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Killertext

Das Universum ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Kernfusionen in den Sternen, komplizierte chemische Vorgänge in lebenden Organismen, Steuererklärungen – irgendwie überrascht es da nicht, dass sich Menschen ganz gerne nach einfachen Antworten sehnen. Der Nachteil ist natürlich, dass einfache Antworten zumeist gequirlte Affenscheiße sind.

Gänzlich unbeeindruckt davon war für viele Menschen natürlich die Ursache für die Schulschießerei in Emsdetten klar: "Killerspiele". Der ehemalige Schüler Sebastian Bosse latschte (ausgestattet mit einem Arsenal an Schusswaffen und Bomben, welches die Bundeswehr neidisch gemacht hätte) eines Morgens in seine alte Schule, schoss 5 Leute an und erledigte sich dann selbst. Obwohl sein Bodycount nach Actionfilmmaßstäben lausig war, ging ein kollektiver Aufschrei durch die ach so schockierte Gesellschaft, welche sogleich versuchte, Ursachen für die Tat zu identifizieren, deren Beseitigung a) nicht viel Arbeit macht und b) die meisten Leute über 35 nicht in ihrer Lebensqualität beeinflusst.
Mich beeindruckte besonders, wie viel Energie aufgewendet wurde, um den Abschiedsbrief des Täters zu verdrängen, in dem er seine Motive ausführlich schilderte. Ich glaub inzwischen, man könnte dem niedersächsischen Innenminister Schünemann die Aussagen auf den Schwanz tätowieren, und er würde sie ignorieren. Denn Mobbing in der Schule und Perspektivlosigkeit fürs Berufsleben lassen sich nun mal nicht so einfach durch Verbote aus der Welt räumen.

Damit möchte ich allerdings nicht sagen, dass Sebastian doch eigentlich ein ganz feiner, aber fehlgeleiteter Kerl gewesen wäre. Wer auch nur Ausschnitte aus seinen Freakvideos gesehen hat, der kommt eigentlich nicht drum herum, ihm und seinen mitwirkenden Kollegen eine gehörige Klatsche zu attestieren. Und natürlich hätten die Eltern ihm schon was hinter die Löffel geben sollen, als ihr sauberer Sohn sich kiloweise Waffen im Internet besorgte oder in der Garage anfing, Bomben zu basteln. Computerspiele haben ihn aber sicher nicht zu einem aggressiven Arschloch gemacht: er war einfach ein aggressives Arschloch, welches darauf stand, am Computer zu ballern, weil es gut zu seinem Hobby passte.
Extrem bizarr wurde es, als Medien und diverse Politiker behaupteten, dass der Knabe mit Counterstrike das Schießen geübt hätte. Genau. Er besaß legal ein paar echte Schusswaffen, warum also damit an einem Schießstand trainieren? Ich wette, er hat sich am Tag seines Schützenausflugs wirklich gewundert, warum kein Fadenkreuz in der Luft schwebt, wieso er nicht mit "R" nachladen kann und weshalb zum Teufel es einen Rückstoß gibt.

Aber auch mental ist Counterstrike nicht wirklich zur Einstimmung auf reale Amokläufe geeignet, da das Spiel optisch geradezu verblüffend harmlos auf jemanden wirken muss, der es nur aus Beschreibungen der Medien kennt. Die Redaktionen scheinen exakt auf die Fantasien der Journalisten abgestimmte Versionen bekommen zu haben, die sonst nirgendwo auf der Welt existieren. Anders kann ich mir nicht erklären, warum z.B. die "Rheinische Post" darlegte, das Spielziel wäre das Abknallen von Schulmädchen in weißen Blusen mit karierten Röcken, wogegen die "Hamburger Allgemeine" immerhin noch zuzufügen wusste, dass umgelegte Großmütter mit Kinderwagen Extrapunkte brächten. Millionen von CS-Spielern weltweit wanken nun selbstzweifelnd durch die Gegend, die vielen Spielpunkte vor Augen, die sie leichtfertig verschenkten, weil sie im gesamten verdammten Spiel weder uniformierte Schulmädchen noch Großmütter finden konnten und sich lieber auf das nebensächliche Hauptziel (Geiselbefreiung bzw. dessen Verhinderung unter unbedingter Vermeidung gewaltsamen Dahinscheidens der Gefangenen) konzentrierten.
Robert Steinhäuser, der aus den Medien wohl bekannteste Counterstrike-Spieler Deutschlands, wäre wohl auch ohne seinen Suizid im Anschluss an seinen Amoklauf in Erfurt allerdings nicht unter den Selbstzweiflern. Er hatte nämlich keinen Internetanschluss und war deswegen vermutlich auch der meistgelangweilte Counterstrike-Spieler Deutschlands.

Wohl nicht nur aus diesem Grund haben sich Politiker verschiedenster Parteien darauf geeinigt, den wunderbar schwammigen Begriff "Killerspiele" zu verwenden. Ursprünglich eher auf solche Sportarten wie Paintball gemünzt, umfasst er jetzt im Wesentlichen die bösen Computerspiele und hat es sogar in den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD geschafft. Das Schöne an dem Wort ist, dass man keine klare Kategorisierung treffen kann, was eigentlich ein Killerspiel sein soll. Töten kann man in vielen Computerspielen, und sei es nur, indem man als Mario auf arme Reptilien springt oder absichtlich ein paar Lemminge den Abgrund herunterstürzen lässt, damit sie effektvoll zerspritzen. Für einen Autor ist der Begriff "Killerspiel" wunderbar: man schreibt seine abstrusesten Gewaltfantasien auf und behauptet, sie wären aus einem "Killerspiel". Irgendwo auf der Welt wird es so was schon geben, und wenn nicht: wer will es ohne den Namen des Spiels beweisen?

Kurz nach der Schießerei in Emsdetten sprangen so einige politische Würdenträger vor wehrlose Mikrofone und Kameras, um gegen die "Killerspiele" zu polemisieren, indem sie Horrorszenarien von abgesägten Armen und verblutenden Vergewaltigungsopfern ausmalten, die in den Spielen der deutschen Jugendlichen an der Tagesordnung wären. Außerdem wäre die USK ja ein Witz und doof und riecht nach Fisch und sollte sowieso abgeschafft werden, nebst Killerspielen, Computern und jeglicher Freizeitbeschäftigung, die nicht im Absingen urdeutscher Volkslieder besteht. Einige haben sich die Mühe gemacht, nach den Gewaltszenen zu suchen, und dabei festgestellt, dass derartige Spiele, so sie denn überhaupt existieren, in Deutschland gar nicht erhältlich sind und daher sowieso nur illegal auf den Computern deutscher Jugendlicher vorhanden sein können. Trotzdem holten viele Redaktionen von BILD bis RTL alte Ausgaben von "Der Stürmer" und dem "Völkischen Beobachter" aus dem Archiv, ersetzten "Jude" durch "Killerspiele" und verwöhnten die Allgemeinheit mit Hetzberichten, die jedem Hassprediger Tränen der Rührung in die Augen getrieben hätten. Und sie wirkten: laut einer Umfrage waren kurz danach 79% der Befragten für ein Verbot von "Killerspielen".

Als der bayerische Innenminister Beckstein dann 1 Jahr Gefängnisstrafe für Herstellung, Verbreitung und Besitz solcher Spiele forderte, erhöhte Niedersachsens Schünemann die Forderung gleich auf 2 Jahre, und der brandenburgische Innenminister Schönbohm lud die beiden wahrscheinlich zum gemeinsamen Onanieren ein, weil sie so eine innige Seelenverwandschaft haben.* (Schandmännchen.de hat die Geisteshaltung der drei mal so beschrieben: "Steht nicht einfach so rum. Verbietet irgendwas!") Warum der Schönbohm den Blödsinn von der Gefährlichkeit der "Killerspiele" glaubt, ist mir sowieso ein Rätsel: Der Mann war früher General bei der Bundeswehr, und der will mir echt weismachen, dass eine tägliche Runde Half-Life in Sachen Waffen- und Schießausbildung äquivalent zum Grundwehrdienst wäre? Und was ist eigentlich das Problem von Beckstein, in dessen Bundesland immerhin auf Anordnung der Regierung alle Einwanderer abgeknallt werden, die vier Beine, wuschelige Ohren und einen Bärenhunger haben?
Zum Glück hat sich bei Politikern anderer Parteien (bei denen ohne C) auch mal die Stimme der Vernunft zu Wort gemeldet, dass das schärfste Jugendschutzsystem der freien Welt doch irgendwo ausreichend sein müsste, zumal zwei Schulamokläufe bei DEN Schülern doch noch erstaunlich wenig sind.
(Denkt euch an dieser Stelle euren eigenen PISA-Witz. Das ist ein besonderer interaktiver Service von Klopfers Web 2.0 Beta.) Klopfers Web 2.0 Beta

Einen alternativen Begriff musste man nach einer Gewalttat in Cottbus finden: Dort hatte jemand wiederholt gegen seinen Freund bei einem Wrestling-Videospiel verloren, danach frustriert einen Obdachlosen in die Wohnung eingeladen und diesen dann totgetreten. Angeblich wollte der Täter wissen, wie doll er jemanden verletzen kann, wenn er schon bei dem Wrestling-Spiel versagt, und schiebt die Schuld eindeutig auf das Spiel und den in nicht geringer Menge in seinem Blut zirkulierenden Alkohol. Ich schätze, er war frustriert, weil er verloren hatte, und wollte diesen Frust abreagieren – das hätte allerdings auch passieren können, wenn er bei PacMan verloren hätte (nur hätte er sein Opfer dann vermutlich verschlungen).
Da der Tod eines Spielers bei "SmackDown vs. Raw" allerdings nicht möglich ist, musste die Presse aber auf ihr Lieblingswort "Killerspiel" verzichten und auf "Gewaltspiel" ausweichen. Verdammt, da denkt man sich schon einen möglichst umfangreichen Begriff aus, um besser polemisieren zu können, ohne zu recherchieren, und dann reicht das doch nicht aus… man hat’s als Journalist wirklich nicht leicht.

* Um rechtlichen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, betone ich hiermit, dass dies eine satirische, nicht ernst gemeinte Behauptung ist. Mir ist vollkommen klar, dass die drei Politiker entschieden gegen alle Tätigkeiten eintreten, die nachweislich Spaß machen, und daher sowohl einzeln als auch gemeinsam nicht fürs Onanieren zur Verfügung stehen.

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