Erziehungsberechtigungen
Im Leben eines Mannes gibt es gewisse Dinge, die er unbedingt tun sollte. Ein Haus bauen, eine Familie gründen und einen Baum pflanzen. Bisher habe ich noch nichts davon geschafft. Bei manchen Leuten wünscht man sich aber, dass sie den Teil mit der Familie nie realisiert hätten. Um es mal unverblümt zu sagen: Viele Eltern haben eine gehörige Klatsche.
Das fängt schon bei der Benennung der Lendenfrüchte an. Auch wenn Anne und Jan in den Ranglisten der häufigsten Vornamen immer noch weit oben rangieren, ziehen offenbar immer mehr Eltern den IKEA-Katalog oder Schmuddelfilme zu Rate. Im Jahr 2005 wurden mehr Jungs Lasse, Malte oder Kjell genannt als Christian, was ich sehr skandalös finde. Welcher Sadist nennt seinen Sohn denn bitteschön Kjell? Kjell! Ich hab den Namen vorhin bei der Recherche zum ersten Mal gelesen und hasse ihn schon. Bei den Mädchennamen wimmelt es von Veroniques, Jaquelines, Chantals, Jolines, Viviennes und Leticias – wenn ich ins Klassenbuch meiner Mutter gucke, sieht es eher nach der Inventarliste eines französischen Edelbordells aus.
Man sollte meinen, dass sich die Eltern nach dieser Demütigung ihrer Kinder wenigstens aktiv Mühe geben, nicht auch noch das restliche Leben ihrer Nachkommen zu versauen. Aber nein, da sind die Kinder viel zu anstrengend und rennen und springen jauchzend und singend durch die Gegend. Also schleppt man sie zu irgendeinem Quacksalber, der ohne genau hinzuschauen die Diagnose ADHS aus dem Ärmel schüttelt und kiloweise Ritalin verschreibt, damit der kleine Mensch lethargisch und drogenabhängig durch die Grundschule gezogen werden kann. Und wenn der Stammhalter Schwierigkeiten dabei hat, Lesen zu lernen, denken viele Eltern nicht etwa daran, mit ihm zu üben oder ihm mal ein paar spannende Bücher in die Hand zu drücken. Nein, stattdessen geht es wieder zu einem Arzt, der leichtfertig eine Legasthenie diagnostiziert, weil er keinen Bock auf die langwierige Analyse hat, an deren Ende er den Eltern vermutlich doch nur sagen könnte, dass ihr Sonnenschein keine Leseschwäche hat, sondern einfach nur faul und blöd ist. Wie respektlos diese leichtfertigen Diagnosen gegenüber Leuten sind, die wirklich mit ADHS und Legasthenie leben müssen, könnte ich ohne deftige Beschimpfungen wohl nicht in Worte kleiden, deswegen lass ich das lieber sein.
Umso erstaunlicher ist es, wie viel Energie die Eltern aufwenden, um sich mit den Lehrern ihrer Sprösslinge anzulegen, anstatt sie in die Kinder selbst zu investieren. In jedem Schuljahr werden Lehrer von den Eltern vollgeflennt, weil wegen der vielen Bücher die Schultaschen zu schwer wären. Würden die Erzeuger ihren Augensternen beibringen, täglich nur das einzupacken, was in der Schule gebraucht wird (deswegen gibt’s schließlich Stundenpläne), und kiloweise Spielzeug daheim zu lassen, wären die Taschen so leicht, dass die Kinder beim leichtesten Windhauch vom Boden abheben könnten. Und um am Nachmittag keine Übungen mit den hauseigenen ABC-Schützen machen zu müssen, damit der Nachwuchs nicht schon in der Grundschule versagt, denken sich Eltern gerne weltfremde Ideen aus, mit denen Lehrkräfte die geistigen Defizite verschleiern sollen. So bat ein Vater eine Kollegin meiner Mutter kürzlich darum, die Klasse seines Kindes in drei Gruppen von "klug" bis "strohdoof" einzuteilen und bei jeder Leistungsüberprüfung die Gruppen einzeln zu bewerten, so dass ein Kind aus der dümmsten Gruppe ein "Sehr gut" bekäme, obwohl es objektiv gerade mal zu einem "Ausreichend" gereicht hätte. Eine wahnsinnig dusslige und unfaire Idee. Ich vermute, die schlechten Leistungen seines Kindes hängen stark mit dem genetischen Erbe zusammen, welches der innovative Vater beisteuerte. Wie der Volksmund schon sagt: "Er war doof, sie war doof – die ersten Kinder konnten sie wegschmeißen."
Insgesamt ist dieses Verhalten gegenüber Lehrern aber auch nur ein Auswuchs des Paradoxons, dass viele Eltern glauben zu wissen, was am besten für ihre Kinder ist, obwohl sie sich nie mit ihnen beschäftigen und das auch nicht wollen. Mutti und Papa haben keine Ahnung, was ihr Kjell da auf der PlayStation spielt. Selbst mal zu schauen, ob "Bloody Rape IV – Diesmal sind die Schafe dran" wirklich das geeignete Spiel für ihren 8jährigen Fratz ist, wäre ja auch viel zu anstrengend. Schließlich sorgen sie ja dafür, dass Sohnemann etwas zum Beißen und Anziehen hat, und nach der Arbeit hat man auch als Elternteil ein Recht auf Ruhe, jawoll! So ruft man also nach dem Staat, der möglichst alles verbieten sollte, was der Entwicklung eines Kindes schaden könnte. Die Aufgabe der Obrigkeit ist offenbar, dafür zu sorgen, dass man Kinder problemlos für die ersten 14 Jahre ihres Lebens vor einem Fernseher oder einem Computer parken kann, ohne als Elternteil aktiv in die Erziehung eingreifen zu müssen.
Da sie die Verantwortung für ihre Kinder so gerne auf andere schieben, denken sie auch nicht daran, Verantwortung für das zu übernehmen, was ihre missratenen Kinder anstellen. Wenn ihr Ulf-Dietrich (genannt Kjell) einem Altersgenossen den Schädel einschlägt, werden die Eltern wortreich und emotionsgeladen darlegen, dass a) ihr Stammhalter das gar nicht getan haben kann, b) der andere den Schädelbruch provoziert hat und c) sowieso die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse dafür verantwortlich sind, dass sich ihre Leibesfrucht mit Gewalt gegen das System (vertreten durch den Altersgenossen mit dem verlockend aussehenden MP3-Player) zur Wehr setzen musste. Dass die Kinder schließlich auch lernen, keine Eigenverantwortung zu übernehmen und jede Schuld auf andere abzuwälzen, ist nur noch ein weiterer charakterlicher Kollateralschaden der mangelnden Erziehung.
Es wäre schön, wenn alle Eltern lernten, ihre Kinder wie kleine Menschen zu behandeln, die auf das Leben vorbereitet werden müssen. Vor allem sollten sie ihnen schon früh beibringen, was man tun darf und was nicht, und zwar so eindringlich, dass sie nicht durch versehentliches Gucken von Pornos oder Horrorstreifen zu Psychopathen heranreifen. Sie sollten ihnen vorleben, dass man andere Leute nicht wie den letzten Arsch behandeln darf, nur weil er anders aussieht, anders gekleidet ist oder nicht so viel Geld hat. Und nicht zuletzt: Sie sollten ihre Kinder um Gottes Willen nicht Kjell nennen.