Emigranten
Wie ich schon häufiger erwähnte, bin ich ein sehr vorsichtiger Mensch, was sich aus meinen zahlreichen Phobien und meiner nahezu unbeschränkten Fähigkeit in Panik auszubrechen ergibt. Mir ist durchaus bewusst, dass ich aufgrund meiner Vorsicht so manche Risiken vermeide, die sich eventuell sehr lohnend auszahlen könnten. Allerdings gibt es gewisse Risiken, die ich eingegangen bin ("Hi, ich find dich süß, würdest du gern mit mir was trinken gehen?"), welche sich aber nicht auszahlten ("Hahaha, so ein Idiot! Hau ab, du hässlicher Freak!"), insofern habe ich Grund zur Annahme, dass sich die entgangenen Erfolge nur sehr marginal auf mein Leben auswirken würden.
Merkwürdigerweise ist einer der wenigen Orte, an denen ich mich fast gänzlich ohne Sorgen in der Öffentlichkeit bewegte, die japanische Hauptstadt gewesen. Ich war in einem Land, dessen Schilder ich kaum lesen konnte und dessen Sprache ich kaum beherrschte, und dennoch war ich weit davon entfernt, mir Sorgen um mein Überleben zu machen. Eventuell hat das aber nichts damit zu tun, wie nett die Japaner zu ihren Gästen sind, viel wahrscheinlicher ist wohl, dass ich langsam dem Wahnsinn anheim falle. Trotz aller Sorglosigkeit wäre ich aber wohl nie darauf gekommen, spontan meinen Lebensmittelpunkt nach Tokio zu verlegen. (Gut, das liegt auch daran, dass das japanische Essen für meinen mitteleuropäischen Gaumen wirklich arg daneben ist.)
Und so schaue ich fassungslos die zahllosen Fernsehdokumentationen, in denen irgendwelche Familien ihre Sachen packen und in die Ferne ziehen, ohne Sprachkenntnisse und fundiertes Wissen über Kultur und Rechtslage des beglückten Gastlandes. Viele scheinen nicht einmal zu ahnen, dass es auch außerhalb Deutschlands so etwas wie Einwanderungsregelungen gibt und es keine Bombenidee ist, mit einem Touristenvisum und (höchstens) 3000 Euro in bar eine neue Existenz aufzubauen, insbesondere wenn man nicht mal einen Job in Aussicht hat. Und auch der Plan, mit einem gebrauchten Transporter problemlos eine florierende Speditionsfirma aufzubauen, wirkt längst nicht mehr so clever, sobald die grausame Realität ihre hässlichen Krallen ausfährt und zeigt, dass die einheimischen Spediteure nicht sonderlich scharf drauf sind, von deutschen Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen Konkurrenz zu bekommen.
So ziemlich am Anfang dieser Schwemme an Auswandererdokus beobachtete ich vergnügt eine kaputte Familie, die nach Portugal ziehen wollte und dort schon eine alte Mühle besaß, die in den Jahren zuvor als Feriendomizil diente. Als die Familie an ihrem Grundstück eintraf, stellte sie fest, dass in die Mühle eingebrochen worden war. Das war nichts Neues, denn natürlich war auch schon in den Vorjahren immer eingebrochen worden, sobald die Bewohner der Umgebung merkten, dass das Gemäuer von den Besitzern wieder für ein Jahr verlassen wurde und Möbel sowie Fernseher sich bestimmt vernachlässigt und einsam fühlten. Die Neu-Portugiesen schimpften auf die lose Moral ihrer neuen Landsleute und waren nunmehr überzeugt, dass man diesem Pack nicht über den Weg trauen konnte. Die Ehefrau, das Musterbeispiel eines versnobten Kleinbürgerweibchens, brachte ihre ganze Verachtung zum Ausdruck, weil diese verdammten Portugiesen in den letzten acht Jahren, in denen die Familie schon dort Urlaub machte, immer noch keine Zivilisation gelernt hatten. Ihre Laune besserte sich nicht, als sie feststellen musste, dass auch die Verkäufer im nahe gelegenen Dorf die acht Jahre nicht zum Pauken der deutschen Sprache genutzt haben, was den Einkauf für die Familie doch unerträglich verkomplizierte, da die deutsche Hausfrau natürlich viel zu beschäftigt war, sich selbst ein wenig Portugiesisch einzutrichtern. Die Laune erreichte dann am ersten Schultag einen Tiefpunkt, als die Xanthippe ihre Tochter zur Schule brachte und entsetzt zur Kenntnis nehmen musste, dass der Direktor nicht etwa alle Schüler und den Lehrkörper auf dem Schulhof antreten ließ, um ihren gereiften Fötus zu begrüßen, und es auch nicht einmal für nötig befand, das Mädchen persönlich am Schultor in Empfang zu nehmen. Ich vermute ganz stark, der Tag war für Madame endgültig gelaufen, als sie abends merkte, dass sie sich selbst den Hintern abwischen musste und immer noch keine Begrüßungsdepesche des portugiesischen Staatspräsidenten eingetroffen war. Die Pläne des Ehemannes, sich selbstständig zu machen, scheiterten übrigens an den gesetzlichen Regelungen, die sinngemäß wohl so etwas sagten wie: "Wir lassen doch nicht jeden dahergelaufenen Lump hier ein Geschäft aufmachen, wenn wir genug eigene Lumpen haben." Deswegen musste er sich schließlich einen Arbeitsplatz suchen. Wie proletenhaft.
Aber auch die Leute, denen lockere Lebensart und grenzenlose Toleranz aus jeder Öffnung entfleucht, geben sich größte Mühe, auf die Schnauze zu fallen. ProSieben begleitete einmal eine kleine Gruppe von Berufsjugendlichen, die einen Online-Versandhandel für Tand und Plunder aus Südostasien betrieben und sich in Thailand ansiedeln wollten, um ihre Ware persönlich vor Ort einzukaufen. Wie üblich nur mit einem Touristenvisum eingereist, mieteten sie sich in einem Haus ein und versuchten beispielsweise abscheulich hässliche Papierlaternen übers Internet zu verticken, die man auch hierzulande in jedem 1-Euro-Laden hinterher geschmissen bekommt. Einer der Jungunternehmer verkrachte sich mit den anderen und versuchte, in einem drittklassigen Bumslokal am Strand einen Job als Musiker zu bekommen, was allerdings auch nicht auf Anhieb funktionierte. Der Rest der Nachwuchskapitalisten war nicht wesentlich erfolgreicher, weil man natürlich unmöglich vorhersehen konnte, dass die breite Masse der Deutschen nicht daran interessiert ist, die größten geschmacklichen Entgleisungen thailändischer Folklore in ihre Anbauschrankwand zu stellen und dafür auch noch echtes Geld zu zahlen. Leider war in dem Bericht nicht zu sehen, ob sie sich schließlich auf den thailändischen Straßen prostituieren mussten, um den Flug heimwärts bezahlen zu können. Generell wird zu selten im Fernsehen das endgültige Scheitern der Emigrationsbestrebungen gezeigt, was dem wohligen Suhlen im Schlamm der Schadenfreude ein wenig die finale Würze nimmt.
Warum haben so viele Leute die Illusion, dass es ihnen im Ausland viel besser gehen würde, wenn sie dieses Ausland ja doch nur aus ihrem Urlaub kennen, in dem sie kaum die Ferienanlage verlassen haben? Zumindest Freunde und Verwandte müssten doch das Herz haben, diese Menschen nicht ins offene Messer laufen zu lassen und zu sagen: "Hör mal, Zuckertittchen, du kannst schon deine Muttersprache nicht richtig, hast die Arbeitsmoral eines angeschimmelten Kartoffelkuchens und bist dumm wie ein Viertelpfund maukiger Schiffszwieback. Lass den Quatsch." Früher hat man Leuten "Geh doch nach drüben!" ins Gesicht geschleudert, wenn man wollte, dass sie die Fresse halten. Heutzutage nehmen die das ernst, planen schon naiv ihre neue Existenz und halten erst recht nicht das Maul. Nach einem halben Jahr kommen die dann blank und desillusioniert wieder, flennen sich aus und legen in Sachen Nervigkeit dabei noch mal eine Kohle drauf.
Dabei finde ich die Idee an sich, alle ins Exil zu schicken, die nachweislich intellektuelle Insolvenz angemeldet haben, richtig knorke. Allerdings gibt es im Völkerrecht momentan keine Regelungen, die es erlauben würden, anderen Ländern seine Schrumpfkopfgehirne aufzuhalsen. Das ist einerseits zwar schade, andererseits sind die anderen Völker ja auch nicht blöd und würden uns im Gegenzug ihre größten Chaoten rüberschicken, was die ganze Maßnahme doch eher sinnlos macht. Vor dem Ersten Weltkrieg konnten wir unliebsames Humanmaterial noch in die afrikanische Wüste schicken, aber dank der verfehlten Kolonialpolitik der Bundesregierung fehlt uns nun auch diese Möglichkeit. Nutzlose Politiker... warum wandern die nicht endlich mal aus?
Im Buch "Mein Weg zur Weltherrschaft - Phase 2" ist dieser Text in einer längeren Fassung enthalten.