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Das neue Dating-Lexikon

Um „Gatsbying“ auf Anhieb zu verstehen, muss man schon kulturell gut zu Fuß oder ziemlich versnobt sein, denn das Wort bezieht sich auf den Roman „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald, der auch mehrmals verfilmt wurde. Im Endeffekt geht’s aber nur darum, sich in den sozialen Medien mit ausgewählten Bildern besonders gut darzustellen, um in erster Linie seinen Schwarm zu beeindrucken.

Wer mit dem großen Gatsby nichts anfangen kann, sollte aber nicht hoffen, das Defizit mit „Das Boot“ ausgleichen zu können, wenn es um „Submarining“ geht. Das Wort benutzt man offenbar, wenn sich jemand nach einer Verabredung nicht mehr meldet, dann aber nach längerer Zeit wieder ohne Erklärung oder Entschuldigung auftaucht und gerne nahtlos da weitermachen möchte, wo man aufgehört hatte. Wer weiß, wie gering die Überlebenschancen deutscher Uboot-Matrosen im Zweiten Weltkrieg waren, könnte immerhin eine leichte Ahnung davon haben, wie gut die Erfolgsaussichten sind, mit diesem Submarining durchzukommen.

ZEITjUNG informierte im vergangenen Januar darüber, dass der Winter die „Cuffing“-Saison ist. Damit ist gemeint, dass man in der kalten Jahreszeit gerne kuscheln will. Warum man das nicht einfach sagen kann, ist mir schleierhaft. Aber immerhin verwöhnt uns der Artikel noch mit Wortschöpfungen wie „Wintimacy“.

Im Monat danach konnten wir dann erfahren, was sich hinter „Stashing“ verbirgt. Damit ist gemeint, dass die Beziehung vom Partner versteckt wird. Freunde und Familie wissen nichts davon, dass man mit der Person Intimitäten austauscht, es gibt keine gemeinsamen Bilder in den sozialen Medien – im Endeffekt wirkt es so, als wäre man die heimliche Affäre. Halbwegs verständlich, wenn der andere ein Promi wäre und man so vor Paparazzi geschützt werden soll, ansonsten ein riesiges Alarmsignal.

Nach einigen Monaten Pause hatte ZEITjUNG wieder genug Wörter erfunden ausgegraben, um die Leserschaft erneut weiterzubilden. Wer aber bei „Apokalypting“ rät, dass es darum geht, in einer Beziehung alles schwarz zu sehen, der irrt sich. Wäre auch zu naheliegend. Stattdessen soll das heißen, dass man schon bei der ersten Verabredung die gesamte Lebensplanung inklusive Hochzeit und Vermehrung fertig hat und nur noch umzusetzen gedenkt, was natürlich abschreckend auf die andere Person wirken könnte.

Das nächste Wort ist „Phubbing“, ein Kofferwort aus den Bestandteilen „Phone“ und „Snubbing“ („to snub“ heißt so viel wie „brüskieren“ oder „vor den Kopf stoßen“). Da kann man sich schon fast denken, was damit gemeint ist: Man trifft sich mit jemandem, und diese Person hat nur Augen fürs Handy. Schon fast schade, dass es das Phänomen mit Büchern oder E-Book-Readern nicht gibt, sonst wäre vielleicht der Begriff „Bubbing“ entstanden. Aber vielleicht kommt das ja noch im neuen Jahr auf ZEITjUNG.

Wer bei „Groundhogging“ an den Film „Groundhog Day“ denkt, der bei uns „Und täglich grüßt das Murmeltier“ heißt, der liegt gar nicht so falsch. Laut ZEITjUNG nennt man damit die Angewohnheit, dank festgefahrener Vorlieben immer die gleiche Art von Partnern zu suchen und dabei vorhersehbar immer wieder auf die Schnauze zu fallen, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen. Boris Becker kann ein Lied davon singen, aber auch viele Frauen, die nach jeder gescheiterten Beziehung darüber klagen, dass ihr letzter Partner ein Arschloch war, aber sich dann wieder ein Arschloch suchen, was sie dann irgendwann zu der Schlussfolgerung führt, dass alle Männer Arschlöcher wären.

Beim „Hardballing“ besteht Verwechslungsgefahr. Aber dass Männer erst geil gemacht werden, ohne ihnen dann eine Erlösung zu gönnen, was zu sehr schmerzenden Hoden führt, heißt „Blueballing“. Dummerweise ist die Definition von „Hardballing“ etwas schwammiger: Jemand ist bei der Partnersuche kompromisslos ehrlich. Das bezieht sich wohl in erster Linie darauf, ob man eine feste Beziehung, was Lockeres oder eine Fickfreundschaft haben will und sein Gegenüber nicht zu täuschen versucht. Jetzt kann man „to play hardball“ durchaus unter Umständen auch mit „kompromisslos handeln“ übersetzen, aber da es eigentlich eher um die Ehrlichkeit geht, muss ich die Begriffswahl für dieses „Dating-Phänomen“ stark kritisieren.

Mit „Sneating“ hat ZEITjUNG etwas gefunden, dem selbst nach deren eigener Erkenntnis vornehmlich Männer zum Opfer fallen. Mit dieser Verschmelzung aus „sneaky“ und „eating“ ist gemeint, dass man sich nur deswegen mit Typen verabredet, um von ihnen zum Essen eingeladen zu werden und sich danach mit vollem Bauch wieder zu verdrücken, ohne wenigstens Loch zu geben.

Der nette Bruder vom „Ghosting“ heißt „Caspering“. Nach dem freundlichen Geist, ihr versteht. Ganz so freundlich wie die ZEITjUNG-Autorin es darstellt ist es aber dann doch nicht: Anstatt sich kommentarlos zu verpissen, erzählt man hier dem Verlassenen, wieso man ihn abserviert. „Es liegt nicht an mir, es liegt an dir“ ist allerdings nichts, was ich mit dem freundlichen Geist in Verbindung bringen würde.

Was ZEITjUNG erst in diesem Jahr entdeckt hat, wurde auf der Website vom Focus schon 2018 und 2019 angeprangert: „Mosting“. InFranken.de bezeichnet es gar als „grausamsten Dating-Trend des Jahres“. Aber was ist es denn nun? Einfach gesagt, ist es „Love Bombing“ plus „Ghosting“. Man wird mit Komplimenten und Liebesschwüren überschüttet, und dann verdrückt sich die Person einfach. Sicherlich kein feiner Zug, aber so ganz will mir auch nicht einleuchten, wieso das an der Spitze aller möglichen Grausamkeiten liegen sollte und warum das plötzlich ein Trend wäre.

Wer glaubt, „Tuning“ hätte nur was mit der Leistungssteigerung von technischem Gerät zu tun, der wird von den Schreibern der Website eines Besseren belehrt. Stattdessen ist „ein*e Tuner*in“ jemand, der die Kennlern- und Fummelphase unbegrenzt streckt, ohne sich irgendwann darauf festzulegen, was die Beziehung eigentlich sein soll. Und wenn ich Erzählungen aus meinem Bekanntenkreis glaube, ist ein eigenes Wort dafür schon deswegen total überflüssig, weil das anscheinend heutzutage das Standardvorgehen ist.

„Curvy“ wird heute oft als ein Euphemismus für „schwabbelig“ verwendet, aber „Curving“ hat damit nichts zu tun. Einer Frage auszuweichen und lieber das Thema zu wechseln, muss ja unbedingt ein eigenes englisches Wort haben.

Mit „Zombieing“ sind wir dann auch vorerst beim letzten Wort angelangt. Endlich. Dieses Wort wird dann verwendet, wenn jemand einige Zeit nach dem „Ghosting“ wieder angeschissen kommt und gerne die Beziehung fortsetzen/erneuern möchte. Und ich bin sicher, ihr habt euch gerade gefragt: „Moment, gab’s dafür nicht schon zwei bis acht Wörter in der Liste?“, denn mir ging’s auch so.

Wo ich am Anfang noch annahm, dass die Wörter überflüssig seien, so bin ich jetzt felsenfest überzeugt, dass sie überflüssig sind, zumal eine beträchtliche Anzahl davon sich allein darum zu drehen scheint, dass sich jemand verpisst, aber nicht richtig oder nicht endgültig. Und natürlich ist die reine Form ermüdend. Ich fühlte mich dauernd an die alten Far-Out-Sketche bei RTL Samstag Nacht erinnert, in denen Mirco Nontschew und Tommy Krappweis ausgedachte Extremsportarten wie „Extrem Versteckspieling“, „Extrem Fernbediening“ oder „Extrem Reise nach Jerusaleming“ vorstellten.

Dass diese inflationäre Erweiterung des Liebeslexikons tatsächlich dazu beitragen wird, den zwischenmenschlichen Umgang mittelfristig zu verbessern, weil es plötzlich Wörter gibt, mit denen man allerlei Sachen theoretisch ohne große Erklärungen anprangern könnte, dürfte eine aussichtslose Hoffnung sein. Und so möchte ich mit einem weiteren –ing-Wort eine Alternative vorschlagen: Victim-Blaming. Die rosarote Brille abzunehmen, bevor man sich jemandem hingibt, könnte nämlich auch mal dabei helfen, nicht so oft in die Scheiße zu greifen.

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