Das Internet der Illusionen
In den letzten Tagen zeichnete sich ab, dass wir in Deutschland zumindest eine Staatssekretärin für Digitales kriegen, was sicherlich überfällig ist. (Ihre Äußerung zu Flugtaxis möchte ich nicht mit Häme übergießen; angesichts dessen, dass andere Politiker „WLAN in öffentlichen Verkehrsmitteln bis 2050“ als großes Vorhaben verkaufen, bin ich ganz froh, wenn jemand in der Politik wenigstens mal ein bisschen visionär denkt.) Darüber möchte ich aber gar nicht reden, sondern eher über die Äußerungen, die in diesem Zusammenhang von einigen „Größen“ der deutschen Internetszene abgelassen wurden und die ich ziemlich weltfremd finde.
Den Anfang macht Fefe.
Und während ihr über Flugtaxis denkt, denkt Doro Bär darüber nach, ob man nicht mit Breitband-Internet auch eine Frequenzversteigerung machen kann, damit der Staat mal wieder zu ein paar Milliarden kommt, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Und ob man nicht die Wirtschaft ankurbeln kann, indem man die Daten der Bürger an (ausländische) Konzerne verhökert.
Ich löse mal auf: Ja, schon, aber das fördert deren Wirtschaft, nicht unsere.
Ich finde das ja immer toll, wie unsere Politik Datenschutz für einen Hemmschuh hält, dabei ist es eine Chance, eine Marktnische zu erzeugen, in der unsere eigenen Firmen einen Vorteil hätten gegenüber ausländischen Firmen. Der einzige Hemmschuh sind Staatssekretäre im Goldrausch, nachdem sie sich von Lobbyisten warme Luft in den Hintern haben blasen lassen.
Es gibt keine Marktnische, in der einheimische Firmen dank des Datenschutzes einen wesentlichen Vorteil hätten. Ganz im Gegenteil: Die einheimischen Firmen werden schon von Anfang an mit Bürokratie erschlagen, um diese Regeln einhalten zu können, während ausländische Firmen ohne diese Regeln in ihren Heimatmärkten so groß und reich werden, dass sie viel eher die Ressourcen haben, um diese Bürokratie zu bewältigen, wenn sie zu uns expandieren.
Ich weiß nicht, welche Vorstellungen Fefe von Internetnutzern hat, aber es gibt auch keinen vernünftigen Menschen auf der Welt, dessen erste Frage bei einer Website oder einem Produkt ist: „Wie geht es mit meinen Daten um?“, sondern: „Welchen Mehrwert bringt es mir?“ Und wenn der Mehrwert mit besonders großer Bequemlichkeit gepaart werden soll (um eben besonders attraktiv für die Nutzer zu sein), dann kommt man eben oft nicht drum herum, als zusätzliche Daten zu erheben und auszuwerten.
Ein tolles Beispiel haben wir gerade mit WhatsApp: Thüringens Datenschützer beschwert sich darüber, dass WhatsApp meist rechtswidrig benutzt wird. Warum? Weil die meisten Nutzer WhatsApp die Kontakte auf dem Handy durchwühlen lassen, damit diejenigen, die auch WhatsApp haben, automatisch in die WhatsApp-Kontakte aufgenommen werden. Eigentlich bräuchte man das Einverständnis von allen Leuten, die man in seinen Kontakten hat. (Lasst euch übrigens keinen Quatsch erzählen, die meisten anderen Apps machen das auch so.)
Natürlich kann man theoretisch eine Kommunikations-App programmieren, in der man jeden Bekannten, der diese App auch benutzt, per Hand hinzufügen muss, nachdem man ihn nach seiner Kennung gefragt hat. Ist dann aber unbequem und Scheiße, und da darf man sich nicht wundern, dass die Leute lieber was anderes benutzen. Angesichts dessen, dass die Einwohnermeldeämter quasi per Voreinstellung unsere Meldedaten verhökern (und zwar ohne Vorteil für uns), finde ich die Empörung von Datenschützern darüber, dass WhatsApp die Telefonnummern unserer Handykontakte danach abgleicht, ob schon jemand bei WhatsApp angemeldet ist, doch etwas verlogen.
Nun ist Fefe sicherlich keiner, der sich nicht über das Verhökern unserer Meldedaten aufregt, aber ich hab von ihm auch keine Idee gesehen, wie es gelingen kann, eine Videoseite oder ein soziales Netzwerk erfolgreich zu betreiben, ohne irgendwie mit den Daten der Nutzer zu arbeiten.
Die andere Person, auf die ich einprügeln muss, ist Markus Beckedahl. Der hat der FAZ ein Interview gegeben. Und dabei gab er Folgendes zu Protokoll:
Ich stelle mir eine menschenfreundliche Digitalisierung vor, die die Verbraucher mit ihren Bedürfnissen in den Vordergrund stellt und nachhaltige Geschäftsmodelle schafft, die nicht auf der Überwachung der Nutzer und dem Verlust von Privatsphäre und Persönlichkeitsrechten gründen.
Das wäre sehr schön. Und wenn meine Kacke nach Schokolade riechen würde, wäre das auch sehr schön. Und ich halte es für wahrscheinlicher, dass die zweite Sache wahr wird. (Die Farbe stimmt schon mal.)
Es gibt im Wesentlichen nur drei Möglichkeiten für ein Unternehmen, Geld einzunehmen.
- Man wird über Steuergelder oder Abgaben von der Öffentlichkeit bezahlt.
- Man wird von demjenigen bezahlt, der ein Produkt oder eine Leistung kauft oder nutzt.
- Man nimmt Geld über Werbung ein, die man demjenigen zeigt, der das Produkt oder die Leistung nutzt.
Das ist der Rahmen, in dem man sich bewegt, und in all meinen Jahren im Internet, in denen Leute (wie Beckedahl) von neuen Geschäftsmodellen redeten, habe ich nie auch nur den konkreten Vorschlag eines Geschäftsmodells gesehen, welches Einnahmen anders generieren wollte oder konnte.
Einschub: Ich hab mich 2009 schon darüber amüsiert, als diese ganzen Alphablogger das „Internet-Manifest“ verfassten. Damals schrieb ich:
Dass viele dieser Kämpfer für die Internetsache, die so auf die verbohrten und vertrockneten alten Medien schimpfen, den Großteil ihres Geldes eben mit diesen alten und vertrockneten Medien machen, ist auch eine etwas bittere Ironie, wenn sie dann erzählen wollen, wie man doch tolle Finanzierungsmöglichkeiten für Journalismus im Internet finden kann.
Nachdem Krautreporter einige Jahre später dann auch ein Rohrkrepierer war, warte ich immer noch auf die große Innovation.
Wie sieht's denn also mit den nachhaltigen Geschäftsmodellen im Rahmen dieser drei Punkte aus?
Die staatlich geregelte Finanzierung ist – insbesondere bei größeren Firmen – der Bevölkerung wohl nicht zu vermitteln. (Das Höchste ist wohl schon, dass man Einnahmen über Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort kriegen kann, weil man einen Anteil an der Urheberrechtsabgabe auf Kopierer etc. bekommt.) Punkt 1 fällt für eine europäische oder deutsche Alternative zu Youtube, Facebook oder WhatsApp daher wohl flach.
Der zweite Punkt scheitert zumeist an der mangelnden Zahlungsbereitschaft der meisten Leute, wenn es um nichtmaterielle Inhalte geht. Klar, einzelne Künstler werden von vielen unterstützt (über Patreon, Merchandise oder direkte Premium-Mitgliedschaften), aber wie viele Leute möchten tatsächlich für Youtube zahlen? Oder für Facebook, Instagram, Snapchat oder Twitter? WhatsApp kostete am Anfang zwar einen Jahresbeitrag – war aber eine bessere und billigere Alternative zur SMS, für die man teilweise bei den deutschen Providern 19 Cent pro Stück zahlen musste. Wäre eine deutsche Video-für-alle-Website eine bessere und wirtschaftlich tragfähige Alternative zu Youtube, wenn ein Mitgliedsbeitrag Pflicht wäre, um sie zu finanzieren? (Zumal Youtube selbst schon Schwierigkeiten hat, aus den roten Zahlen zu kommen; bei anderen Videoseiten sieht's ja nicht besser aus. Selbst Google hatte mit Google Video zunächst vergeblich versucht, mit Youtube zu konkurrieren, bis man den Laden dann einfach kaufte.)
Kleine Youtuber sind jetzt schon angepisst, wenn sie nicht mal mehr ein paar Euro durch Werbung einnehmen können, weil sie die neuen Youtube-Regeln für die Teilnahme an AdSense nicht erfüllen, obwohl es ja trotzdem sehr bemerkenswert ist, dass sie kostenlos ein Video ins Netz stellen können, ohne sich Gedanken über die Technik oder die Kosten für Speicherplatz und Datenverkehr machen zu müssen. Aber sie haben sich so daran gewöhnt, es kostenlos machen zu können, dass sie jetzt schon die Empfindung haben, dass ihnen etwas weggenommen wird, wenn sie nicht ein paar Euro durch Werbung einnehmen können. (Youtube blendet bei diesen kleinen Youtubern übrigens gar keine Werbung ein, verdient also selbst auch nicht direkt daran, dass es diese Videos anbietet, sondern zieht nur indirekt einen Vorteil daraus, dass es deren Zuschauer noch besser nach ihren Sehgewohnheiten analysieren kann.)
Also bleibt der dritte Punkt: Werbung. Bei anderen Medien war Werbung noch schön einfach: Man gab an, wie viele Exemplare man verkaufte oder wie viele Leute einschalteten, und die Werbekunden bezahlten dann entsprechend dieser Zahl. Dann kam das Internet, und damit die Möglichkeit, konkret zu messen, wie gut Werbung funktioniert, also wie oft sie angezeigt und auch angeklickt wird, und weiterführend oft auch, wie viele dieser Klicks dann auch den Zweck erfüllen, den sich die Werbekunden erhoffen. Das drückte natürlich die Werbepreise. Um also tatsächlich noch Geld mit Werbung zu verdienen, hat man kaum eine andere Wahl, als sie möglichst gut auf die Personen abzustimmen, die sie zu Gesicht bekommen sollen. Denn nur, wenn man ihnen das zeigt, was sie auch interessiert, hat man überhaupt die Chance, ein gutes Verhältnis zwischen Werbe-Einblendungen und Klick/Sale zu kriegen, und für die Plattform, auf der geworben wird, hängt damit auch ab, ob sich Werbekunden finden, die dort werben wollen. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Der Geist ist aus der Flasche entkommen, den kriegt man nicht mehr zurück. Quasi erfolgsunabhängig Werbeplätze verkaufen zu können, ist heute nicht mehr möglich.
Eine Seite, die eigenständig Werbeplatz verkauft, aber ohne die Werbung auf Zielgruppen zuschneiden zu können, weil es schließlich böse wäre, die Nutzerdaten zu analysieren? Kann man probieren, aber man sollte nicht erwarten, dass einem die Firmen die Tür einrennen. (Hierbei muss man auch anmerken, dass zum Beispiel Facebook nicht die Daten der Nutzer an die Werbekunden verkauft, sondern selbst die Platzierung der Werbung bestimmt und den Werbekunden einfach nur Kriterien anbietet, nach denen die Nutzer ausgewählt werden, denen die Werbung angezeigt wird.) Wirklich Geld macht man sowieso nur mit großen Nutzerzahlen. So eine kleine Seite wie meine mit etwas über 3000 Besuchern am Tag nimmt durch Bannerwerbung an den meisten Tagen nicht mal 50 Cent ein. Eine Alternative zu den großen amerikanischen Plattformen stünde also unter dem Zugzwang, schnell sehr viele Nutzer zu gewinnen, um überhaupt auch nur den Funken einer Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass man in absehbarer Zeit mit den Einnahmen aus dem operativen Geschäft überleben kann.
Beckedahl träumt von einer Digitalisierung, die die Verbraucher mit ihren Bedürfnissen in den Vordergrund stellt, aber die Nutzer nicht überwacht. In vielen Fällen wird sich das ausschließen. Eine App, die einem die Restaurants in der unmittelbaren Nähe anzeigen soll, hat keine andere Wahl, als den Standort des Nutzers an einen Server zu übermitteln. Ein Programm, das einem helfen soll, in der Flut von Neuerscheinungen interessante Serien, Filme, Bücher oder Musikstücke zu finden, wird nicht umhinkommen, die bisher abgespielten Medien zu analysieren, um eine Idee zu haben, welchen Geschmack die Empfehlungen befriedigen sollen. Für einen Bankkunden wäre es eventuell sehr nützlich, wenn die Bank einen Überblick darüber behält, von wo aus jemand versucht hat, auf das Konto zuzugreifen, um Alarm zu schlagen, falls jemand aus Rumänien Geld von dem Konto abheben will, obwohl der letzte Zugriff zwei Stunden vorher noch in einem Einkaufszentrum in Gütersloh geschah.
Ende Mai wird in der Europäischen Union die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft treten. Die DSGVO soll die Verbraucherrechte stärken und Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, was Datenschutz angeht. So viel zur Theorie. In der Praxis ist das Teil ein Bürokratiemonster und reiner Stuss, der nur dazu führen wird, dass einheimische Internetunternehmen es noch schwerer haben, gegen größere Konkurrenz aus den USA oder China zu bestehen.
Die DSGVO sagt, dass die Datenschutzerklärung „in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache“ bereitgestellt werden muss. Die Datenschutzerklärung, die ich wegen dieses Gesetzeswerks auf meine Seite stellen musste, ist über 30 Seiten lang und feinstes Juristendeutsch (ansonsten wäre es nämlich nicht „präzise“, weil Juristen kein normales Deutsch können). Das hilft den Nutzern der Seite überhaupt nicht und befriedigt nur Anwälte.
Zudem sind die Anforderungen zum Teil hirnrissig. Wie die IT-Fachzeitschrift c’t darlegte, müssen zum Beispiel Webseitenbetreiber, die für den Betrieb ihrer Seite einen normalen Hostingvertrag geschlossen haben (etwa bei 1&1), entweder jeden Besucher nach seinem Einverständnis zur Speicherung seiner Daten bei dem Provider (und wenn nur als Teil der Server-Logdateien) fragen oder eigens eine Vereinbarung mit dem Provider zur „Auftragsverarbeitung“ schließen. Das bedeutet Papierkram, aber löst überhaupt kein Problem.
Es gibt auch ein „Recht auf Datenübertragbarkeit“. Ein Nutzer kann somit verlangen, dass ein Unternehmen sämtliche seiner gespeicherten Daten in maschinenlesbarer, strukturierter Form zur Verfügung stellt, damit er zu einem anderen Anbieter umziehen kann. Das mag bei einer Bank oder vielleicht sogar einem E-Mail-Anbieter sinnvoll sein. Aber wenn ich bei Facebook alle meine Kommentare abrufen kann, wird Google+ mir trotzdem den Vogel zeigen, wenn ich verlange, dass dort gefälligst meine Facebook-Kommentare eingebunden werden. Für Internetseiten ist diese Vorgabe reiner Unfug.
Das sind nur zwei Beispiele für den Quark, den die Politik verzapft. Die ganze Sache wird noch dadurch verkompliziert, dass die Politik auf der einen Seite viel von Datenschutz redet und Firmen dazu bringen will, möglichst wenig über ihre Nutzer zu speichern, andererseits aber auch ganz selbstverständlich erwartet, dass die Unternehmen vollständige Namen, Geburtsdaten, Alter und Schuhgrößen von ihren Nutzern liefern können, falls diese wegen Schmähkommentaren vor den Kadi gezerrt werden sollen.
Im Endeffekt wird das Betreiben von Internet-Unternehmen in Europa so nur noch mehr zum juristischen Risiko, und es wird weiterhin so bleiben, dass wir zu außereuropäischen Angeboten keine Alternativen bekommen. Und auch in vier Jahren nach den nächsten Bundestagswahlen werden sich wieder allerlei Schlauberger hinstellen und erzählen: Mit noch mehr komplizierten Regeln klappt’s bestimmt!
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