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Doktorensterben

Es wird viel über Ärztemangel geredet. Ich möchte aber gleich klarstellen, dass es nicht darum geht, wenn ich über die drastische Reduktion im deutschen Doktorreservoir rede. Anscheinend hat kaum jemand aus der oberen Riege der Entscheider in Politik und Wirtschaft zwischen 25 und 50 seinen akademischen Grad auf ehrliche Weise erworben. Die Erwischten pendeln zwischen Verleugnung und zerknirschter Reue, die akademische Gemeinschaft in Deutschland ist empört – aber die breite Masse der Bevölkerung, die keine Ahnung hat, dass eine abgekupferte Doktorarbeit ein ganz anderes Kaliber ist als eine Mathearbeit in der fünften Klasse, die man beim Banknachbarn abgeschrieben hat, findet die ganze Aufregung vermutlich eher übertrieben.

So jedenfalls der Eindruck, der in der Öffentlichkeit vermittelt wurde, als unser ehemaliger Verteidigungsminister beim Plagiieren erwischt wurde. Und er hat sich ja auch aufrichtig hingestellt und gesagt, dass er ja das mit dem Abschreiben gar nicht gemerkt hätte, weil seine Familie so anstrengend war und die Parteiarbeit auch und deswegen wäre das ja keine große Sache. Ich kenne Doktoranden, die für nahezu gar kein Geld an den Unis Lehrveranstaltungen geben und sonst von Hartz IV leben, da ist natürlich klar, dass unser Vorzeigeadliger im Kabinett besonderes Mitleid verdient hat. Was er mit dem Doktortitel wollte, verstehe ich sowieso nicht. Der Mann hat zehn Vornamen, den Freiherrn und noch ein „von und zu“, quasi die Familienpackung, was das Aufpolstern des eigenen Namens (nebst Ego) angeht. Und die Leute haben ihn ja auch so wahnsinnig geliebt, auch wenn er gar nicht so viel geleistet hat. Er war der Baron der Herzen, nicht der Doktor. Der gut aussehende Kerl mit der gut aussehenden Frau und der edlen Herkunft. Der Mensch dürfte seit seiner Kindheit gelernt haben, als Blender aufzutreten und die Leute mit seinem Charme herumzukriegen. Kompetenz? Unnötig.

In der Politik kann man sowieso fast nur alles versaubeuteln, also fällt das gar nicht auf, wenn man nicht wirklich etwas kann. Insofern war es eine hirnrissige Idee von ihm, sich noch einen Doktortitel zuzulegen, für dessen Verleihung man zumindest laut Reglement etwas leisten muss. Am Ende hat sich die ganze Unternehmung für Guttenberg (vorerst) als Schuss in den Ofen herausgestellt, er ist gegangen worden – und dummerweise hat er mit seinem durchsichtigen Fehlverhalten für seine Kollegen eine Büchse der Pandora geöffnet. Jede Menge Politiker zittern jetzt davor, ebenfalls als Schummler entlarvt zu werden. Silvana Koch-Mehrin, Matthias Pröfrock, Uwe Brinkmann und Jorgo Chatzimarkakis sind schon unter die Räder gekommen, bei anderen steht die Aberkennung des Doktorgrades kurz bevor. Die Silvana, der man ja eh nicht viel zugetraut hat (außer natürlich Parlamentssitzungen zu schwänzen), versucht sich noch zu wehren, indem sie darauf verweist, dass die Prüfer ja schon gewusst hätten, dass die Arbeit nicht so dolle ist, und ihnen somit auch bewusst war, dass da mal eben die Quellenangaben fehlen. Und deswegen wäre der Entzug des Doktortitels ja wohl total ungerecht. Das ist natürlich Blödsinn, aber der FDP-Slogan „Arbeit muss sich wieder lohnen“ sagt halt ganz bewusst nicht, dass es die eigene Arbeit sein muss, die sich für einen lohnt.

Allerdings ist das schon ein Hinweis auf etwas, was all den bemängelten Doktorarbeiten gemein ist: Alle wurden irgendwann einmal für gut genug befunden, um den Leuten einen Titel zu verleihen. Die Prüfer haben beim ersten Mal alle versagt. Bei Guttenberg wurde die Arbeit sogar mit der absoluten Bestnote bewertet, und später wusste selbst der Prüfer nicht mehr, was da so toll gewesen sein soll. Und ich mache mir Sorgen, ob das tatsächlich alles nur daran liegt, dass die Schreiber alle so unheimlich wichtig und einflussreich gewesen sind. Wer momentan zittern muss, gehört zur oberen Riege in den Parteien, Organisationen und Unternehmen, oder er ist mit jemandem verwandt, der dazu gehört. So auch bei der Tochter von Edmund Stoiber – ich bezweifle irgendwie, dass sich irgendwer die Mühe gemacht hätte, ihre Doktorarbeit ein zweites Mal zu überprüfen, wenn sie keinen berühmten Papa hätte.

Aber welchen Grund gibt es eigentlich anzunehmen, dass all die Unbekannten, die sich mit einem Doktortitel schmücken, ehrlich gewesen sind? Wie viele haben tatsächlich Plagiate eingereicht und können sich jetzt relativ entspannt zurücklehnen, weil an ihnen kein öffentliches Interesse besteht? Wie viele sind jetzt selbst Professoren und bewerten ihrerseits Doktorarbeiten? Wie sieht es generell mit der Ethik aus in der Wissenschaft? Es mag klar sein, dass man aus veröffentlichten Aufsätzen und sonstigen Arbeiten zitiert, wenn man deren Ideen verarbeitet. Aber was, wenn eine Theorie aus der Semesterarbeit eines Studenten stammt? Würde wirklich jeder Professor oder wissenschaftliche Mitarbeiter so fair sein und den Studenten als Co-Autor angeben?

Gerade bei den Geisteswissenschaften, in denen es weniger um klare Erkenntnisse als vielmehr halbwegs plausible Annahmen geht, die man kaum mit konkreten Daten endgültig belegen oder widerlegen kann, wo Gelaber mehr zählt als das Anwachsen des menschlichen Weltwissens, und wo sich dann eben auch die meisten Blender tummeln, die sich nichts mehr wünschen, als ihr Ego mit einem akademischen Grad aufpolstern zu können, kratzt man mit den jetzigen Untersuchungen nur an der Oberfläche. Und solange sich das nicht ändert, glaub ich einem Doktor dieser Wissenschaften ab jetzt erst mal gar nichts. Und mit seinem Titel anreden werde ich ihn auch nicht, so!

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