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Traumjobs

Erwachsen zu werden, ist an sich nicht schwer. Im Prinzip muss man nichts weiter tun, als sich 18 Jahre lang am Leben zu halten, was für die meisten eher ein unbewusster Akt ist, auch wenn man sich in jugendlicher Schwermut gelegentlich mit dem Gedanken trägt, der elenden Existenz ein jähes Ende zu setzen, weil die Klassenkameraden doof sind oder die große Liebe einem das Herz rausgerissen hat. Umso unverantwortlicher ist es vom Leben, die Jugend so wenig auf das Erwachsenenleben vorzubereiten. Sein Leben lang blickte man auf Erwachsene und hatte den Eindruck, dass diese irgendwie genau wüssten, wie alles läuft. Der große Schritt, selbst erwachsen zu werden, besteht dann in der Erkenntnis, dass die Erwachsenen eigentlich auch keinen Plan haben und genauso unsicher durchs Leben gehen, aber dieses besser verstecken können. Dieser Gedanke ist schon niederschmetternd. Wenn man sich dann aber damit trösten will, dass man wenigstens seinen Traumberuf ausüben kann, kommt der nächste Schlag in die Magengrube. Traumjobs sind scheiße.

Viele Kinder wollen zum Beispiel Eisverkäufer werden. Eisverkäufer zu sein ist doof. Man steht mit seinem Wagen herum, lauter nervige Großföten bezahlen mit verklebten Münzen, sind zu blöd, Stracciatella auszusprechen, manschen die Eiskugeln dann irgendwelchen Leuten an die Kleidung und verteilen den Rest in ihrem Gesicht – und wenn’s dann wieder etwas kälter wird, ist man arbeitslos, hängt an der Flasche und überlegt, sich den Schädel weg zu pusten.

Ich selbst hatte eine Zeitlang überlegt, Pilot zu werden. Pilot ist fast noch beschissener als Eisverkäufer. Das liegt nicht nur an der langen Ausbildungszeit. Wer mal einen Langstreckenflug gemacht hat, der kennt das Elend: Man sitzt viele Stunden blöd herum, draußen sieht man oben nur Himmel und unten fast nur Wolken, und schließlich guckt man den einzigen guten Film, der auf dem Bildschirm in der Lehne vor einem verfügbar ist, in Dauerschleife an, bis man ihn mitsprechen kann. Als Pilot ist es noch blöder, denn ein Pilot kann nicht mal einen Film gucken. Die Bildschirme zeigen ihm nur das Wetter, die Flugzeuge in der Nähe und die Daten des eigenen Flugzeugs an. Das kann man wohl nur ansatzweise nachstellen, wenn man sich mal fünf Stunden vor seinen Computer setzt und nur die Prozessorauslastung anstarrt. Pilot zu sein ist stinklangweilig. Selbst gelegentliche Blowjobs der Stewardessen sind mittlerweile keine garantierten Vorzüge mehr – zum einen aus Gründen der Flugsicherheit, zum anderen weil die Stewardessen oft gar nicht mehr so knackig sind wie früher.

Wo ich gerade Blowjobs erwähnt habe: Ein weiterer Traumberuf von vielen pubertierenden Jungs ist es, Pornodarsteller zu werden. Ich glaube, es gibt keinen Beruf, bei dem Traum und Wirklichkeit so weit auseinander liegen. Die Kerle müssen ständig ihren Körper fit halten, auf Kommando eine Erektion kriegen und sie halten, und beim Rammeln dürfen sie nicht einmal so agieren, wie es ihnen gerade Lust macht, sondern so, dass die Kamera den besten Einblick bekommt. Orgasmus nach Laune ist auch nicht angesagt, stattdessen schüttelt man sich auf den letzten Metern selbst die Nudel trocken, damit die Sahne auf dem Hintern oder dem Gesicht der Dame oder des Herrn landet. Die Pornodarstellerinnen machen die ganze Sache für die Herren noch erniedrigender – erst mal kriegen sie weitaus mehr Geld pro Szene, und zweitens weiß man genau, dass sie jetzt zwar lauthals bekunden, dass sie den Job aus Spaß machen und immer und alle Orgasmen echt wären, aber nach drei Jahren und dem Ausstieg aus der Pornoszene rumflennen, wie scheiße das alles gewesen wäre und sie alle Freudenschreie gespielt hätten. Und für Frauen ist die Arbeit auch nicht besser: Immer rasiert und feucht sein, ständig keuchend hyperventilieren, ohne ohnmächtig zu werden, und dauernd den eigenen Stolz und diverse andere Dinge runterschlucken, während irgendwelche Typen versuchen, Sätze wie „Oh ja, du kleine Dreckfotze, saug mir die Ficksahne aus den Eiern“ erotisch klingen zu lassen. Dann doch lieber Straßenfeger.

Vielleicht sind Traumjobs aber auch dazu da, sie nicht zu verwirklichen, so wie erotische Träume, die man auch nicht unbedingt ausleben sollte (zumindest wenn man nicht aus erster Hand erfahren möchte, dass ein Dreier mit zwei Damen nicht so geil ist, falls die Kraft noch nicht einmal zur Befriedigung einer Frau ausreicht). So sitzt man dann mit einem Helm auf dem Kopf im Kohleflöz und kratzt missmutig hochsubventionierten Brennstoff aus der Erdkruste, während man davon träumt, in einem weißen Kittel in einer peinlich sauberen Fabrikhalle (ebenfalls hochsubventionierte) Solarzellen zu fertigen und was für das Überleben der Natur zu tun.

Inzwischen soll man aber sowieso schon froh sein, überhaupt arbeiten zu dürfen. Nachdem die schwarzgelbe Regierung am liebsten alle Mindestlöhne, die man in der letzten Legislaturperiode nach langem Hickhack eingeführt hatte, wieder abschaffen möchte, muss man seine Ansprüche an den Lohnscheck schon arg herunterschrauben. Das Verbot „sittenwidriger Löhne“, die über ein Drittel unter dem regionalen Durchschnittslohn für die betreffende Arbeit liegen, ist hierbei weniger Erleichterung als vielmehr ein weiterer Tiefschlag ins Angesicht der arbeitenden Bevölkerung – drückt doch jeder ganz knapp nicht sittenwidrige Lohn den Durchschnitt und ermöglicht es, dem nächsten armen Teufel auf Arbeitssuche noch weniger zu zahlen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Dass die Wirtschaft zusammenbrechen würde, wenn die Leute, die üppige vier Euro pro Stunde bekommen, auch nur so viel wie für vier Euro pro Stunde arbeiteten, bleibt leider eine Gedankenspielerei. Als Bettler steht man allerdings finanziell auch nicht schlechter da.

Aber nicht nur einfache Arbeiter haben so ihre lieben Sorgen mit der Arbeitsplatzbeschaffung. Wer nach einem Studium einen Job sucht, der landet nicht selten in der Praktikumshölle: Niemand will jemanden einfach so einstellen, mit Probezeit und Sozialabgaben und allem Drum und Dran – nein, zunächst muss man ein Praktikum machen, welches natürlich schlecht bis gar nicht bezahlt wird. Ganz deprimierend wird es für die vielen Leute, die „irgendwas mit Medien“ machen wollen, denn nicht wenige Firmen wollen Interessenten nicht nur in Praktika ausbeuten, sondern verlangen als Voraussetzung für ein Praktikum bereits erfolgte Praktika. Die flehenden Blicke in Richtung Staat, doch bitte für eine gerechte Entlohnung und faire Arbeitsbedingungen für Praktikanten zu sorgen, blieben indes fruchtlos. Wen wundert’s: Während es in der freien Wirtschaft immerhin nicht selten ist, dass Praktikanten wenigstens ein kleines Entgelt bekommen, so sind Bund, Länder und Kommunen die größten Knauser und zahlen ihren Praktikanten am liebsten gar nichts. Ein entsprechendes Gesetz würde also nur die eigenen Ausbeutungsmaßnahmen untergraben.

Unter diesen Voraussetzungen hat dann jeder halbwegs fair bezahlte Beruf das Zeug, ein Traumjob zu sein. Und wenn man dann seufzend die Überstunden abreißt und sich mit dussligen Chefs und unverschämten Kunden herumärgert, dann weiß man, dass das stimmt, was ich oben schrieb: Traumjobs sind scheiße.

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