Schildbürgereien
Bei einem Spaziergang kam ich kürzlich an einem historischen Gebäude vorbei, dessen Vorgarten von einem wunderschön geschmiedeten Zaun geschmückt wurde. An diesem Zaun befanden sich im Abstand von einem Meter kleine Schildchen: „Fahrräder anketten verboten!“ Ein Schild war jedoch eine Ausnahme und wurde offenbar vom frustrierten Hüter des Zauns erst vor kurzem angebracht. „WENN DU SCHEISSKERL NOCH EINMAL DEIN FAHRRAD HIER ABSTELLST, SCHIEB ICH DIR DAS QUER IN DEN ARSCH!“ Offenbar waren die bisherigen Mitteilungen nicht klar genug, um einen der Radfahrer davon zu überzeugen, sich einen anderen Aufbewahrungsort zu suchen.
Aber wen wundert es? Niemand liest Schilder. Es ist eigentlich eine totale Zeitverschwendung, sich diese Dinger auszudenken und aufzustellen. Selbst von Verkehrsschildern kriegt ein durchschnittlicher Autofahrer gerade mal einen winzigen Bruchteil mit. Zum Glück sind die meisten total überflüssig, weswegen unsere Straßen trotz allem nicht mit den Leichen glückloser Verkehrsteilnehmer verstopft werden. In Bohmte, einer Gemeinde in Niedersachsen, hat man alle Verkehrsschilder abgeschafft und so die Zahl der Unfälle verringert.
Noch schlimmer ist der Drang zur Beschilderung aber immer dann, wenn man die Menschen vor dem Konsum irgendwelcher Dinge schützen will. Da werden Altersfreigaben auf Videos und Spiele gepackt, und man stellt fest, dass die ignoriert werden. Und dann beschließt man, die Freigaben einfach größer aufzudrucken, als wären die ganzen Händler, Käufer und Eltern zu blind gewesen für die kleineren Angaben und hätten sie nicht einfach ignoriert. Wenn eine Mutter ihrem Fratz aber GTA kauft und ihr sowas von scheißegal ist, was ihr Augenstern da spielt, dass sie nicht einmal die Rückseite der Spielepackung anschaut, wieso sollte sie dem dicken roten „Ab 18“-Aufkleber mehr Aufmerksamkeit widmen?
Na vielen Dank, dass ihr über 10 Prozent des Covers dafür
benutzt, mir zu sagen, dass alle das spielen dürfen.
Und dann kommt man jetzt noch auf die Idee, man solle doch Zigarettenpackungen alle gleich gestalten und die putzigen Gesundheitswarnungen noch größer aufdrucken. Genau. Als wenn irgendein Raucher sich dann die Packung zum ersten Mal richtig anschauen würde, um schließlich überrascht auszurufen: „Was!? Rauchen fördert Lungenkrebs? Ich hatte ja keine Ahnung!“ Jeder Raucher weiß, dass es nicht gesund ist, was er mit seinem Körper anstellt. Und jeder beschließt mehr oder weniger bewusst, dass ihn die Aussicht auf die Spätfolgen des Rauchens nicht davon überzeugen kann, sich unter Aufbietung aller möglichen Kräfte (einschließlich des Eingipsens der Arme, damit man sich keine Fluppe mehr anstecken kann) dieser Sucht zu entledigen.
Die Gedankenspiele hinter dieser Vergrößerungsstrategie bei Altersfreigaben und Gesundheitswarnungen werden aber auch nur ernst genommen, wenn die Ideen aus dem politischen Umfeld kommen. Woanders kann man es sich nicht leisten, so blöd zu sein. „Es funktioniert nicht. Was nun?“ „Wir machen es größer, das hilft bestimmt.“ Man versuche das mal im Maschinenbau.
Aber es wird eben nie funktionieren. Die Leute lesen nur das, was sie wollen oder müssen, und ob sie sich danach richten, ist noch eine ganz andere Frage. Wer den Flash-Player von Adobe aktualisiert, klickt die Lizenzbedingungen weg, ohne sie zu lesen. Ich glaube, es steht drin, dass man die Software nicht für terroristische Anschläge benutzen darf (wie immer das gehen soll). Selbst ich bin zu faul nachzugucken, und ich schreib immerhin einen Text darüber. Es könnte in den Lizenzbedingungen auch drinstehen, dass man sein Erstgeborenes dem Adobe-Chef opfern muss, und niemand würde es merken. Angeblich sollen diverse Browserhersteller auch festgestellt haben, dass die meisten Nutzer die Warnungen ihrer Browser vor mit Malware infizierten Seiten einfach wegklicken, und das trotz der ausdrücklichen Erklärung in Signalfarbe, dass die jeweilige Seite die Kreditkartendaten stehlen, den Hund vergewaltigen, die Frau schänden und das Auto falsch parken wird.
Und deswegen wird es auch nie gelingen, alle Übel der Welt auszurotten. Jedes Verbot wird irgendwann von irgendwem ignoriert. Manche aus Trotz, manche aus Unachtsamkeit, manche aus Desinteresse, manche aus der Überzeugung heraus, dass einem selbst ja nichts passieren wird. Und weil eben jeder mal in mindestens eine dieser Gruppen fällt, ist es sinnlos, wirklich alles nur über Verbote regeln zu wollen. Aber solange in vielerlei Hinsicht Verbote der billigste und sichtbarste Weg sind zu zeigen, dass man sich um Missstände kümmert, werden wir wohl noch viele weitere Schilder bekommen – sowohl im realen Leben als auch virtuell.