Beutelgeher
Wenn man Informatik studiert und mit Jugendlichen redet, kriegt man immer eine bestimmte Frage zu hören. Nein, nicht "Du kriegst doch wahrscheinlich alle Weiber rum, oder?", auch nicht "Was ist das für ein Gefühl, so toll zu sein?" Die Frage ist: "Dann kannst du dich doch bestimmt in fremde Computer einhacken?" Ich pflege dann immer einen verwirrten Gesichtsausdruck aufzusetzen und zurückzufragen: "Warum zum Teufel sollte ich so etwas tun?" Bei Firmen oder staatlichen Einrichtungen bringt so etwas schließlich nur Ärger, und was auf Privatrechnern passiert, interessiert mich in etwa so sehr wie der aktuelle Börsenkurs für gefüllte Hamsterbäuche im Märchenland. Prompt wird mir aber die ultimative Motivation präsentiert: "Damit kannst du doch Bekannte ärgern!"
Vielleicht bin ich nicht normal, aber andere zu ärgern amüsiert mich überhaupt nicht. Da masturbiere ich lieber. Aber manche Menschen scheinen schon am frühen Morgen zu denken: "Wem kann ich denn heute wohl wieder auf die Nüsse gehen?" Das sind vermutlich die Typen, die die leere Milchpackung wieder in den Kühlschrank stellen, das Klopapier aufbrauchen und ihre Promenadenmischung direkt vor den Hauseingang scheißen lassen. Aber wenn man dann richtig auf diese Provokationen reagiert und die Verantwortlichen vierteilt, ist man vor Gericht wieder der Böse. Die Welt ist ungerecht.
Vermutlich besteht auch eine Verwandtschaft zu den Leuten, die anderen unbewusst auf den Beutel gehen, weil sie sich für den Nabel der Welt halten. Meistens findet man diese Exemplare unter Geschäftsleuten, die durch abstruse Kombinationen von Glück, Skrupellosigkeit und Wegelagerei finanziellen Erfolg und einen gewissen Einfluss erlangt haben und glauben, dass dieser Einfluss sich auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt. Das färbt allerdings dann auch oft auf ihre Lebensabschnittsgefährten ab. Erkennungsruf dieser Spezies ist das gefürchtete: "Wissen Sie nicht, wer ich bin?!", meist intoniert mit einer Mischung aus Triumph und Empörung. Die Empörung steigert sich allerdings auf Weißglutniveau, wenn man zaghaft "Ein Arschloch?" zurückfragt. Sollte jeder mal probiert haben, die Erinnerung an diesen Moment Millisekunden vor der Explosion trägt einen bis zum nächsten Wochenende. Tatsächlich scheint es aber tatsächlich über den Horizont dieser Menschen hinauszugehen, dass ihre (eingebildete) gesellschaftliche Stellung es eben doch nicht erlaubt, im Parkverbot zu stehen, mit 210 Stundenkilometer durch eine Spielstraße zu rasen, sich in einer Schlange vorzudrängeln oder das Studium einer Gebrauchsanweisung zu ersparen, bevor man einen armen Hotline-Telefonsklaven mit kraftvollen Argumenten á la "Ich habe über 100 Euro bezahlt, da muss ich nichts einrichten!" in den Suizid treibt.
Wo ich gerade dabei bin: das ist übrigens ein Lieblingsgrund für diese Leute, andere ihrem Willen unterzuordnen. Bei einer Freundin durfte ich erleben, wie ein leicht alkoholisierter Frührentner, der die Wohnung unter ihr belegte, sich bei ihr beschwerte, weil wir in ihrer Küche zu Mittag gegessen haben, als er schlafen wollte, dies aber mangels unserer Unterhaltung (in Zimmerlautstärke, wir sind schließlich inzwischen alles alte und gesetzte Menschen) nicht konnte. Er redete sich richtig schön in Rage, und ich hab genau gewusst, was kommen würde: "Ich zahle jeden Monat 1400 Euro Miete, und da kann ich ja wohl erwarten blubber mecker motz und bedingungslose Unterwerfung verlang..." Sich von seinem Vermieter bei der Miethöhe bescheißen zu lassen, ist eigentlich keine Eigenschaft, mit der man hausieren gehen sollte, und erst recht kann man daraus wohl keine Sonderrechte ableiten.
Die gleiche Argumentation findet man aber auch bei Typen, die sich aus führerscheintechnischen Gründen dazu herablassen müssen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Gegend zu gelangen. Da diese Leute mangels Lebenserfahrung zu blöd sind, Spartarife, Zeitkarten und ähnliches auszunutzen, zahlen sie natürlich für jede Fahrt den Maximalpreis. Und in ihren Augen erwerben sie damit das Recht, die ganzen anderen Fahrgäste von den Sitzen zu scheuchen. Natürlich werden sie immer ignoriert, was sie meistens zu unfeinen Kommentaren über die heutige Jugend (also alle unter 30) verleitet. Um seine Bewertung über meine Generation zu bestätigen, spiele ich oft mit dem Gedanken, ein, zwei Stationen weiter zu fahren als ich eigentlich wollte, nur damit der Knabe (oft mit pelztragender, überschminkter Gattin der Marke "Faltenbalg mit Selbstverleugnung") länger stehen muss. Manchmal möchte eben auch ich Leuten auf die Nüsse gehen.