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Für Volk und Vaterland

Ein beschauliches Kammerspiel

Ein piefiges Wohnzimmer, eingerichtet in Eiche rustikal und auch sonst ziemlich muffig. Das Design der Tapete scheint demnächst das 100jährige Jubiläum zu feiern, an der Wand hängt ein berühmter Bartträger aus der deutschen Politik des letzten Jahrhunderts. Es ist acht Uhr morgens, die Mutter (Sieglinde) deckt den Frühstückstisch, während der Vater (Baldur) mürrisch die Zeitung liest.

Sieglinde: Adolf, komm frühstücken!

Ein etwa 15jähriger, schwarzhaariger Junge mit Extremscheitel, Hemd und kurzen Hosen kommt ins Zimmer und setzt sich an den Tisch.

Adolf: Guten Morgen, Vater, Mutter!
Baldur: Sohn, eile dich, du musst zur Schule!
Adolf: Aber Vater, heute führt unsere Lehranstalt einen Projekttag durch. Ich bin sogar der Führer eines eigenen Projekts!
Baldur: Adolf, ich bin stolz auf dich. Worin besteht dein Projekt, mein Führer?
Adolf: Meine Jugendgruppe wird auf dem Schulhof Manga-Comics und Bravo-Hefte verbrennen.
Baldur: Recht so, mein Sohn! Die Jugend von heute wird verdorben durch diesen Schund. Er muss ausgerottet werden mit Stumpf und Stiel!

Er wird immer lauter und fängt an, mit den Händen zu gestikulieren.

Sieglinde: Beruhige dich, mein Gemahl. Du sollst dich doch nicht so aufregen.
Baldur: Du hast Recht, Sieglinde. Unsere Stunde wird früh genug kommen.
Sieglinde: Adolf, hast du deinem Vater schon den Brief deines Direktors gezeigt?
Baldur: Welcher Brief?! Adolf, hast du etwa wieder den Schäferhund auf die Eva gehetzt?
Adolf: Aber nein! Ich musste ein Mitglied meiner Jungschar züchtigen, was dem Direktor allerdings stark missfiel.
Baldur: Weswegen musstest du den Knaben züchtigen?
Adolf: Er fragte, ob wir auch mal die dritte Strophe vom Deutschlandlied singen können.

Baldur schnappt nach Luft.

Baldur: Unerhört! Sohn, du hattest vollkommen Recht, diesen Bolschewisten zu züchtigen! Wollte dein Direktor es etwa nur bei einem Verweis belassen?
Adolf: Nein. Er verlangte sogar von uns, in Zukunft nur die dritte Strophe zu singen.

Baldur schnappt noch einmal nach Luft und läuft rot an.

Baldur: Das ist zuviel! Ich schalte meinen Anwalt ein. Wir haben immer noch Meinungs- und Redefreiheit! Und dafür werde ich bis zum Letzten einstehen! Adolf, geh zur Schule und sage deinem Direktor, dass sich ein deutscher Patriot nie den Mund verbieten lässt!
Adolf: Jawohl, Vater!

Adolf isst den letzten Bissen seines Brötchens, nimmt sein Fahrtenmesser und den Schulranzen und geht ab. Baldur grummelt leise.

Baldur: Unglaublich. Selbst staatliche Bildungseinrichtungen verderben die deutsche Jugend bis zum Letzten! Dieses ungermanische Lehrerpack sollte man in Lager sperren und dort ver...

Baldur wird wieder rot und laut, als ihn Sieglinde unterbricht.

Sieglinde: Baldur, dein Blutdruck!
Baldur: Entschuldige. Du hast Recht, ich muss Ruhe bewahren. Da fällt mir ein, ich muss noch einen Brief an den Jugendschutz schreiben. Sieglinde, hol die Schreibmaschine!

Sieglinde verlässt das Zimmer und kehrt mit einer alten Schreibmaschine aus den 40er Jahren zurück. Die Taste mit den SS-Runen ist abgewetzt.

Sieglinde: Willst du dich beim Jugendschutz über Adolfs Direktor beschweren?
Baldur: Nein, da werde ich nachher direkt beim Kultusminister anrufen. Wir sind alte Kameraden, weißt du?
Sieglinde: Und warum willst du an den Jugendschutz schreiben?
Baldur: Ich bin gestern im Internetz auf eine unerhörte Seite gestoßen, die die Jugend und unsere ganze Gesellschaft verdirbt. Der Kerl will angeblich nur die Leute zum Lachen bringen ...
Sieglinde: Unglaublich!
Baldur: Nicht wahr? Wo wir Deutschen doch erst wieder lachen dürfen, sobald wir die Schmach des verlorenen Krieges ausgebügelt haben. Beider Kriege! Und selbst dann werden wir nicht lachen! Wer lacht, der arbeitet nicht, und Deutsche arbeiten immer, ob mit der Stirne oder der Faust, für das Vaterland!
Sieglinde: Baldur, du spuckst auf das Briefpapier.
Baldur: Ich bin engagiert, und zwar mit allen Körpersäften! Aber stell dir vor, auf dieser Internetzseite nimmt diese Kanaille Schmutzfilme als Grundlage für seine pervertierenden Texte und illustriert diese sogar mit Fotografien aus den Filmen. Ich habe sogar Tonaufnahmen aus derartigen Streifen auf der Seite gefunden. Er tut so, als würde er sich darüber lustig machen, aber in Wirklichkeit will er diese Perversionen in die Köpfe unserer Kinder pflanzen und den Volkskörper zersetzen!
Sieglinde: Also das geht ja nun wirklich nicht! ... Baldur, warum hast du eigentlich "Die megageile Kükenfarm" in deinem Nachtschränkchen?

Baldur guckt kurz erschrocken, streckt aber schließlich die Brust heraus und hebt den Zeigefinger.

Baldur: Als Dokumentation für den Schmutz, der unsere Jugend und das ganze deutsche Volk bedroht! Sobald ich herausgefunden habe, wer die Nachfolge der Reichsfilmstelle angetreten hat, werde ich das sofortige Verbot dieses Schundfilms beantragen!
Sieglinde: Es sieht aus, als wenn du dir diesen Film sehr oft angesehen hast ...
Baldur: Um genau zu wissen, welche Grenzen des guten Geschmacks überschritten werden! Und jetzt lenke mich nicht weiter ab, Weib, ich habe über diese Internetzseite geredet!
Sieglinde: Entschuldige bitte, ich weiß nicht, wie ich mir erlauben konnte, dich in Frage zu stellen.
Baldur: Du redest zu oft mit dem Briefträger. Wie heißt er, Kleinberg? Ist bestimmt beschnitten, der Kerl.
Sieglinde: Aber Baldur ...
Baldur: Und die Nase erst ...
Sieglinde: Baldur!
Baldur: Erhebe nicht deine Stimme gegen mich, treuloses Weib! Aber gut, es ging um diese unerhörte Internetzseite.
Sieglinde (devot): Bitte fahre fort, mein Gemahl.
Baldur: Auf dieser Internetzseite sind auch Fotografien von jungen Mädchen in äußerst knapper Bekleidung, teilweise erst 17 Jahre alt! Unerhört! Mädel haben in diesem Alter keusch zu sein und sich niemandem zu zeigen! Schon den Bauchnabel zu entblößen, bringt Schande über ihre Familie, aber dann auch noch die Knie! Und sogar die Pobacken! Die Pobacken! Ich habe ganze zwanzig Minuten dieses Bild angestarrt, weil ich es nicht glauben konnte! Diese Mädel verspielen ihre Tugend auf der Internetzseite!
Sieglinde: Du hast vollkommen Recht, Baldur, es ist eine Schande! ... Aber Baldur... hast du mich nicht auch zum ersten Mal geschwängert, als ich 17 Jahre alt war?
Baldur: Das ist ein vollkommen anderer Sachverhalt! Was wir getan haben, geschah zur Rettung der deutschen Rasse gegen Überfremdung! Wir zeugten deutsche Kinder, die tugendhaft, zäh wie Leder, flink wie Windhunde und hart wie Kruppstahl werden sollten! Wir taten die Pflicht, die uns von der Geschichte für unser Vaterland aufgetragen wurde!
Sieglinde: Also war diese Nacht in der Scheune für dich nur Pflicht? Als du mich dazu überredet hast, nackt um die Scheune zu laufen?
Baldur: Ich habe deinen Mut getestet, denn nur kühne Eltern zeugen kühne Kinder! Was sollen diese Fragen? Ist es nicht mehr gut genug für dich, deinen deutschen Mutterschoß für das Vaterland herzugeben?
Sieglinde: Dann war es wohl auch Dienst am Vaterland, als du mich gezwungen hast, bei der Sonnenwendfeier nackt das Feuer zu entfachen, vor deiner ganzen Jugendgruppe? Habe ich damals nicht Schande über meine Familie gebracht?

Sieglinde schluchzt und rennt aus dem Wohnzimmer. Baldur schaut ihr hinterher, schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seiner Schreibmaschine zu.

Baldur: Hysterisches Weib. Aber gut, ich kümmere mich später um sie. Zuerst der Brief. Heil ... Ach nein, das ist ja heute nicht mehr üblich. Sehr geehrter Jugendschutzwart. Das ist gut. Ich schreibe behufs der Sperrung der Internetzseite www.klopfers-web.de, die den Geist der deutschen Jugend zersetzt und von einem offensichtlichen Volksschädling betrieben wird. Das wird die Dringlichkeit hoffentlich genug betonen. Inhalte pornographischer Filme werden verherrlicht und jungfräuliche Mädel dazu angehalten, ihre Tugend und Keuschheit aufzugeben. Sie stimmen mir sicher sofort zu, dass die Sperrung der Internetzseite und die sofortige Sicherheitsverwahrung des Betreibers dringend vonnöten sind. Ich bin sicher, wir haben im Sinne der seelischen und körperlichen Gesundheit der deutschen Rasse das gleiche Ziel: Die Endlösung der Jugendfrage. Großartige Parole. Sollte ich an die Wohnungstür schreiben, direkt unter "Jedem das Seine". Mit völkischem Gruß, Baldur Streicher

Baldur schaut zufrieden auf den Brief, nimmt ihn aus der Maschine und steckt ihn in einen Briefumschlag, den er mit einer Briefmarke für ein paar Reichspfennige frankiert.

Baldur: So. Und jetzt geh ich Sieglinde schlagen.

Baldur geht ab.

ENDE

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