Immer noch eine dumme Idee? Living Packets lebt!
Nuff! Ich grüße das Volk.
2020 nervte auf Youtube ein Startup mit recht großmäuligen Videos, in denen man sich mit Amazon verglich und den arglosen Zuschauern anbot, bei der nächsten großen Sache zu investieren: eine Kunststoffkiste mit E-Ink-Label, die 1000-mal verwendet werden kann und durch ein Netz von Annahmestationen, die ein Pfandgeld auszahlen, immer wieder in die Zirkulation gelangt. Das sollte im Endeffekt die Umwelt schützen. Ich habe damals einen Blogeintrag über Living Packets verfasst und die ganze Idee ausgiebig auseinandergenommen.
Im Oktober desselben Jahres schaltete sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein und erklärte, dass dieses Anlagekonzept von Living Packets illegal ist. Das war sicherlich ein großer Schlag fürs Unternehmen. Bis Ende 2021 passierte dann auf der Internetseite nichts. Die Zeitpläne, die noch für 2020 die Massenproduktion der Box versprachen, ebenso wie eine baldige Markteinführung, waren hoffnungslos überholt, weswegen ich schon dachte, dass der ganze Verein nur noch eine Karteileiche ist.
Aber nein: Tatsächlich gibt's Living Packets noch, und anscheinend sind sie (in Frankreich) tatsächlich jetzt auf dem Markt vertreten. Die deutschsprachige Website scheint allerdings etwas weniger Sorgfalt abbekommen zu haben, das Deutsch ist ein wenig wackelig.
Erinnern wir uns an den ursprünglichen Plan: Unternehmen sollten nicht mehr als 2 Euro pro Versand zahlen (also nicht mehr als für den Versand im Pappkarton), es sei denn, sie buchen Zusatzdienste, aber die Empfänger sollten Geld bekommen, wenn sie die Kisten wieder in einer Sammelstelle oder einem neuen Versender abgeben, die Sammelstellen sollten auch Geld verdienen, und am Ende wollte Living Packets noch 50 Prozent des Gewinns an die Investoren ausschütten, die man über die Youtube-Videos geworben hatte.
Jetzt können wir schauen, was daraus geworden ist. Die Website bietet zwei Bereiche an, einen für Privatpersonen (Bereich Gewinnbeteiligung) und einen für Geschäftsführer (Unternehmensbereich). Kommen wir zunächst zur Gewinnbeteiligung.
Privatpersonen können eine Kiste ganz normal für sich kaufen und behalten, wenn sie 699 Euro zahlen. Oder sie können eine Kiste für 399 Euro kaufen, aber sie von Living Packets für ihre Dienstleistungen vermieten lassen. Living Packets verspricht für acht Jahre 30 Prozent des so erzielten Umsatzes und garantiert die Auszahlung von 800 Euro. Es gibt auf der Seite auch noch einen kleinen, putzigen Rechner, mit denen man sich das Maximalergebnis schönrechnen kann. Living Packets blendet aber kleine Warnungen ein, wenn man die Werte zu optimistisch wählt, und weigert sich, diese zu garantieren. (Wenn Living Packets in zwei Jahren bankrott ist, kann man sich für die Auszahlungsgarantie aber sowieso nichts kaufen.)
Das Resultat: Bis zu 9 Euro pro Lieferung findet Living Packets noch realistisch - aber man geht nicht unbedingt davon aus, dass so eine Kiste häufiger als 4 Mal im Monat verwendet wird. Scheint mir jetzt nicht sehr ambitioniert zu sein. Offenbar gibt's dann doch noch nicht so viele Kunden, die ganz heiß darauf sind, THE BOX zu benutzen.
Dann können wir ja mal zur Unternehmerseite wechseln. Wenn Living Packets den Privatpersonen erzählt, dass 9 Euro 30 Prozent ihres Umsatzes pro Einsatz der BOX wären, kann man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die 2 Euro vom vorletzten (und letzten) Jahr komplett vergessen sind. Aber was hat Living Packets denn sonst zu bieten?
Zunächst gibt es nicht nur THE BOX, sondern nun auch THE BOX Pro. Der Unterschied: Die alte Box kann man zusammenfalten, die Pro-Kiste nicht. Außerdem bietet Living Packets auch noch einzeln den E-Ink-Teil an, der auf den Kisten klebt, damit man den selbst an eigene Verpackungen pappen und die Dienstleistungen von LP auch ohne die Kiste in Anspruch nehmen kann.
Für den Versand bietet LP vier verschiedene Dienstleistungspakete an, die sich zum Beispiel darin unterscheiden, wo und wie oft der aktuelle Aufenthaltsort der Box abgerufen wird, welche Sensoren abgefragt werden und ob man die Route ändern kann. Bei der billigsten Variante zahlt man bei Lieferung, bei den drei anderen gibt es eine Zufriedenheitsgarantie: Wer nicht zufrieden ist, kriegt maximal das Zehnfache der Kosten zurück (solange der Inhalt teurer ist als dieser Wert).
Aber wie hoch sind denn nun die Kosten? Das hängt vom Auftragsvolumen und dem gewählten Dienstleistungsplan ab. Wer aber zunächst nur einmal testen will, zahlt unabhängig vom Plan 300 Euro. Aber auch sonst wird's nicht billig.
Wer monatlich über 100.000 Pakete verschickt und somit mit Amazon konkurriert, zahlt selbst beim billigsten Plan 18 Euro pro Verwendung von THE BOX. Beim teuersten sind es 100 Euro. Bei dem geringsten Versandvolumen bewegen sich die Preise zwischen 36 Euro und 240 Euro. Der Knüller dabei: Der eigentliche Transport ist gar nicht im Preis inbegriffen. Man muss also noch einmal zusätzlich Geld abdrücken, um seine Ware zum Empfänger zu kriegen. (LP erzählt, dass die Box mit jedem Transportdienstleister wie DHL, UPS usw. kompatibel wäre, was dafür spricht, dass man sich selbst um den Versand kümmern muss. Aber dann verstehe ich nicht, was mit dem Rerouting gemeint ist, welches man in den LP-Plänen drin hat oder hinzubuchen kann.) Ich hab nicht die geringste Ahnung, wer die Zielgruppe für diese Angebote sein soll.
So erstaunt ich bin, dass Living Packets noch nicht abgesoffen ist, umso überzeugter bin ich, dass das Unternehmen nicht die acht Jahre durchhalten wird, für die es sich verpflichtet, private Investoren an den Einnahmen zu beteiligen. Ich kann mir keinen Markt vorstellen, der groß genug wäre, diese Firma bei den Mondpreisen am Leben zu erhalten. Selbst bei den gestiegenen Preisen für Pappe sind Versandkartons immer noch deutlich billiger, und stoßfest und wasserdicht konnte man Produkte schon früher verpacken. THE BOX ist gerade bei den Preisvorstellungen eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Dummerweise hat sich das Unternehmen da selbst in eine Falle manövriert: Bei den versprochenen Gewinnbeteiligungen kann LP nicht mal wesentlich die Preise senken.
Was denkt ihr über das "auferstandene" Start-Up? Habt ihr eine andere Meinung oder kennt euch vielleicht sogar besser in der Branche aus? Findet ihr das aktuelle Modell erfolgversprechender als das alte? Würdet ihr bei diesem Gewinnbeteiligungsmodell mitmachen oder knapp 700 Euro für so eine Kiste bezahlen? Schreibt eure Gedanken in die Kommentare!
In anderen Nachrichten: Ich habe in den letzten Wochen einige Sachen an Klopfers Web unter der Haube verbessert. Ihr dürftet davon nicht so viel mitbekommen haben, mal davo abgesehen, dass die Übersichten der Kolumnen, Lästereien, Erklärtexte, Geschichten und Übersetzungen jetzt etwas anders aussehen. Außerdem könnt ihr in der LLD jetzt auch Bilder aus der Zwischenablage einfügen.
Wir sehen uns beim nächsten Mal!
Premiummitglied
Also, ich werde nicht investieren. Und ich bin auch nicht zuversichtlich, dass sich da wirklich Kunden finden. Der ein oder andere, der einfach investiert, weil Umweltfreundlicher (wobei das natürlich auch erst erwiesen werden muss), aber die breite Masse wird da die Finger von lassen.
Die neuen Übersichten gefallen mir übrigens!