Die Universalmoral
Nuff! Ich grüße das Volk.
Wenn man viel über menschliche Werte, Moral und Verhalten aus vielen verschiedenen Quellen liest, bekommt man einen Eindruck davon, wie vielfältig die Ansichten auf der Welt sind – und gleichzeitig entwickelt sich eine Ahnung, wie schwierig es ist, all diese verschiedenen Perspektiven unter einen Hut zu bringen.
Ein grundlegendes Beispiel ist etwa der Gegensatz zwischen der eher westlichen Moral, die das Individuum und seine Freiheit tendenziell an die Spitze stellt, und der zum Beispiel in Asien eher verbreiteten Moral, die mehr auf die Gruppe und den Erhalt ihres Zusammenhalts setzt. Die einen würden eher die Bedürfnisse eines Individuums über die der Gruppe stellen, die anderen würden es genau umgekehrt machen. Und es gibt für beide Sichtweisen gute Gründe und Vorteile, aber eben auch Nachteile, und es ist schwer, beide Perspektiven miteinander zu vereinbaren.
Daher fand ich es sehr spannend, dass sich nun eine Studie von Anthropologen der Oxford-Universität mit der Frage beschäftigte, ob es moralische Grundsätze gibt, die allen Kulturen gemein sind und darauf abzielen, Kooperation zwischen den Menschen einer Gesellschaft zu fördern.
Das Ergebnis nach der Untersuchung von 60 Gesellschaften rund um den Erdball: Es gibt 7 Grundsätze, die nahezu universell Gültigkeit haben und tatsächlich die Kooperation und den Zusammenhalt in einer Gemeinschaft fördern.
- Unterstütze deine Familie
- Unterstütze deine Gruppe
- Revanchiere dich für Gefälligkeiten
- Sei tapfer
- Ordne dich Höherstehenden unter
- Teile Ressourcen gerecht
- Respektiere das Eigentum anderer
In 961 von 962 Beobachtungen wurde die Befolgung dieser Grundsätze moralisch positiv bewertet. Natürlich sind diese Grundsätze untereinander nicht immer widerspruchsfrei (etwa bei der Frage, ob die Loyalität zur Familie höher gewertet wird als die Loyalität zur Gruppe), weswegen es durchaus Unterschiede zwischen den Prioritäten gibt. Das erklärt auch den einzigen extremen Ausreißer, der in der Studie erwähnt wird: Bei den Chuuk, einem Volk in Mikronesien, wird offenes Stehlen als positiv angesehen, da es Dominanz und Furchtlosigkeit zeige, was also den 4. Grundsatz erfüllt. (Das ist allerdings selbst bei den Chuuk eine Ausnahme; in anderen Fällen wird auch dort Respekt vor fremdem Eigentum erwartet.)
Einer der Autoren der Studie sieht in den Ergebnissen einen weiteren Beleg dafür, dass der Mensch ein sehr tribalistisches Wesen und sehr schnell dabei ist, zwischen „wir“ und „denen“ zu unterscheiden. Und das deckt sich ja auch mit den Beobachtungen, die man selbst beim simplen Betrachten von Kommentaren im Internet machen kann.
Interessant finde ich, dass man zumindest einige dieser Grundsätze auch im Verhalten von Schimpansen nachvollziehen kann. (Übrigens: Ich überlege, ob ich einen Blogeintrag über das tatsächliche Sexualverhalten von Bonobos schreiben sollte. Falls euch das interessiert, schreibt bitte einen Kommentar.) Auch das legt nahe, dass so eine Grundmoral nicht aus einer Vernunft entsteht, sondern vielmehr auch ein Resultat der Evolution ist, um eben soziale Wesen in die Lage zu versetzen, miteinander das Überleben zu sichern. Man kann diese Grundsätze natürlich im Nachhinein vernünftig erklären, aber die Entstehung ist sicherlich nicht auf eine bewusste Denkhandlung zurückzuführen, bei der konkret darüber nachgegrübelt wurde, welche Regeln für ein erfolgreiches und dauerhaftes Gruppenhandeln besonders nützlich wären.
Jetzt konzentrierten sich die Forscher ja auf moralische Grundsätze, die ihrer Meinung nach Kooperation (und entsprechend Gruppenzusammenhalt) fördern, was sicherlich einer der Hauptgründe ist, wieso man überhaupt eine Moral entwickelt, aber es würde mich schon interessieren, ob es vielleicht noch andere Grundsätze gibt, die prinzipiell von allen befolgt werden. (Dass „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“, also quasi Kants kategorischer Imperativ, nicht dazu gehört, hat sich sicherlich bei den meisten auch schon herumgesprochen.)
Auf Anhieb fällt mir jetzt kein weiterer moralischer Grundsatz ein, der so universell wäre, aber vielleicht habt ihr ja spontan einen Gedanken.
Zum Abschluss möchte ich euch noch vom Moral-Paradox erzählen: Leute, denen es tatsächlich sehr wichtig ist, in den Augen ihrer Mitmenschen moralisch zu wirken, tendieren dazu, unehrlicher und somit unzuverlässiger zu sein, was ihre eigenen moralischen Fehltritte angeht, als diejenigen, denen es nicht so wichtig ist, wie moralisch sie in den Augen ihrer Mitmenschen sind. So gesehen sind diejenigen, die mehr Wert auf moralisches Verhalten legen, oft unmoralischer als die, die das nicht tun. Ich glaube, Belege für dieses Paradox findet man nicht nur in der Redaktion der BILD.
Das war mal ein etwas anderer Blogeintrag von mir, aber vielleicht fandet ihr das ja auch mal ganz interessant. Ich würde mich freuen, eure Gedanken dazu in den Kommentaren zu lesen. Und ansonsten lesen wir uns bald wieder.
Premiummitglied
Mir kommt bei Moral immer der Spruch mit den Elchen in den Sinn: "Die größten Kritiker der Elche, sind meistens selber welche."
Zwar alt: https://www.scientificamerican.com/article/homophobes-might-be-hidden-homosexuals/
betrifft aber durchaus auch die Elch-Problematik...bezüglich Sexualmoral
Sehr heftiges und auch provokantes Beispiel:
https://www.heise.de/tp/news/Weltpaedojaeger-oder-die-Kritiker-der-Elche-2017564.html
Mit diesen Leutchen hatte ich auch zu tun....und neben dem Beispiel kenne ich noch zwei andere....wo der Elchspruch auch zutrifft....
Drogen wären auch so eine Thematik.....ein Kumpel meinte mal, dass Menschen die so vehement gegen etwas sind, in der Realität "Gelüste" auf diese Sache verspüren und die Forderung nach allgemeinen Verboten dafür sorgen soll, dass sie eben vor diesen Sachen geschützt sind....
bj68