Kleine Monster
Im jedem Jahr geht durch die Medien dieselbe Hiobsbotschaft: Deutschland ist zu kinderfeindlich. Das stimmt auch. Familien mit Kindern haben es schwer, Wohnungen mit Spielplätzen zu finden, Kindergarten kostet ein Scheißgeld, was man im Leben für Schulbücher ausgibt, reicht für einen Porsche - alles bereits bekannt, und es sollte dringend Abhilfe geschaffen werden.
Manchmal hab ich allerdings den Eindruck, Deutschland ist noch nicht kinderfeindlich genug, denn diese kleinen Wesen, welche angeblich voller Unschuld und ohne böse Arglist sind, werden regelmäßig für terroristische Aktivitäten eingesetzt. Nein, ich rede nicht von palästinensischen Selbstmordattentätern im Schulbus, ich rede von den Medien.
Die Werbung präsentiert uns ein eigenartiges Zerrbild von kleinen Menschen: sie sind grundsätzlich dauerlispelnd (warum?) und dauernervend (warum!?), meistens blond und ziemlich doof. Oder hat einer von euch mal gedacht, dass die kleinen Kinder aus der Knorr-Werbung, die sich die dämlichsten Beleidigungen an den Kopf werfen, bis der eine seinen Lebensmittelpunkt aus dem Haus verlagern will, niedlich sind? Dachte ich mir. Oder die kreischende Bande, die die Eltern vor dem Bildschirm dazu bringen will, Fruchtzwerge zu kaufen. Ich bin gewaltlos erzogen worden und habe auch vor, meine Leibesfrüchte ohne Gewalt zu erziehen. Bei diesen Obstquark-Revoluzzern würde ich allerdings eine Ausnahme machen. Und wo wir grad dabei sind: Ich find auch dauerndes Babygebrabbel nicht süß, und ich habe mir allein aufgrund der Werbung geschworen, nie einen Opel zu kaufen, so lange mit dieser Masche Käufer gewonnen werden sollen.
Mein momentaner Hassbolzen Nummer 1 ist aber natürlich Mia-Sophie, die mir und dem Rest der Republik mit ihrem entsetzlichen "Fruchtalaaaarm!" so auf die Nerven, Eier, Kekse und sonstige andere Objekte geht, wie man es bisher kaum für möglich gehalten hätte. Als wenn die Dauerbeschallung in der Werbung nicht reichen würde, musste unbedingt auch noch eine CD mit dem Fruchtalarm-Lied rauskommen (eine umgedichtete Variante von "Drei Chinesen mit dem Kontrabass", wahrscheinlich von Lukas Hilbert, dem ich grundsätzlich jede musikalische Abartigkeit zutraue). Und ich möchte hiermit offiziell einen Gesetzentwurf anregen, wonach Käufer dieser CD jeglichen Anspruch auf eigene Kinder oder den Umgang mit fremden Kindern verwirken. Den möchte ich übrigens auch der Musikindustrie untersagen, die für die atonale Entgleisung namens "Fruchtalarm-Lied" verantwortlich ist. Seitdem Krokodil Schnappi ganz furchtbar erfolgreich wurde und französische Kinderlieder es aus mir unerfindlichen Gründen in die Charts geschafft haben, wird anscheinend krampfhaft versucht, Kinder im Vorschulalter in die Tonstudios zu prügeln, damit man ordentlich Geld machen kann und statt branchenüblicher Honorare mit einem Lutscher und einem billigen Teddybären als Lohn davon kommt. Die Kleinen dagegen werden von ihren Eltern und fehlgeleiteten Fans mit so viel Lob überschüttet, dass ihr Ego eine eigene Vorwahl bekommt - Schnappi-Sängerin Joy soll laut diverser Musikjournalisten schon im zarten Alter von nicht mal 10 Jahren einen ausgeprägten Divencharakter entwickelt haben, der tiefgehenden Hass rechtfertigt.
Aber auch ohne so direkte kommerzielle Ausbeutung sorgen Erwachsene dafür, dass man Kinder hassen lernt. Man kennt es aus Weihnachtsbeiträgen in Boulevardsendungen des Fernsehens: Kinder werden gefragt, was sie sich zu Weihnachten wünschen, was sie vom Weihnachtsmann halten und ob sie brav waren. Oder es gibt stinkend faule TV-Redakteure, die für eine Dokumentation ein Thema vorgesetzt bekommen, welches im Allgemeinen mit Kindern assoziiert wird (Pokemon, Dragonball, diese Bändchen zum Flechten, die vor einiger Zeit mal angesagt waren...). Und diesen faulen Redakteuren fällt natürlich nichts Besseres ein, als kleine Kinder (am besten im Vorschulalter) erklären zu lassen, worum es bei diesem Thema geht. Das Resultat ist immer gleich: Unartikuliertes Gelalle, keine vollständigen Sätze, gehechelt vorgetragen und ohne jeglichen Sinn. Informationsgehalt ist nicht vorhanden und dem Zuschauer hat die Sache auch nichts gebracht - aber ändert sich mal was? Tatsächlich ist es eher noch schlimmer geworden, obwohl man zu jedem Thema auch einen Erwachsenen findet, der sich damit auskennt und sich auch sachlich dazu äußern kann. Aber ist ja schließlich auch einfacher, wenn man sich im gepflegten Unverständnis suhlen kann, um von oben herab zu urteilen.
Bisher hab ich ja nur Sachen genannt, bei denen Kinder von Erwachsenen benutzt werden, um eigene Unzulänglichkeiten zu vertuschen und trotzdem Geld zu verdienen. Ganz schlimm ist es aber auch, wenn ein Kind mal verschwindet oder Opfer einer Gewalttat wurde. Plötzlich gibt es nur noch den "kleinen Tobias", die "kleine Stefanie", den "kleinen Horst" - und dem kleinen Christian geht das ganz stark auf den Sack. Gibt es dann plötzlich keine anderen kleinen Stefanies mehr? Müssen Nachrichtenschreiber unbedingt versuchen, eine falsche Vertrautheit aufzubauen, weil die Nachricht als solche sonst vielleicht nicht schlimm genug ist? Können die nicht einfach ihre Arbeit machen und mir Informationen geben, anstatt mich emotional rühren zu wollen? Es war ein Kind, also war es natürlich klein. Gerade deswegen muss man das nicht betonen. Komischerweise redet nie jemand vom "alten Erich", sobald ein Rentner im Stadtpark ermordet wird. Wo wir grad dabei sind: Ich brauche auch keine überdeutlichen Beschreibungen, was der Mörder mit dem Kind angestellt hat. An so etwas geilen sich sowieso nur Perverse auf. Bei solchen Fällen sind nicht mehr als vier Nachrichten nötig:
- Das Kind ist weg, und man vermutet eine Straftat.
- Das Kind wurde tot gefunden.
- Man hat den Täter gestellt.
- Er wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
Punkt 4 wünsche ich mir auch für die vorher genannten Verantwortlichen in der Werbe- und Musikindustrie sowie für die besagten faulen Redakteure. Danke sehr.