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Für eine neue Spaßgesellschaft

Üblicherweise plädiere ich immer dafür, dass die Leute mehr nachdenken sollten. Heute will ich mal für das Gegenteil eintreten: Die Leute sollten über bestimmte Dinge weniger nachdenken. Die berühmte Muffeligkeit der Deutschen (und die weniger berühmte Muffeligkeit der restlichen Menschheit) würde vermutlich um einige Größenordnungen geringer und somit erträglicher sein, wenn die Leute nicht dauernd so viele Gedanken darauf verschwenden würden, was ihnen und anderen aus welchen Gründen Spaß macht und ob das denn jetzt überhaupt gesellschaftlich erlaubt ist. Ganz nebenbei würde es dafür sorgen, meine gelegentlich aufkeimende Mordlust meinen Mitbürgern gegenüber abzumildern.

Ein gewisser Quell der Zuversicht in der Kindheit war der Gedanke, irgendwann selbst erwachsen zu sein und sich nicht mehr den willkürlich erscheinenden Grenzen der elterlichen Erziehung unterwerfen zu müssen, was den Konsum von Schokolade und Spielzeug angeht. Sicher, dass das eigene Einkommen dem schrankenlosen Kaufrausch Einhalt gebieten würde, war zwar schon klar, aber bis zu diesem Punkt konnte man sich bestimmt kiloweise mit dem eindecken, wonach das Kinderherz begehrte, und wenn das Spielzeug dann doch mal langweilig werden sollte, könnte man bis in die Puppen Zeichentrickfilme gucken, ohne dass Mama einen irgendwann ins Bett schickt.

Natürlich ändert sich der Geschmack im Laufe der Zeit. Transformers etwa finde ich bei Weitem nicht mehr so vergnüglich wie als Elfjähriger, und ich würde auch nicht mehr früh aufstehen, um mir am Sonntag um halb sieben auf RTL Yogi Bear anzuschauen. Dennoch gibt es einige Dinge aus der Zeit vor dem Einsetzen meiner Pubertät, die mir auch heute noch ein gewisses Maß an Verzückung bescheren, und damit meine ich nicht den Unterwäschekatalog vom Otto-Versand. (Ich war frühreif, na und?)

Ein typisches Beispiel sind Lego-Bausteine. Kinder lieben Lego. Aber auch viele Erwachsene lieben Lego. Selbst Brad Pitt, David Beckham, Trey Parker, Britney Spears und Will.i.am (von den Black Eyed Peas) sind Lego-Fans. Es ist an sich auch gar nicht so verwunderlich, zumal Erwachsene vermutlich anders mit Lego „spielen“ als Kinder. Ich glaube, für Erwachsene ist es noch eher eine Art Puzzle mit mehr kreativen Möglichkeiten. Positiver Nebeneffekt: Lego-Sets sind inzwischen eine bessere Geldanlage als Gold.

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Das Teil wird mir meinen Lebensabend finanzieren. 70bff581.gif

Ein anderes Exempel sind Comics. Obwohl inzwischen ganze Generationen mit ihnen aufgewachsen sind und sich jahrelang bestens von ihnen unterhalten ließen, scheint es für viele geradezu unvorstellbar zu sein, dass Erwachsene tatsächlich noch Comics lesen könnten. Dabei ist Donald Duck eher noch lustiger, wenn man selbst (wie er) dauernd gefrustet vom Arbeitsalltag ist und sich mit aufmüpfigen Kindern, undankbaren Chefs, asozialen Nachbarn und einer zickigen Lebensabschnittsgefährtin herumärgern muss. Kein Wunder, dass über die Hälfte der Leser des Lustigen Taschenbuchs Erwachsene sind.

Aber selbst die Leser, die nicht auf Disney-Comics stehen, können unter vielen Titeln wählen, die für ein erwachsenes Publikum gedacht sind. Blöderweise sorgen diese in Teilen der normalen Bevölkerung gerne für einen Kurzschluss im Hirn: Die Themen in Comics für Erwachsene sind nichts für Kinder, dabei sind Comics doch für Kinder, also wenn in einer Sache für Kinder Themen für Erwachsene sind, dann ist das jugendgefährdend und somit Schund- und Schmutzliteratur, die am besten nicht offen in den Regalen ausliegen sollte. Immerhin erwärmen sich Journalisten allmählich für dieses Medium, auch wenn sie jeden Monat wieder blankes Erstaunen packt, wenn (wieder mal) eine Graphic Novel für ein erwachsenes Publikum erscheint und das dann als Anlass genommen wird, einen Artikel mit dem Titel „Mehr als nur Zack! Bumm! Krach!“ im Feuilleton zu platzieren. (Es gibt allerdings einen Comic, der vom Stigma der Bildgeschichten als Kinder- bzw. Schundliteratur in Deutschland unbefleckt ist: Jeder „Asterix“-Band wird von der breiten Masse so begierig gekauft, als wenn eine 500-Gramm-Tüte Crack beiliegen würde. Dabei gibt’s die nur in jedem siebten Band.)

Die Leute, die eine gewisse Affinität und Loyalität zu ihren Kindheitshobbys bewahren, stehen daher also immer vor dem Dilemma, ihre Interessen zu verheimlichen oder zu riskieren, dass ihnen ihre Mitbürger ungefragt mitteilen, wie kindisch das doch sei und dass sie sich besser von diesem Unsinn verabschieden sollten, falls sie das Privileg genießen möchten, von ihrer Umwelt ernst genommen zu werden oder gar beim anderen Geschlecht als Sexualpartner in die engere Auswahl zu kommen. Noch übler wird die Sache dadurch, dass diese Einteilung in „kindisch“ und „gesellschaftlich akzeptabel“ absolut willkürlich vorgenommen wird.

Wer sich als Manga- oder Animefan verkleidet und mit seinem Cosplay auf Conventions geht, ist ab einem Alter oberhalb der 20 für viele Menschen entweder ein Kinderschänder oder eine infantile Subkreatur. (Ich betreibe selbst ja kein Cosplay, weil ich für sexy Sailor-Moon-Kostüme zu unförmig und zu haarig bin. Aber ich sehe genug Leute, die das machen und auch gut darin sind.) Wenn sich jemand um die 35 herum allerdings in einem Karnevalsverein engagiert und jedes Jahr um die tollen Tage herum alkoholisiert im Worst-of aus der örtlichen Kostümabteilung durch die Straßen zieht, um schließlich auf einer Prunksitzung einen mehr oder weniger verschämten Blick auf die Höschen der Funkenmariechen werfen zu können, gilt er (zumindest in gewissen Regionen Deutschlands) als jemand, der einfach gesellig ist, Spaß versteht und eventuell sogar als Stimmungskanone durchgeht. Das ist noch weniger einleuchtend als das verzweifelte Festhalten einiger Männer an ihrem Porno-Schnurrbart, obwohl die Achtziger schon lange vorbei sind.

Ebenso ist es schwer nachzuvollziehen, wieso erwachsenen Videospielern der Mief des Unreifen anhängt, während kaum jemand es merkwürdig findet, dass Menschen sich regelmäßig einen Fanschal umbinden und zu einem Fußballstadion pilgern, um sich dort zu überhöhten Preisen vom Stehplatz aus anzuschauen, wie ein paar Millionäre auf dem Rasen einem Ball hinterherlaufen.

Ich will Fußballfans und Karnevalisten gar nicht ihre Hobbys madig machen, schließlich ist es prima, wenn Leute mit ihrer Freizeit was anzufangen wissen und sich nicht langweilen oder drogenabhängig oder Serienmörder werden. Aber dieses schnöselige Naserümpfen gegenüber anderen Hobbys, die als kindisch angesehen werden, sollte im Namen der gesellschaftlichen Fairness als unschöner Makel im gegenseitigen Umgang gelten, der mit harschen Worten und bei Bedarf auch mit Schlägen zunehmender Heftigkeit geahndet werden darf.

Die Leute sind heutzutage viel zu scharf darauf, sich aus absolut nebensächlichen Informationen ein komplettes Bild eines Menschen zu machen und damit dann sämtliche eingebildeten oder tatsächlichen Defizite dieser Person zu erklären. Jemand hat seit Jahren einen Niedriglohnjob und mal erwähnt, dass er Computerspiele mag? Klar, er kommt karrieremäßig nicht voran, weil er die Nächte nur vorm PC sitzt und zockt. Jemand ist Single und sammelt Star-Wars-Actionfiguren? Na logo, der ist einfach so infantil, dass er jede Frau in die Flucht schlägt. Eine Person reagiert oft mal verpeilt oder kriegt einige Sachen nicht mit, aber kauft sich regelmäßig das Micky-Maus-Heft? Kein Zweifel, er ist geistig zurückgeblieben!

Vielleicht stellt sich dann zufällig später heraus, dass der eine seinen Niedriglohnjob einfach gerne macht und für einen besseren Job seine heiß geliebte Heimat verlassen müsste. Eventuell bekommt man irgendwann mit, dass der andere deswegen Single ist, weil er bei einem romantischen Abend darauf besteht, ein Lied von PUR aufzulegen. Und die dritte Person ist schlicht und einfach schwerhörig und hat überhaupt keine geistigen Defizite. Man weiß es einfach nicht, und krampfhaft irgendwelche Verbindungen zwischen Hobbys und persönlichem Unglück ziehen zu wollen und dann tatsächlich auch noch laut zu äußern, ist nicht hilfreich, sondern wirft ein schlechtes Licht auf einen selbst. Wieso urteilen wir also mit dieser illusorischen Besserwisserei über die Hobbys anderer, obwohl jedem von uns im Prinzip doch sonnenklar ist, wie wichtig es ist, all die kleinen Dinge und Tätigkeiten zu haben, aus denen man Freude schöpft? Wie viele Leute verkneifen sich schweren Herzens die Sachen, die ihnen wirklich mal ein Lächeln ins Gesicht zaubern würden, weil sie Angst vor den Reaktionen ihrer Freunde, Verwandten und Kollegen haben?

Natürlich gibt es auch Grenzen, die ich hier auch deswegen ansprechen möchte, weil mir ansonsten zwanzig Mails mit Hinweis auf den zugegebenermaßen durchgeknallten Christian Weston Chandler ins Postfach flattern. Es ist vollkommen klar, dass man sein Hobby halbwegs realistisch betrachten sollte. Ich gehe auch davon aus, dass nach mehreren Jahrzehnten auf dem Erdenrund genug Lebenserfahrung angesammelt wurde, dass eine einzige Sache nicht mehr so aufregend sein wird, dass man ihr den kompletten Rest seiner Existenz widmen und anderen damit auf den Zeiger gehen will. Das gilt allerdings für jedes Hobby, ob es nun um Pokémon-Karten oder Motorräder geht. Ein harmloser Zeitvertreib hingegen sollte auch einfach als harmlos hingenommen werden, was ich insbesondere den Grobianen nahelegen will, die äußerst rüde, ja sogar gewalttätig reagieren, wenn ich ihre Freundinnen frage, ob ich ihre nackten, festen Brüste fotografieren und streicheln darf. Haben wir in unserer Welt denn kein Herz mehr für Toleranz? 1b38f9e2.gif

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