Kartoffelsalat - Nicht fragen!
Es gab einmal eine kleine Videoseite, die erschaffen wurde, um Ebay-Kunden die Möglichkeit zu geben, die Dinge im Video darzustellen, die sie verkaufen wollen. Aus dieser bescheidenen Videoseite wurde der riesige Platzhirsch Youtube, der heute täglich Produktivität im Milliardenwert vernichtet und nebenbei so einige Stars hervorgebracht hat. Auch in Deutschland haben nicht wenige Leute Youtube-Videos zum Beruf gemacht und erstaunlich viele Anhänger gesammelt. (Teilweise mit geklauten Inhalten, nicht wahr, ClemensAlive? )
Einer von den erfolgreichen deutschen Youtubern ist Freshtorge alias Torge Oelrich. Der bekam offenbar eines Tages unheimlich Lust, einen eigenen Kinofilm zu drehen, zusammen mit ganz vielen Youtube-Kollegen. Anscheinend hatte er auch noch belastendes Material über Otto Waalkes, den er zur Zusammenarbeit erpressen konnte, was dazu führte, dass der resultierende Film nicht nur von Otto produziert wurde, sondern auch Gastauftritte von ihm und ein paar anderen bislang einigermaßen respektierten Komikern und Schauspielern bieten kann. Das Budget: eine Million Euro! (Das ist für Filmverhältnisse zwar wenig, aber wer weiß, dass zum Beispiel der britische Youtuber Stuart Ashen für umgerechnet 160.000 Euro einen ganz gut gelungenen Spielfilm drehte, könnte in Versuchung kommen, seine Erwartungen an den deutschen Versuch in die Höhe zu schrauben.)
Und heraus kam „Kartoffelsalat – Nicht fragen!“ Nach eigener Aussage von Freshtorge fiel ihm einfach kein besserer Titel ein, und die Behauptung des Regisseurs Michael David Pate, dass der Film „kein Kritikerfilm“ sei, lässt auch nichts Gutes vermuten. Für die, die gerade keine Zeit haben, mein ganzes Wort-Ejakulat zu lesen: Der Film macht mit dem deutschen Humor das, was der Islamische Staat mit seinen Geiseln tut. „Schindlers Liste“ ist eine bessere Komödie als „Kartoffelsalat“.
Wenigstens ist der Streifen nur 81 Minuten lang. Deswegen steig ich jetzt lieber endlich in den Film ein, um so schneller kann ich ihn wieder aus meinem Bewusstsein streichen.
Ein namenloses Mädel hastet durch einen (für Berliner Verhältnisse nur leicht) lädierten Schulflur und wählt mit dem Handy die Nummer der Polizei. (Vermutlich ist auch sie wie fast alle Darsteller in dem Film irgendeine deutsche Youtube-Berühmtheit, aber ich kenn mich da nicht aus. Wenn sie in irgendeinem Porno mitgespielt hätte, würde ich sie vermutlich eher wiedererkennen. )
Es klingelt daraufhin in der Polizeiwache von „Notrufbeantworter“ Otto Waalkes, der aber erst einmal allerlei „lustige“ Sachen macht, wie das Radio auszustellen, ein Grillwürstchen umzudrehen und eine Exekution per Elektrischem Stuhl zu unterbrechen, bis er sich schließlich bequemt, mal den Hörer des alten Fernsprechers in die Hand zu nehmen. Inzwischen ist das Mädel aber schon schreiend vor finsteren und wankenden Gestalten weggerannt. Und wir haben einen ersten Eindruck vom Humor, der uns hier im Film erwartet. Noch fast 79 Minuten. Uff.
Springen wir nun zurück in die Zeit vor der Zombie-Invasion. (Wer sich jetzt davon gespoilert fühlt, tut mir leid. Hauptsächlich deswegen, weil geistig Behinderte es in unserer Gesellschaft immer noch schwer haben.) Der Wecker klingelt und Hauptcharakter Leo Weiß (gespielt von Initiator und Drehbuchautor Freshtorge) haut beim Versuch, ihn auszumachen, voll in eine Cornflakesschüssel auf dem Nachttisch. Ein Knüller. Dann putzt er sich (noch mit Cornflakes im Gesicht) mit zwei Zahnbürsten die Zähne. Hammer. Anschließend zieht er sich ne Schuluniform an, macht seine Schuhe mit Klebeband zu, kriegt von seiner Mutti erstens noch Pausenbrot in den Kinderschulranzen gepackt und zweitens einen dicken Lippenstiftknutschfleck auf die Wange gedrückt, bevor er mit dem Damenrad zur Schule radelt.
Die ganze Szene dient als Vorspann, um die Namen der ganzen Darsteller abzubilden, vorrangig natürlich die Legionen deutscher Youtuber, die dafür zwangsverpflichtet wurden, um deren Fans auch noch in die Kinos zu locken, nur damit die feststellen können, dass ihr Liebling höchstwahrscheinlich nur drei Sätze hat oder in einer Massenszene die wahnsinnig anspruchsvolle Rolle „Dritter von links“ ausfüllen darf. Während seiner Radtour winken und lächeln ihm alle Bewohner des Örtchens Wesselburen zu und bewerfen ihn mit Blumen und weiteren Vertretern der örtlichen Flora.
Die Bildungsanstalt des Protagonisten ist eine Privatschule für stinkreiche Schnösel, und Leo passt augenscheinlich nicht dazu. Auch geistig ist Leo offensichtlich nicht auf dem Niveau seiner Klassenkameraden: In der ersten Stunde wird gleich eine Klassenarbeit zurückgegeben, und er kriegt eine 6, die offenbar ganz seinen bisherigen schulischen „Erfolgen“ entspricht.
Der Lehrer will nun mit dem Sexualkunde-Unterricht beginnen, der allerdings nur ein Vorwand ist, mit einer Modellbahn allerlei Schlüpfrigkeiten zu demonstrieren. Währenddessen wird in der Klasse ein Zettel herumgereicht, und offenbar sollen alle Schüler beim Empfang das darauf geschriebene Wort „Penis“ aussprechen. Ich war 13 Jahre lang an verschiedenen Schulen und kannte dieses Spielchen nicht. Jedenfalls murmelt jeder Schüler leise dieses Wörtchen und reicht diesen Zettel weiter, während der Lehrer vorne seinen Stuss erzählt.
Gerade als der Zettel bei Leo angekommen ist, kommt der Schuldirektor rein. Leo fängt an zu schnaufen und ruft schließlich aus voller Kehle: „PENIS!“, natürlich eher zum Verdruss des Direktors und zur Verblüffung der restlichen Klasse. Von mir geschrieben klingt es noch witziger, als es im Film ist. Wir haben jetzt immerhin ein Zehntel des Films hinter uns, und ich könnte jetzt etwas Hochprozentiges vertragen.
Der Direktor hat nun die Eltern des Schülers zu sich einbestellt, weil Leo so kackdoof ist, die Klasse wiederholen muss und außerdem eine andere Schule besuchen soll, um nicht die Privatschule weiter zu blamieren. „Das ist doch Käse!“, ruft die Mutter empört – und hält eine Käsescheibe hoch. Ja, das ist das Niveau, mit dem wir es hier zu tun haben. Bitte schickt Alkoholspenden an die Adresse im Impressum. Möglichst in den nächsten 70 Minuten. Der Vater sieht übrigens aus wie Walter White aus „Breaking Bad“ (jetzt erklärt sich auch der Nachname) und wird zwar gespielt von Youtuber Doktor Allwissend, aber synchronisiert von Joachim Tennstedt, der Walter White in der deutschen Synchro der Serie gesprochen hat.
Leos Abgang wird von der Schule auch ordentlich zelebriert mit Feuerwerk, Blasmusik und Cheerleadern. Und Leo tanzt mit, weil er ja schließlich so doof ist. Nun bin ich jemand, der durchaus Menschen ermutigt, eingetretene Pfade zu verlassen. Aber lieber Freshtorge: Wenn ich ein totaler Kack-Noob bin, was das Filmemachen angeht, geh ich lieber auf Nummer sicher und mache den Protagonisten, mit dem sich das Publikum identifizieren und durch den es das Abenteuer erleben soll, nicht zu so einem verdammten Vollhonk, dass sich niemand in ihn reinversetzen mag.
Beim Abendessen eröffnen seine Eltern Leo dann, dass sie ihn auf einer anderen Schule angemeldet haben, morgen sein erster Schultag wäre und sie – sollte er weiterhin so miese Noten schreiben – seinen Akrobatikkurs streichen würden. Schließlich hätten ja solche Sachen wie Delfinschwimmen, Elefantenjagd in Afrika und Walfang vor Japan nicht geholfen, daher wäre es jetzt an der Zeit, die Daumenschrauben etwas anzuziehen. Leo ist total beleidigt und macht seinen Eltern Vorwürfe, weil er nur so ein Loser wäre, weil sie ihn für einen Loser halten, und an der neuen Schule würde er es allen beweisen und der totale Frauenheld sein. Und dann rutscht er aus und schmeißt das (noch volle) Essgeschirr in die Luft. Bruhaha. (So nebenbei: Bei seiner Fahrt zur Schule am Anfang hat ihm jeder zugewinkt, er wurde angelächelt, man hat ihm Blumen zugeworfen… Ich habe nicht den Eindruck, dass man jemanden als Loser bezeichnen kann, der offenbar von allem im Ort so gemocht wird. )
Die neue Schule soll offenbar total runtergekommen wirken, aber das brennende Auto auf dem Schulhof wirkt nur lieblos hingestellt, und dass der Schulname mit Anfänger-Graffiti auf ein Stück Pappe hingerotzt wurde, die man dann an die Fassade klebte, ist auch nicht gerade das beste Beispiel für Set-Design. (Für die Dreharbeiten wurde eine echte Schule in Beschlag genommen; der Flügel, der Leos neue Schule darstellt, wurde ein halbes Jahr später abgerissen, also hätte man da eigentlich voll die Sau rauslassen können.)
Leo sprudelt einen inneren Monolog ab, dass er sich jetzt cool verhalten will, nichts Doofes tun möchte und zu jedem freundlich und offen sein wird, der auf ihn zukommt. Und dann spricht ihn ein Mädchen an, welchem er dann „VERPISS DICH!“ entgegenbrüllt.
Er rennt ihr gleich hinterher und entschuldigt sich. Das Mädchen heißt Katrin, wird gespielt von Dagi Bee und wollte eigentlich nur auf den Frühlingsball aufmerksam machen. Mit einem Ball. *seufz* Sie erzählt ihm dann noch, wo das Sekretariat ist und dass er sich von einer Frau Wilkens fernhalten soll.
Im Sekretariat ist dann Frau Wilkens. Is klar, ne? Und die ist total unhöflich und verunsichert ihn damit, dass er ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen soll. Dann kommt aber der Direktor (gespielt von Charles Rettinghaus, vielen sicher bekannt als die Synchronstimme von Geordi LaForge aus Star Trek: The Next Generation und Jean-Claude Van Damme aus Belgien), und die beiden lachen sich erst mal kaputt über den Neuen. Und als dann ein übel zugerichteter Schüler aus der Klasse von „Herrn Donau“ kommt und zu seiner eigenen Sicherheit lieber in eine andere Klasse soll, kriegt einfach Leo den alten Platz in dieser Rowdy-Klasse. Ha, was für ein Spaß. Und Frau Wilkens (Katy Karrenbauer, bekannt aus dem RTL-Frauenknast, in den sie für diesen Film eigentlich wieder reingehört, oder dem Dschungelcamp, in das sie ebenfalls für diesen Film wieder reingehört) trinkt auch noch mit einem Strohhalm aus einem Goldfischglas.
Welch köstlicher Humor!