Das neue Dating-Lexikon
Zur normalen Entwicklung jeder lebendigen Sprache gehört es, dass neue Wörter ins Vokabular aufgenommen werden, zumeist um bestimmten Dingen und Konzepten Namen zu geben, die bisher keine griffige Bezeichnung hatten oder die es zuvor noch gar nicht gab. In den letzten Jahrzehnten ist es häufiger geworden, aus politischen oder gesellschaftlichen Gründen Wörter einzuführen, weil man irgendwas anprangern will. Und weil so viel heute aus den USA zu uns herüberschwappt, basieren auch bei uns diese Wörter häufig auf einem englischen Gerundium.
Bei gewissen sexuellen Fetisch-Handlungen war das vielleicht irgendwie einleuchtend, schließlich sind die Amis von Grund auf verdorben und nicht so keusch und rein wie wir teutonischen Übermenschen. „Pegging“ heißt, dass eine Frau ihren Typen mit einem Umschnalldildo in den Mastdarm pimpert. „Figging“ ist dagegen schon älter und stammt aus einer Zeit, als Pferdehändler halbtoten Gäulen geschälte Ingwerwurzeln in den Hintern steckten, damit die Schmerzen die armen Tiere lebendiger machen. Heute versteht man darunter in SM-Kreisen das Einführen von Ingwerwurzeln in menschliche Körperöffnungen unterhalb des Bauchnabels. Ihr dürft das gerne als Warnung verstehen, falls euch 50 Shades noch nicht genug von dieser Szene abgeschreckt hat. Aber natürlich beschränkt sich die Erweiterung des Vokabulars nicht auf Fetische, denn da ist das Aktivismus-Potenzial eher eingeschränkt.
Beim „Ghosting“ gab es eigentlich schon eine deutsche Formulierung: Sich einfach von jetzt auf gleich ohne ein Wort zu verpissen, bezeichnete man als „sich auf Französisch verabschieden“. Aber Ghosting klingt natürlich viel moderner und somit wie ein neues gesellschaftliches Phänomen, welches es anzuprangern gilt.
Dann kam „Gaslighting“, womit gemeint ist, dass man jemandem durch gezielte Manipulation glauben machen will, dass seine Wahrnehmung eines Sachverhalts oder seiner Umwelt falsch wäre, um ihn dazu zu bringen, sich mit dem zu arrangieren, was man ihm vorgibt. Ironischerweise sind heutzutage gerade diejenigen, die am häufigsten über Gaslighting jammern, auch diejenigen, die sich dieser Strategie am meisten befleißigen, um ihre Ideologie als einzige sanktionsfrei zu äußernde Perspektive durchzudrücken. Und so streiten sich Aktivisten vehement mit Medizin-Nobelpreisträgerinnen, die aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht glauben wollen, dass ein schlecht rasierter 50-jähriger Kerl im Fummel eigentlich eine Frau ist. Tja.
Richtig albern wurde es, als die Schwurbler sich „Fluid Bonding“ ausdachten. Das ist einfach Sex ohne Kondom. Oder besser: Sex mit bewusstem Verzicht auf Kondome. Man braucht ja dafür unbedingt einen eigenen Begriff. Das soll angeblich eine besondere Verbundenheit beinhalten, obwohl vermutlich der meiste Sex auf der Welt so stattfindet, und zwar auch ganz bewusst ohne Gummi. Afrika bondet so sehr fluid, dass sich in einigen Ländern alle paar Jahrzehnte die Bevölkerung verdoppelt. Und gerade in den USA hat man große Probleme, weil so viele Frauen spontan mit Männern fluid bonden und dann feststellen müssen, dass sich die Kerle aus dem Staub machen (siehe „Ghosting“), sobald der Schwangerschaftstest positiv ausfällt.
Als ich letztens über die Generation-Z-Website ZEITjUNG gestolpert bin, tat sich aber ein nahezu unerschöpfliches Endlager an bekloppten Kunstwörtern für „Dating-Phänomene“ oder gar „Dating-Trends“ auf. Da diese digitale Klapsmühle keine brauchbare Suchfunktion hat, habe ich Tante Google befragt und hoffe, damit einen guten Überblick über das Vokabular zu kriegen, das ich hier an euch weitergeben kann, damit ihr es sofort rechtzeitig vergessen habt, wenn eure Teenagernichte anfängt, diesen Quatsch auch zu benutzen.
Den Anfang macht „Benching“. Das dürften nicht nur Frauen kennen: Man wird von jemandem mit gelegentlicher Aufmerksamkeit davon abgehalten, ihn als unerreichbar abzuschreiben, nur um dann ewig auf der Ersatzbank in Reserve zu sitzen, ohne jemals zum Zug zu kommen. Man dient also eher als psychologisches Viagra für das Selbstwertgefühl des betreffenden Menschen und wird gelegentlich ausgenutzt, wenn’s ihm passt. ZEITjUNG zeigt bei dem Artikel übrigens eine gewisse Selbstreflexion.
Dabei wissen wir doch alle, dass es dieses „Zeitgeistphänomen“ mindestens so lange gibt wie das Dating selbst, und neuerdings nur mit einem möglichst „fancy“ englischen Namen aufgehübscht wurde. So war es beim Ghosting, so ist es diesmal wieder. Klingt lächerlich? Ist es vielleicht auch.
Doch dann bricht alles wieder in sich zusammen:
Aber irgendwie ist es trotzdem okay, dass es diese Begrifflichkeiten gibt. Sie helfen Betroffenen dabei zu verstehen, was mit ihnen passiert – und auch die „Bencher“ selbst können dadurch besser einordnen, dass es vielleicht nicht in Ordnung ist, was sie da tun. Manchmal hilft es eben, Dinge beim Namen zu nennen und Definitionen zu finden. Die einzige Gefahr besteht wohl darin, dass sie ein Verhalten, dass nichts andere als feige und asozial ist, zu einer Art Lifestyle-Phänomen aufwerten. Und irgendwann macht das dann plötzlich jeder – klingt doch irgendwie ganz cool, jemanden zu „benchen“. Sollte man vielleicht auch mal machen. Und sei es nur, um mitreden zu können.
Das ist voll feige und asozial, so was zu machen! Aber mach es trotzdem! Ganz prima gemacht, ZEITjUNG-Autorin. Alle sollten sich von dir fernhalten.
Danach kam „Breadcrumbing“. Auch hier meldet sich eine Person sporadisch und ruft sich somit wieder ins Gedächtnis, hier allerdings mit etwas anderer Ausgangslage: Eigentlich will man die Person vergessen, etwa nach einer Trennung, aber sie drängt sich immer wieder mit Kontaktversuchen ins Gedächtnis und hält so die alten Gefühle am Leben. Die Autorin weist aber darauf hin, dass das nicht nur in romantischen Beziehungen passieren kann, sondern auch bei Familienmitgliedern und Bekannten.
Einen Rückgriff auf das „Ghosting“ gibt’s bei der ZEITjUNG, wenn es ums „Orbiting“ geht. So nennen die Mädchen dort, wenn man geghostet wurde, aber diese Person einem trotzdem fleißig hinterherstalkt und jede kleine Aktion in den sozialen Medien verfolgt. Sie schwebt also im Orbit – weit genug weg, um direkte Kommunikation zu vermeiden, aber nah genug, um ständig zu beobachten.
Und weil wir schon bei Wörtern sind, die vielleicht etwas zu hochtrabend für das sind, was sie bedeuten sollen, wie wäre es mit „Hyping“? Dieser „Shit aus der Dating-Hölle“ heißt einfach, dass man sich bewusst einen Partner als Zwischenlösung sucht, bis sich wieder eine „richtige“ Beziehung ergibt. Kann natürlich ziemlich wehtun, wenn der Lückenfüller selbst ernsthafte Gefühle entwickelt hat.
Ist bisher alles zu verständlich? Vielleicht ändert sich das ja beim „Freckling“. Damit ist nicht das gemeint, was herauskommt, wenn Amerikaner das deutsche Wort „Frechling“ aussprechen wollen. Vielmehr soll das an Sommersprossen erinnern, die immer dann besonders zum Vorschein treten, wenn es warm ist und die Sonne scheint. Gemeint sind damit Sommerflirts, die sich immer dann pünktlich melden, wenn die Temperaturen wieder badefreundlich werden, und sich dann wieder verflüchtigen, wenn der Sommer (oder der dazugehörige Urlaub) dem Ende entgegengeht.
Unangenehm wird’s dann aber wieder beim „Love Bombing“. Da kann man sich die Bedeutung schon wieder einigermaßen erschließen: Man wird dauernd mit Liebesbotschaften bombardiert, was am Anfang ganz schön ist, aber nach einer Weile schon extrem auf den Zeiger gehen kann. Schlimmer: Wenn man nicht wie erwartet darauf reagiert (oder zu spät), wird diejenige Person richtig zickig oder gar bedrohlich.