann sollten einem selbst einfachste Mathematikkenntnisse sagen, dass bei drei oder vier Seminargruppen eine Gruppenstärke von 25 Studenten absolut illusorisch ist. Aber mit bemerkenswerter Lernresistenz begehen die diesen Fehler jedes halbe Jahr wieder und wundern sich dann, wenn die mitgebrachten 25 Kopien des Seminarplans nicht ausreichen.

Dabei wird es einem sowieso oft schon schwer gemacht, bei solchen Veranstaltungen mitzumachen, besonders an der Humboldt-Uni in Berlin. Am besten soll man sich vor dem Semesteranfang persönlich im Sekretariat anmelden. Ich liebe es, zwei Stunden durch die Gegend zu fahren, damit ich zwanzig Minuten vor einem Sekretariat warten kann, um schließlich innerhalb von dreißig Sekunden meinen Namen auf eine schon völlig überfüllte Liste zu kritzeln. Deswegen lass ich den Blödsinn auch meistens sein. Zu Semesterbeginn geht in der ersten Veranstaltung eine Teilnehmerliste herum, in der man noch einmal seinen Namen, Studiengang, Matrikelnummer, Semester, Unterschrift und Adresse eintragen soll. Dann gibt’s in jeder weiteren Stunde eine Teilnehmerliste, mit der per Unterschrift die Anwesenheit festgestellt werden soll. Am Semesterende soll man einen Zettel von den Dozenten unterschreiben lassen, dass man auch genügend da war und die Hausaufgaben gelöst hat, um für die Prüfung zugelassen zu werden. Für die Prüfung muss man sich aber dennoch noch einmal gesondert anmelden, und in der Prüfung selbst soll man den vorher von den Dozenten unterschriebenen Wisch vorlegen. Im Endeffekt hat man also mindestens 15 Blätter Papier pro Kurs, auf denen man mehrfach durch seine Unterschrift bestätigt, dass man ganz ganz ganz ehrlich die Lehrveranstaltung nicht nur aus purer Lust an der Langeweile besucht.
Die Anwesenheitspflicht benötigt am meisten Papier und ist dennoch totaler Blödsinn. Die einzigen Seminare, in denen mir die Anwesenheit etwas gebracht hat, waren japanische Sprachkurse. Die Stoffe der anderen Seminare hätte ich ganz bequem zu weniger unchristlichen Zeiten daheim nachlesen können, dann wären die Dozenten vielleicht auch zufriedener gewesen, weil nie mehr als 25 Studenten gleichzeitig im Seminar gewesen wären. An der Uni Potsdam hatte sich diese Erkenntnis bei den meisten Profs schon durchgesetzt: Die formal dort ebenfalls bestehende Anwesenheitspflicht war denen völlig schnurz, solange die Studenten die im Internet stehenden Hausaufgaben abgaben und eventuell nötige Referate hielten. Sobald das gegeben war, waren wir automatisch für die Prüfungen angemeldet und hatten keine Scherereien mit Anmeldeterminen, Unterschriften und sonstigem Pipapo.

Dieser Ansatz wäre aber für einige Dozenten der HU Berlin schon deswegen problematisch, weil sie dazu das Internet benutzen müssten. Obwohl sie keine Bedenken haben, technologische Errungenschaften wie etwa Strom zu benutzen, und auch ihre Aufsätze und Bücher nicht mehr mit Bleilettern á la Gutenberg setzen, bestehen sie darauf, Literaturlisten und sonstige organisatorische Informationen als Einzelstücke in der Bibliothek zu hinterlegen, damit die Studenten den Krempel für 10 Cent pro Kopie selbst vervielfältigen, anstatt das Zeug einfach auf den Server der Uni zu stellen, auf dem es sogar schon ein Lehrsystem für genau solche Zwecke gibt. Skripte kann man von diesem Menschenschlag nicht erwarten, was meistens allerdings auch kein Verlust ist. Sie reden und schreiben nicht einfach, sie masturbieren mit komplizierten Wörtern, um sich für große Wissenschaftler zu halten, selbst wenn sie nur Trivialitäten von sich geben. Ein typischer Erguss solcher Professoren kann etwa so aussehen: "Aufgrund der Diversifikation literarischer Publikationen ist die Kreierung adäquater Analyseverfahren obligatorisch." Das klingt viel schlauer als: "Es gibt so viele verschiedene Textarten, dass wir jeweils angepasste Untersuchungsmethoden entwickeln müssen", aber der verständliche Satz bringt keinen eigenen Lehrstuhl ein.

Dabei möchte ich aber nicht sagen, dass bei Benutzung moderner Technologie alles problemlos verläuft. Insbesondere das Benutzerkonto für das Universitätsnetz ist ein Quell ständiger Freude, weil die Administratoren offenbar zu wenig Arbeit haben. So wird man alle paar Wochen mit dem Hinweis genervt, man möge doch bitteschön sein Passwort ändern, weil sonst der Zugang gesperrt wird. Dabei habe ich den Account nur, um mich damit für Prüfungen anzumelden, viel anfangen könnte man damit nicht. Ich bin sowieso nie mit den Namen für meine Accounts zufrieden, weil ich nun mal den Allerweltsnamen Christian Schmidt besitze und die IT-Fritzen mir dann so putzige Nicks wie ChrSchmi1 oder Smidkri verpassen, was dann auch meine zugehörige E-Mail-Adresse absolut unbrauchbar macht.
Die Änderung des Passwortes lässt mich dann völlig an der Kompetenz einiger Leute zweifeln, denn anscheinend werden diese Änderungen per Hand durch die Administratoren vorgenommen und treten somit nur an Werktagen zu den Geschäftszeiten in Kraft, gegebenenfalls sitzt man also am Wochenende ohne Zugang da und muss eventuelle Anmeldefristen für Prüfungen verstreichen lassen.

Wenn man aber den ganzen Wahnsinn universitärer Bürokratie kennenlernen will, muss man mal von den vorgesehenen Pfaden abweichen. Und damit meine ich nicht nur, dass ich für einen simplen Studienfachwechsel innerhalb der Universität eine komplett neue Bewerbung inklusive einer weiteren beglaubigten Kopie meines Abiturzeugnisses abgeben musste, obwohl bereits eine Zeugniskopie in den Archiven der Uni vor sich hin gammelte.
Eine Freundin von mir wurde im letzten Semester vor ihrer Klausur krank. Sie ging zum Klausurtermin und gab ihr ärztliches Attest ab, womit die Sache eigentlich erledigt sein sollte. Leider wusste man in den Fachbereichen noch nichts von einer neuen Regelung des Instituts, wonach derartige Atteste allein nicht ausreichen würden, um bei einer Klausur entschuldigt zu fehlen. Zusätzlich zum ärztlichen Attest müsse der Erkrankte selbst noch eine schriftliche Erklärung abliefern, warum er erkrankt sei. Ich weiß nicht, ob sie erwarten, dass man dann eine lustige Geschichte über Tupfi, den lustigen Tuberkelbazillus aufschreibt, der mal Lust auf Remmidemmi in einem menschlichen Körper hatte. Jedenfalls wird der Sekretärin eines geisteswissenschaftlichen Instituts einer Universität die Fachkompetenz zugetraut, Bescheinigungen von studierten Medizinern für gegenstandslos zu erklären, wenn der Patient sich nicht noch selbst rechtfertigt.
Meine Freundin musste sich im Sekretariat des Fachbereichs ihr Attest zurückholen (wobei die dortige Sekretärin die neue Regelung ebenso dämlich fand wie wir), um es im Sekretariat des Instituts vorzulegen und darum zu bitten, ihre Krankheitserklärung nachreichen zu dürfen. Die Sekretärin des Instituts, ein dressierter Rottweiler mit einer sichtbaren Abneigung gegen Studenten und damit verbundener Arbeit, grunzte wütend und beschwerte sich erst einmal, dass das Attest keinen Vermerk des anderen Sekretariats trug, um die Abgabe zum Klausurtermin zu bestätigen. Dabei hatte die andere Sekretärin gesagt, dass das unnötig wäre, da sie das notfalls auch telefonisch bestätigen könne. Nach einigem Gemotze wurde dieser Telefonanruf unwillig getätigt und das Attest somit vorerst akzeptiert. Bei der Gelegenheit wollte meine Freundin noch fragen, ob sie eine Kopie des Attests haben könnte, da sie ja auch Klausuren in anderen Fächern versäumt hatte. Der Rottweiler fletschte wieder wütend die Zähne, trug sie als entschuldigt ein und verzichtete dann sowohl auf das Attest als auch auf die bekloppte Erklärung. Diese Umgehung der Vorschriften haben wir uns aber auch teuer erkauft, ich habe inzwischen eine ausgewachsene Sekretärinnenphobie.

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