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Ist dein Profiltext Müll?

Das Internet liebt Leute, die sich selbst gut darstellen können. Ein großer Teil der Influencer-Szene besteht aus Leuten, bei denen eine hervorragende Präsentation dominiert und oft effektiv verschleiert, wie wenig Substanz sich in den Inhalten versteckt. Oft sind es die Medienplattformen selbst, die das befördern: Kurzvideos lassen nicht viel Platz für Inhalt, aber bieten genug Raum, um die Neuronen der Zuschauer kurz und heftig feuern zu lassen, indem man sich gekonnt inszeniert. Dieses Übergewicht der Inszenierung der eigenen Person ist gar nicht neu: Theater, Musik, Film, Fernsehen – in all diesen Bereichen ist Selbstdarstellung ebenfalls eine Grundvoraussetzung für Erfolg. Sie ist eine Zutat zu dem, was man bei uns als Präsenz oder das „gewisse Etwas“ bezeichnet, der englische Begriff „X Factor“ wurde gar zum Namen einer weltweit in mehreren Versionen aufgelegten Casting-Show, bei der es wie bei DSDS, GNTM, „Supertalent“ oder „Popstars“ nicht nur um das Können ging, sondern um die Ausstrahlung. Und wenn man an schillernde Persönlichkeiten wie Oscar Wilde oder Truman Capote denkt, ist Selbstdarstellung auch für Literaten eine Fähigkeit, die nicht schaden kann, um erfolgreich zu sein. (Bei manchen Autoren scheint es die einzige Fähigkeit zu sein, um ihren Erfolg zu erklären, denn die Qualität der Bücher kann’s nicht gewesen sein.) Und natürlich kommt man ohne Selbstdarstellung auch in der Politik kaum nach oben, was wohl auch eine Motivation ist, sich Doktortitel notfalls zu erschummeln, um seine eigene Aura etwas aufzupolieren.

Ich bin nicht sonderlich gut darin, selbst für meine Großartigkeit zu trommeln. Vermutlich hätte ich viel mehr Erfolg im Leben, wenn ich metaphorisch gesprochen mein gigantisches Gemächt prominenter präsentiert und so die Leute davon überzeugt hätte, dass es sich lohnt, mir Aufmerksamkeit zu schenken. Wie ich gelesen habe, ist es bei Leuten, die in Diktaturen aufgewachsen sind oder von Eltern aus Diktaturen erzogen wurden, aber auch nicht ungewöhnlich, dass man eher auf Zurückhaltung gepolt ist, weil es in Diktaturen gefährlich ist, zu sehr aufzufallen und aus der Masse herauszustechen. Zumindest ist das meine Ausrede, um mich nicht selbst zu sehr mit meinen eigenen Defiziten auseinandersetzen zu müssen.

Aber auch wenn man keine Prominenz mit großem Publikum anstrebt, muss man heutzutage genauer hingucken, wie man sich selbst präsentiert. Im echten Leben ist es schon eine Selbstverständlichkeit, dass man sich bemüht, sich im besten Licht zu zeigen. Keiner geht zu einem Rendezvous oder Vorstellungsgespräch mit dreckigen Klamotten, während ihn eine Wolke des wochenlang nicht durch Seife getrübten Körperaromas umweht. Man schnippt seine Popel nicht durch den Raum an die Fensterscheibe und kratzt sich nicht ungehemmt zwischen den Beinen, während man mit breitem Grinsen die Sekretärin anzwinkert.

Im Internet muss man auf die Äußerlichkeiten nicht ganz so achtgeben, schließlich kommt der beißende Geruch nicht durch die Leitung und außerhalb von Videos bekommt auch keiner mit, wenn man beim Surfen mal nebenbei die liebgewonnenen Sackratten krault. Aber nahezu jedes soziale Medium erwartet von seinen Nutzern, eine kleine Selbstbeschreibung anzugeben, damit die Leute wissen, mit wem man es zu tun hat. Diese Mini-Biografie spielt natürlich auch eine Rolle, um neue Verbindungen zu anderen Nutzern zu knüpfen. Dabei ist oft gar nicht so wichtig, dass das, was da in diesen wenigen Zeilen steht, für andere Nutzer positiv ist, sondern ob da etwas steht, was andere Nutzer negativ auffassen. Gerade bei politischen Ansichten wird da gerne ausgesiebt, um das Konfliktpotenzial im Bekanntenkreis klein zu halten.

Nun haben wir nur einen sehr begrenzten Einfluss darauf, was andere von uns denken und welche Person wir in ihren Augen sind. Und doch sind diese Vorstelltexte und Mini-Biografien ein Spiegel dessen, wie wir uns selbst sehen und wie wir von anderen gesehen werden möchten. Man hat eine begrenzte Anzahl von Zeichen zur Verfügung, um der Welt zu sagen: Das bin ich. So bin ich. Das sind Dinge an mir, die mir selbst wichtig genug sind, dass andere sie kennen sollten, und die ein Bild von mir vermitteln, das so positiv ist, wie ich mich selbst gerne sehe.

Natürlich kann einem das auch egal sein, wenn man sich auf solchen Seiten einfach nur anonym bewegen will, gerne mal seinen Instinkten folgen und dabei all die Gemeinheiten ablassen möchte, die man sich sonst nur zu denken traut, weil man nicht als Unhold gelten oder verklagt werden will. Allerdings machen sich Imageboards für solche Sachen besser, da muss man nicht erst ein Profil erstellen und kann sofort seinen angestauten Frust über andere Leute ablassen. Man muss sich dann aber schon recht sicher sein, dass niemand eine Verbindung zur realen Person herstellen kann oder will, und das ist bei den üblichen sozialen Netzen schon dank NetzDG und anderen Gesetzen nahezu ausgeschlossen. Also bleibt einem doch nur, sich in der Selbstdarstellung halbwegs wie ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu präsentieren, und wenn man sich schon Mühe gibt, nicht ganz asozial rüberzukommen, kann man gleich den Extraschritt gehen und sich möglichst gut darstellen.

Was ich auf Twitter oder anderswo in den Mini-Bios sehe, ist oft abschreckend für mich. Wenn das Wichtigste an jemandem nach eigener Aussage sein Geschlecht, seine Herkunft, seine Nationalität, seine sexuelle Ausrichtung, seine politische Verortung, seine Religion oder seine Ernährung ist, dann ist der Mensch vermutlich nicht nur uninteressant, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch komplett unausstehlich. Sind all diese Sachen, die man selbst aktiv kaum gestalten kann (oder quasi hineingeboren wurde), tatsächlich das, auf das man zuerst hinweisen will? Hat man nichts Besseres mit seinem Leben angefangen, auf das man mit Freude, Zufriedenheit oder gar Stolz hinweisen kann?

Sag, was du machst, was dich bewegt, was dich antreibt, anstatt zu schreiben, was du einfach so bist. Ich glaube, das ist auch für das Selbstwertempfinden am besten, weil es einem das Gefühl gibt, dass man in gewisser Weise Kontrolle über sein Leben hat. (Viele Depressionen und psychische Traumata lassen sich unter anderem auf das Gefühl der Machtlosigkeit und des Kontrollverlusts zurückführen, dem Empfinden, sein eigenes Schicksal nicht bestimmen zu können.)

Du bist schwul und restaurierst gerne alte Motorräder? Dann schreib, dass du Motorräder vor dem Schrott rettest. Mach nicht deine Sexualität zum Zentrum deiner Identität, um das alle anderen Aspekte an dir kreisen. Sei kein Schwuler, der was macht, sei ein Macher, der nebenbei schwul ist. Und selbst das muss man nicht unbedingt erwähnen. (Egal ob hetero- oder homosexuell, die ausdrückliche Erwähnung im Profiltext erweckt fast unweigerlich das Gefühl, dass die Person auf Partnersuche ist.)

Du bist Supermodel? Natürlich werden bei dir zuerst „schöne Frau“ denken, aber schreib nicht „Frau“ in deine Twitter-Bio, sondern „Model“. Modeln ist ein verdammt harter Job. Es ist nicht leicht, seinen Körper so fit zu halten, dass er dem entspricht, was Leute gerne sehen wollen. (Natürlich lügen Leute oft, was sie gerne sehen wollen, aber seien wir mal brutal ehrlich: Dicke Frauen werden trotz GNTM-Gewinn im Modelbusiness keine große Chance haben.) Du hast viel Arbeit in deinen Körper investiert, sei stolz drauf, wenn du es schaffst in dieser Branche.

Du bist nicht stolz auf deinen Job, aber du hast viel Freude daran, Lego-Modelle zu bauen oder Blumen zu zeichnen, und zeigst sie gerne? Dann schreib das in deine Selbstdarstellung, denn das macht dich interessanter, als zum Beispiel deine Landesfahne anzugeben. (Eine Ausnahme kann sein, dass dein Land gerade wegen einer extremen Krise in den Nachrichten ist und du deine persönliche Verbundenheit zu der Tragödie ausdrücken willst. Eine andere Ausnahme ist, wenn die Flaggen einfach nur zeigen sollen, in welchen Sprachen man dich anschreiben kann, wenn das nicht schon an deinen Beiträgen erkennbar ist.)

Es gibt einen netten Nebeneffekt, wenn man gewisse Aspekte der eigenen Persönlichkeit in seiner Selbstdarstellung aus dem Rampenlicht nimmt: mehr Freiheit. Denn wenn man sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu sehr auf die Fahnen schreibt, weckt das gewisse Erwartungen innerhalb und außerhalb der Gruppe. Wer etwa stolzer Moslem ist und das auch verkündet, muss sich darauf gefasst machen, dass andere von einem erwarten, all die Grässlichkeiten zu erklären, die die Glaubensbrüder im Namen der Religion verüben. Und zusätzlich muss man sich gegenüber den anderen Moslems rechtfertigen, wenn man sich ihrer Meinung nach nicht so ganz korankonform verhält.

Wer einer bestimmten Partei zugetan ist, tut gut daran, das nicht zum Kern seiner Selbstdarstellung zu machen (es sei denn, man ist Politiker), weil sonst jede bekloppte Idee von Parteibonzen die Erwartungshaltung in der Umgebung schürt, dass man halbwegs nachvollziehbar erklärt, warum man a) diesen Quatsch mitträgt oder b) noch nicht aus diesem Deppenverein ausgetreten ist. Und wenn man es wagt, sich ausdrücklich gegen Schnapsideen zu stellen, wird man von den eigenen Parteigenossen viel heftiger attackiert, weil sie einen als Verräter und Nestbeschmutzer sehen und die Chance wittern, ihren eigenen Status in der Partei zu erhöhen, indem sie jeden Scheiß verteidigen und gleichzeitig wie Bluthunde auf die losgehen, die sie nicht als Vertreter der reinen Lehre identifiziert haben.

Und natürlich gilt auch: Wer an prominenter Stelle in seiner Selbstauskunft angibt, irgendeiner Aktivistengruppe (zum Beispiel der Initiative „Kameras für heiße Lesben“) anzugehören, sollte nicht überrascht sein, wenn Leute versuchen, jeden Beitrag danach zu analysieren, ob er irgendeine versteckte Botschaft enthält, die die Agenda dieser Initiative vorantreiben soll oder als geheimes Erkennungssignal für Gleichgesinnte dient, selbst wenn man nur schreibt, dass schon wieder die Papiertonne voll war und es wirklich eine ungeheuerliche Frechheit vom Universum ist, so etwas zuzulassen. (Es ist natürlich ebenfalls eine ungeheuerliche Frechheit, heiße Lesben nicht mit Kameras auszustatten.)

Wie Paul Watzlawick es formulierte: Man kann nicht nicht kommunizieren. Selbst ein leeres Profil signalisiert etwas (zum Beispiel „Sei nicht so neugierig, du Sack“), also muss man sich selbst in diesem Fall überlegen, ob es für einen in Ordnung ist, so einen Eindruck bei anderen zu hinterlassen. Andererseits kann dieser Eindruck noch besser sein als der, den man eventuell hinterlassen würde, wenn man seine Kurzbiografie brutal ehrlich ausfüllt. Ich kann mich an diverse Profile erinnern, in denen ein gewisser Männerhass geradezu genüsslich zelebriert wurde, was einem bei gewissen Organisationen vielleicht sehr lukrative Posten einbringen kann, aber für normale Menschen eher abschreckend ist. Das soll aber jetzt nicht heißen, dass man seine Kurz-Biografie stattdessen mit stumpfen Sprüchen aus dem Poesiealbum oder „inspirierenden“ Zitaten berühmter Leute auffüllen sollte, denn wenn ich an der Stelle so etwas lese wie „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“, hab ich unweigerlich das Gefühl, dass die Person zumindest geistig eine Zwölfjährige ist, und das ist nur dann schmeichelhaft, wenn man jünger als zwölf ist.

Natürlich ist mir klar, dass ich mit dem Text nicht die Leute erreichen werde, die ihn am dringendsten lesen sollten. Aber vielleicht geschehen ja doch noch Wunder – oder ich erreiche zumindest Gleichgesinnte, die sich ein ähnliches Augenrollen nicht verkneifen können, wenn sie in fremden Profilen so was wie „stolzer Deutscher“, „nur vegan ist human“ oder „schwul und das ist gut so“ lesen. Für diese Leute: Hallo. Du bist nicht allein.

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