Männergespräch
„Na, wie geht’s?“, klopft er mir auf die Schulter und parkt seinen Hintern neben mir. Ich blicke ihn stumm an, was ihn aber nicht zu bremsen scheint. „Wie sieht’s aus, hast du wieder eine Freundin?“
Ich schaue verkniffen, wie immer, wenn man mir diese Frage stellt. „Oh, sorry. Aber hast du inzwischen wenigstens ein bisschen Action gehabt? Action, du verstehst?“, bohrt er zwinkernd weiter. Mein Gesichtsausdruck verfinstert sich noch etwas mehr. Warum kommt er rein und will über mein Liebesleben quatschen? „Auch nicht?! Wow, du arme Sau.“ Oh ja, vielen Dank. Wenn er mich nicht dran erinnert hätte, ginge es mir noch richtig gut. Und wenn er sich ein T-Shirt anziehen würde. Seine Hühnerbrust will ich nicht sehen.
„Aber mal ehrlich, eigentlich hast du auch Glück!“ Ich stutze. So etwas sagt man normalerweise zu jemandem, mit dem man eine Schlägerei anfangen will. Aber das scheint nicht Sinn und Zweck der Übung zu sein. „Weißt du, ich habe ja so eine unglaubliche Wirkung auf Frauen.“ Aha. Das ist also der Grund. Er braucht jemanden, der ihm beim Absingen der Lobeshymne auf ihn selbst Gesellschaft leistet. „Aber das hast du ja auch gesehen.“ Habe ich? Kann mich gar nicht erinnern. „Gestern, als wir unterwegs waren …“ Bis hierhin kann ich ihm folgen. „… da kam uns doch diese eine Chika entgegen, und die ist ja voll rot geworden, als ich sie angeschaut habe!“ Das muss passiert sein, als ich mir gerade vorstellte, irgendwo anders zu sein. Auf einer tropischen Insel, eingeklemmt zwischen Emma Watson und Jessica Alba, hundert Kilometer von jedem Kleidungsstück entfernt. Ich kann mich jedenfalls an kein Mädchen erinnern, dem bei seinem Anblick das Blut in den Kopf schoss. Er lässt sich von meiner verwirrten Mimik aber nicht aus dem Konzept bringen.
„Ich weiß auch nicht, wie ich das mache! Ich brauche nur ein Mädchen kennenzulernen, und wenn ich nicht aufpasse, liegt sie schon zwei Stunden später in Unterwäsche auf mir!“ Skandalös! Wenn ich mit erfundenen Eroberungen protze, haben die in den Erzählungen keine Unterwäsche mehr an. „Das ist fast wie ein Fluch!“ Ja, genau. Wenn ich so eine Wirkung auf Mädels hätte, wäre „Fluch“ natürlich auch das erste Wort in meinem Kopf, um dieses Phänomen zu beschreiben. „Hier, bei SchülerVz, da kannst du dir mal meine Freundesliste angucken. Ich nehme nur Mädchen auf, die scharf auf mich sind.“ Er schnappt sich meinen Laptop und meldet sich bei besagter Datensammelstelle an. „Hier, guck! Also die jetzt nicht, die hasst mich. Und das da ist meine Ex, die mag mich auch nicht mehr. Aber sonst sind das alles Mädchen, die ich sofort haben könnte! Tu ich natürlich nicht, ich will meine Freundin ja nicht betrügen.“ Wie nobel. Ich frage lieber nicht, warum er Leute in seiner Freundesliste hat, die ihn nicht leiden können oder mit denen er nichts anfangen kann. Denn dann würde er antworten, und die Antwort interessiert mich eigentlich gar nicht.
„Aber weißt du, da habe ich auch ein echtes Problem.“ Oha? Ist der Teil mit den Lobpreisungen für Sex-Appeal und Potenz schon vorbei? Da bin ich ja mal … nein, eigentlich bin ich nicht wirklich gespannt. „Du weißt doch, dass ich in ein paar Tagen Urlaub in der Türkei mache. Und da werden doch auch viele Mädchen in meinem Alter sein.“ Bestimmt, aber die werden seine Anwesenheit vermutlich bei ihren Reiseveranstaltern nicht als Mangel melden können. „Wenn Mädchen schon rot werden, wenn ich sie nur auf der Straße angucke, was soll das erst sein, wenn wir uns am Strand sehen? Ich will doch nicht fremdgehen!“ Ich massiere meine Schläfen. Passiert das jetzt wirklich?
Ich beschließe, dem jungen Mann ein wenig von meiner Weisheit auf dem Weg zu geben. „Die Türkei hat im Jahr 2007 einen jungen Deutschen eingesperrt, weil er mit einer englischen Lolita ‚Such die Wurst‘ gespielt haben soll. Es gibt also entgegen deiner Befürchtung kein Gesetz, welches dich dazu zwingt, deinen Lümmel in Urlaubsbekanntschaften zu stecken.“ Ich setze mein würdevolles Ratgebergesicht auf und sonne mich in der Nützlichkeit meiner Information. „Ja, aber das ist doch nicht so leicht zu widerstehen!“ Widerworte? Wird ja immer schöner. Da muss ich eingreifen, sonst gewöhnt der Knabe sich noch daran. „Nun hör mal zu. Deine Freundin will nicht, dass du mit anderen poppst. Du sagst, dass dir das schwer fällt. Wenn du willst, sag ich deiner Freundin, dass du nicht anders kannst, es zwischen euch nicht funktioniert und du schon vor dem Urlaub fest planst, in fremdes Holz zu nageln, okay?“ „Nein nein! Ich schaff das schon! Ich meine ja nur, dass es verlockend ist!“ Innerlich grinse ich zufrieden. Dieses Zurückrudern, dieser leichte Anflug von Panik bei meinem Gegenüber belebt mich. Und ich musste ihn nicht einmal schlagen, um ihm zu zeigen, dass man mir nicht widersprechen sollte.
„Hey, da fällt mir ein, ich kann dir total helfen!“ Offenbar will er meinen Zorn besänftigen. „Du kennst doch Mädchen, mit denen du es machen würdest, aber die haben alle einen Freund, richtig?“ Das kommt davon, wenn man nach dem Erscheinen von Fotos, auf dem man selbst mit einer Vertreterin des anderen Geschlechts zu sehen ist, die unvermeidlichen Fragen „Seid ihr jetzt zusammen?“, „Du findest sie doch hübsch, oder?“ und „Wenn sie keinen Freund hätte, hättest du doch nichts dagegen?“ wahrheitsgemäß beantwortet. Aber wie will er mir jetzt helfen? Ich hebe fragend eine Augenbraue. „Schick die Frauen einfach zu mir! Ich kann dafür sorgen, dass jede Frau ihren Freund hasst und zu dir geht, ehrlich!“ Ich glaube ihm, dass er das bei seiner eigenen Freundin schaffen würde, aber wieso leitet er daraus eine allgemeingültige Superkraft ab? Ich lehne dankend ab, denn erstens fände ich so ein intrigantes Vorgehen schäbig, und zweitens habe ich gar nichts gegen die Männer, mit denen die besagten Mädels zusammen sind.
Er will mir aber unbedingt etwas Gutes tun. „Aber weißt du, wenn du mal wieder bumsen willst, sag Bescheid! Ich kenne da vier Mädchen, die stehen sofort willig vor deiner Tür, wenn ich ihnen von dir erzähle. Such dir eine aus, und ich regel das!“ Ich schaue mich unwillkürlich um. Sind hier irgendwo Kameras versteckt? Meine offensichtliche Verwirrung bremst seinen Redeschwall nicht. „Zwei sind 17 Jahre alt, zwei sind 24. Eine ist masochistisch veranlagt, eine ist devot, eine ist total versaut und die letzte will einfach total befriedigt werden.“ Die anderen dann wohl offenbar nicht? „Die stehen zwar auf mich, aber wenn ich denen das sage, gehen die sofort mit dir ins Bett!“ Er erwartet offenbar eine Antwort. Ich lehne dankend ab. Wenn mir ein Mädchen schon die Chance gibt, ihr die enttäuschendsten 20 Sekunden ihres Lebens zu bescheren, dann soll sie das freiwillig entscheiden, sobald sie mich kennenlernt. Er geht zur Tür, dreht sich aber noch einmal kurz um: „Mein Angebot steht! Denk dran!“ Er ist 15 Jahre alt. Mir bluten die Ohren. Und das Herz.