Videogames mit dem Raspberry Pi
Im Herbst des letzten Jahres erblickte ich einen Artikel in der Bravo, den ich so nicht erwartet hatte: Ein Text, der tatsächlich den Jugendlichen empfiehlt, sich einen Computer auf Basis eines Raspberry Pi zu basteln.
Ein Raspberry Pi gehört zur immer größer werdenden Gattung der Einplatinenrechner; auf einer recht kleinen Platine (etwa in Scheckkartengröße) sind also alle Elemente, die das Innenleben eines Computers ausmachen. Diese Teile sind ziemlich günstig (um die 35-40 Euro), aber es ist nicht mal ein Gehäuse dabei, man muss sogar selbst eine MicroSD-Karte mit dem Betriebssystem füllen und man sollte nicht gerade erwarten, GTA V auf diesen Rechnern spielen zu können. Alles in allem zweifle ich also, dass die Hauptzielgruppe der Bravo viel damit anfangen kann.
Nun bin ich zwar auch Bravo-Leser, aber gehöre wohl ganz knapp nicht mehr zur Hauptzielgruppe, und so finde ich diese Dinger ganz knuffig. Bislang hatte ich aber noch kein Projekt im Auge, welches ich mit so einem Mini-Computer verwirklichen wollte, aber das änderte sich in den letzten Monaten dank Nintendo.
Nintendo hat nämlich vor Kurzem eine Spielkonsole namens „Nintendo Classic Mini: Nintendo Entertainment System“ herausgebracht, eine wirklich niedliche Mini-Version des NES, welches in den 80er Jahren in allerlei Wohnungen stand und mit Spielen wie „Super Mario Brothers“ oder „Legend of Zelda“ die Kinder davon abhielt, drogenabhängig oder Modern-Talking-Fans zu werden. Das NES Mini, wie ich es nennen will, sollte den Zauber der alten Zeit wieder aufleben lassen, indem es ermöglicht, 30 der alten NES-Spiele an modernen Fernsehern zu spielen. Das Gerät sollte für 70 Euro in den Handel kommen, Nintendo hat aber offenbar den Bedarf so unterschätzt, dass es seit Verkaufsstart im November Lieferengpässe gibt und die Straßenpreise bei Dritthändlern so bei 150 Euro und mehr liegen.
Dabei hat diese Neuauflage durchaus einige Haken: Die 30 Spiele sind fest in das NES Mini eingebaut und können auch nicht erweitert werden, wer also schöne Erinnerungen an ein anderes Spiel hat, welches nicht in der Sammlung ist, der guckt in die Röhre. Dass Nintendo mal wieder kein Netzteil beilegt, ist ein Ärgernis, mit dem die Firma bereits die Käufer ihrer tragbaren Konsolen verärgert hat. Die häufigste Beschwerde ist allerdings, dass das Controllerkabel unheimlich kurz ist und man deswegen ziemlich dicht am Fernseher sitzen muss.
Viele Leute haben allerdings trotz ihrer Lust auf alte Konsolenklassiker gar keinen Bedarf am NES Mini – eben dank des Raspberry Pi und einiger bereits vorgefertigter Betriebssystempakete. Es ist nämlich sehr leicht, aus einem Raspberry Pi, einem Controller und ein paar weiteren Teilen eine Emulator-Box zu basteln, die man bequem per HDMI-Kabel an den Fernseher anschließen kann, um die alten Spiele-ROMs laufen zu lassen. (Wo man die ROMs dann herkriegt, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter erörtert werden soll.) So ist man nicht nur auf NES-Spiele beschränkt, sondern kann auf derselben Kiste auch alte Spielautomaten-Spiele und Games für u.a. SuperNES, Game Boy (+ GB Color und GB Advanced), N64, Master System, Mega Drive, Game Gear, Neo Geo, Atari Lynx, PC Engine und auch für Computer wie ZX Spectrum oder Atari ST laufen lassen.
Dank einer großzügigen Spende (einem Raspberry-Pi-Set, bei dem neben dem Raspberry Pi 3 auch Gehäuse, Kühlkörper, Speicherkarte, Anschlusskabel und Netzteil dabei waren) kurz vor Weihnachten und ein paar zusätzlicher Investitionen habe ich mich selbst daran gemacht, so etwas zu realisieren. Und um zu zeigen, wie einfach das ist, dokumentiere ich das hier. Vielen Dank an Sebastian, ohne den dieser Text hier nicht geschrieben worden wäre!
Die vermutlich bekannteste Softwarelösung für diesen Zweck heißt RetroPie, ich habe mich aber dafür entschieden, meine Mini-Konsole auf der Basis von Recalbox aufzubauen, denn das ist ein bisschen leichter zu installieren, sieht dann aber ziemlich gleich aus, denn die Bedienoberfläche und der Emulator-Unterbau sind dieselben. Die Entscheidung für Recalbox hat im Moment eventuell auch noch Auswirkungen auf die nötigen Teile, aber dazu komme ich gleich.
Ab Recalbox 6.0 ist die Software auch mit dem Raspberry Pi 3B+ kompatibel. Bisher (Stand Juli 2019) ist Recalbox allerdings nicht für den Raspberry Pi 4 geeignet.
Die folgende Installationsanleitung ist veraltet! Ich gebe danach aber noch eine für die aktuelle Recalbox-Version an.
Zunächst sollte man eine MicroSD-Speicherkarte besorgen und sie mit dem Betriebssystem bespielen. Dabei wird empfohlen, die Karte zunächst mit einer Gratis-Software wie SD Card Formatter 4.0 zu formatieren. Die Recalbox-Software kann man sich kostenlos unter diesem Link herunterladen und die Inhalte der ZIP-Datei einfach (zum Beispiel mit dem Windows-Explorer) auf die Karte kopieren. Damit wäre der langweilige Kram abgehakt, kommen wir zu den Teilen, die dann die kleine Konsole ausmachen!
Diese Installationsanleitung galt für die Version 4.0 von Recalbox. Zwischendurch wurden die Versionsnummern nach dem Erscheinungsdatum vergeben, außerdem verläuft die Installation inzwischen auch etwas anders. Deswegen hier die aktualisierte Version:
Die aktuelle Version (derzeit 6.0) kann man hier herunterladen. Man sollte dabei darauf achten, dass man wirklich die Datei für den Raspberry Pi 3 nimmt, wenn man diese Platine benutzt. Anschließend geht man auf Etcher.io, lädt die Software herunter, startet sie und spielt damit das Recalbox-Image auf die Speicherkarte. Extra vorher formatieren muss man die Karte nicht mehr.
Ihr seht die Einzelteile hier in wunderschöner Pracht:
Der Controller im alten NES-Design ist ein Bluetooth-Controller von 8bitdo, qualitativ hochwertig und daher auch etwas teurer (etwa 30-35 Euro). Man kann aber auch ein normales USB-Gamepad anschließen; irgendwann werde ich vermutlich noch einen Xbox-360-Controller anstöpseln.
Kenner werden sich sicherlich beim Anblick des Bluetooth-Adapters fragen: „Was soll denn das, der Raspberry Pi 3 hat doch Bluetooth (ebenso wie WLAN) schon eingebaut?“ Das ist korrekt, aber Recalbox schafft es in der Version 4.0 noch nicht, das interne Bluetooth zu verwenden. (Vermutlich wird das dann bald in der Version 4.1 klappen.) Es funktioniert übrigens anscheinend nicht jeder Bluetooth-Adapter; es gibt eine Kompatibilitätsliste im Recalbox-Wiki.
Dieser letzte Absatz ist inzwischen veraltet. Für die aktuellen Recalbox-Versionen braucht man keinen zusätzlichen Bluetooth-Adapter mehr!
Das Netzwerkkabel braucht man nicht unbedingt, da sich der Raspberry Pi 3 (wie gesagt) auch per WLAN mit der Außenwelt verbinden kann, aber ich wollte es haben, weil ich eh in der Nähe des Fernsehers einen LAN-Switch habe.
Hier die Teile-Liste mit den Links zu Amazon; zu dem Kit geb ich noch Alternativen an:
- Raspberry Pi 3 Starterkit inklusive Gehäuse, Kühlkörper, MicroSD-Karte, Netzteil, HDMI-Kabel, LAN-Kabel
- plugable Bluetooth-USB-Adapter (Wird inzwischen nicht mehr benötigt!!!)
- 8bitdo NES30 Bluetooth Controller (Verdammt, ich hab mehr bezahlt. )
Jetzt ging es jedenfalls an den Bastel-Teil: Zuerst habe ich den großen Kühlkörper und einen der beiden kleinen auf die Chips auf der Oberseite geklebt. (Da ist schon eine entsprechende Klebefläche auf der Unterseite der Kühlkörper, man muss also nicht mit Wärmeleitpaste herumkleckern.) Der dritte Kühlkörper wird nicht benötigt. Dann kann man die Platine auch schon ins Gehäuse einbauen. Hier besteht das Gehäuse aus drei Teilen. Die Platine muss nicht festgeschraubt werden, die Gehäuseteile halten sie dann so fest, dass da nichts mehr wackeln kann. Übrigens sollte man beim Zusammenbau noch nicht die Micro-SD-Speicherkarte drin haben, wie auch einige Rezensenten bei Amazon festgestellt haben.
Den zweiten Teil des Gehäuses raufzusetzen, war überraschend fummelig und musste mit sanfter Gewalt passieren.
Den transparenten Teil des Gehäuses raufzusetzen, war dann wieder leicht. Ich persönlich bin jetzt nicht so ein Fan von transparenten Gehäusen, aber hier gibt es immerhin den Vorteil, dass man diesen Teil leicht abnehmen kann, falls es in dem kleinen Treibhaus doch etwas zu warm werden sollte.
Nun kann man auch die Speicherkarte einlegen. (Die kleinen Standfüße für das Gehäuse hatte ich vorher schon angeklebt.)
Damit ist der Bastelteil schon rum, nun geht’s an die Inbetriebnahme. Dafür sollte man schon einen USB-Controller oder eine USB-Tastatur bereithalten, die man mit den restlichen Kabeln und dem BT-Adapter reinstöpselt.
Wichtig: Der Raspberry Pi hat keinen An-/Aus-Schalter! Er startet sofort, sobald er Strom kriegt, also stopft die restlichen Kabel am besten vorher ran. Später müsst ihr dann auch immer dran denken, das gute Stück ordnungsgemäß über das Menü von Recalbox herunterzufahren und so auszuschalten, bevor ihr es vom Strom trennt.
Beim ersten Start fängt der Rechner an, das Betriebssystem auf der Speicherkarte noch mehr auszupacken und einzurichten. Das dauert eine Weile. Irgendwann startet dann das Menü, bei dem man links und rechts scrollen und schon allerlei Spiele-Plattformen erblicken kann. Es werden nur die angezeigt, für die schon Spiele vorhanden sind. Und ja: Recalbox hat schon ein paar Spielchen ab Werk dabei, die größtenteils von Retro-Fans programmiert wurden.
Zunächst sollte man aber anfangen, den Controller zu konfigurieren. (Wer eine Tastatur angeschlossen hat, der öffnet das Menü mit Enter, die Taste „A“ bestätigt, „S“ bricht ab.) Bluetooth-Controller müssen natürlich zuerst verbunden werden, indem man im Menü die Suche nach einem BT-Controller initiiert und auf dem Controller die entsprechende Taste für das Pairing drückt. Danach muss man (auch bei USB-Controllern) erst mal durchgehen, welche Taste auf dem Controller überhaupt welche Bedeutung haben soll, welche also „links“ heißt, welche „A“, welche ist „R1“ usw. Der „Hotkey“, nach dem am Ende gefragt wird, ist der, der in Verbindung mit anderen Tasten gewisse Funktionen im Spiel auslöst. Hotkey + Start beendet zum Beispiel ein laufendes Spiel und führt zum Auswahl-Menü zurück. Es können natürlich für Mehrspielergames auch mehrere Controller angeschlossen werden.
Ansonsten kann man natürlich noch die Sprache einstellen, die Musik im Menü ein- und ausschalten, man kann bestimmen, ob die Spiele so einen künstlichen Röhrenfernseher-Look enthalten sollen… und man kann – falls man nicht per Netzwerkkabel am Heimnetz hängt – die WLAN-Verbindung konfigurieren. Dafür sollte man aber unbedingt eine USB-Tastatur dranhängen, sonst ist das Eingeben von SSID und Passwort unmöglich.
Ich hab übrigens im Menü auch eingestellt, dass die Spiele nicht auf die Speicherkarte geschrieben werden sollen, sondern auf einen alten USB-Stick, den ich ebenfalls angestöpselt hab und der mir sonst keine guten Dienste mehr leistet, weil er eben nur USB 2.0 kann und daher die Datenübertragung zu langsam für den Alltag ist. Aber die ROMs der alten Konsolen sind so winzig, dass das hier nicht negativ ins Gewicht fällt, zumal der Raspberry Pi auch kein USB 3.0 kann.
Aber wie kriegt man nun die Spiele auf das gute Stück? Jetzt kann man wieder seinen normalen PC öffnen und sie sich dort irgendwie besorgen. *hüstel* Im Datei-Explorer sollte man in der Netzwerkumgebung einen Computer mit dem Namen „Recalbox“ und dem freigegebenen Ordner „share“ finden. (Ansonsten in der Adressleiste des Dateiexplorers einfach mal \\recalbox
eingeben.) In diesem Ordner „share“ ist wiederum ein Ordner „roms“, in dem sich Unterordner für jedes System befinden. Wer also NES-ROMs hat, der kopiert sie in den Unterordner „nes“.
Auf dem Raspberry Pi kann man dann im Menü die Spieleliste aktualisieren, dann geht der kleine Racker alle Verzeichnisse durch und registriert, dass dort neue Spiele sind. Wer wirklich viel Zeit oder wenig Spiele raufgespielt hat, kann dann den „Scraper“ starten. Der Scraper guckt sich die vorhandenen Spiele an und versucht deren Daten (Hersteller, Veröffentlichungsdatum, Verkaufszahlen etc.) aus Online-Datenbanken abzufragen, um zu jedem Spiel ein paar Infos in den Auswahlmenüs anzuzeigen. Das dauert aber so was von lange und muss dann auch jedes Mal bestätigt werden, dass es derzeit eine etwas beknackte Idee ist, so etwas für mehr als 30 Spiele oder so zu machen.
So eine Recalbox ist übrigens nicht nur als Spielkonsole geeignet: Es wird (übrigens wie bei RetroPie) auch automatisch die Media-Center-Software Kodi installiert, die per Menü gestartet werden und von angeschlossenen oder per Netzwerk erreichbaren Datenträgern Filme, Musik und Bilder auf dem Fernseher abspielen kann. Der kleine Rechner schafft auch HD-Videos ohne Ruckeln, was ich schon ziemlich beeindruckend finde. (Die Kodi-Version, die bei Recalbox beiliegt, ist allerdings nicht die aktuellste.)
Wenn man bei Kodi unter Optionen -> Einstellungen -> System -> Eingabegeräte -> Geräte
den CEC-Adapter aktiviert, kann man das Media-Center übrigens auch mit der normalen Fernsehfernbedienung steuern, wenn der Fernseher nicht zu alt ist.
Am Ende hat man also eine kleine Allround-Box, die alte Spiele und neue Videos abspielen kann, und man kann sich dabei noch auf die Schulter klopfen, weil man ein bisschen was selber gemacht hat. Fairerweise muss ich allerdings anmerken, dass man bei einem Neukauf aller Komponenten nicht die 69,99 Euro unverbindliche Preisempfehlung für das NES Mini unterbieten wird. Der Raspberry Pi 3 selbst kostet so zwischen 35 und 40 Euro, aber mit Gehäuse, Speicherkarte, Netzteil, Kühlkörpern und HDMI-Kabel kommt man dann, wenn man nicht auf besondere Schnäppchenjagd geht, schon auf etwa 60 bis 65 Euro. Ich hatte mir dann auch noch diesen schicken Bluetooth-Controller im Retro-Design ausgeguckt, der dann (damals) wiederum den Kauf des Bluetooth-USB-Adapters nötig machte, weswegen meine Box im Endeffekt etwa 115 Euro verschlungen haben dürfte. Das liegt allerdings immer noch deutlich unter den Apothekerpreisen, die Händler derzeit für ein NES Mini verlangen. Und ich denke, genug Spaß werde ich damit haben, um die Ausgaben zu rechtfertigen.
Ich hoffe, ich habe euch nicht allzu sehr gelangweilt und ein paar von euch fühlen sich ermutigt, sich auch so etwas zu bauen. Viel Erfolg!