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Wutbürgertum

Es mag überraschend sein, aber in der DDR lernte man zu demonstrieren. An jedem ersten Mai und am besten noch zu den Republikgeburtstagen wurde man dazu angehalten, in Massen durch die Straßen zu laufen und zu demonstrieren. Manche trugen sogar Transparente. Natürlich dienten diese Demonstrationen nicht dazu, Missstände im eigenen Land anzuprangern, sondern vielmehr als Selbstbefriedigung für die Führung, die es einfach mochte, dass das Volk an ihr vorbeizog und den Arbeiter- und Bauernstaat ganz dufte fand.

Den heutigen Demonstrationen geht diese positive Grundeinstellung völlig ab. Man ist immer nur dagegen. Und das ist an sich auch in Ordnung: Wenn „die da oben“ Scheiße bauen, sollte man seinen Unmut auch zum Ausdruck bringen, um den Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu geben, ihre Irrwege zu erkennen und zu korrigieren. Es wird allerdings etwas peinlich, wenn die Demonstranten mit ihrem Anliegen scheitern, die Aussichtslosigkeit aber nicht begreifen und stumpf weiter demonstrieren. Es gibt zum Beispiel seit 2004 Montagsdemos gegen Schröders Agenda 2010 und die Hartz-Reformen. Der Mann ist seit über sechs Jahren nicht mehr Kanzler und sorgt inzwischen dafür, dass die Deutschen ordentlich von den Russen vergast werden, die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen interessieren keine Sau mehr. Ich frage mich, warum überhaupt noch Leute hingehen. Wenn zigtausend Demonstranten vor sieben Jahren keinen Erfolg hatten, die Regierung zu erweichen, dürfte die Hoffnung vergebens sein, dass es die paar verbliebenen Gestalten jetzt noch packen.

Um dem Teilnehmerschwund entgegenzuwirken, bietet man sich wie eine Hure jedem Thema an, das die Bevölkerung emotional anspricht. So demonstriert man bei vielen Montagsdemos nicht mehr nur gegen Hartz IV, sondern auch gegen Atomkraft, Fluglärm und umstrittene Bauprojekte wie etwa Stuttgart 21. Und trotzdem hat man oft das Gefühl, dass eine bei Facebook angekündigte Geburtstagsparty die Bevölkerung mehr zur Teilnahme motiviert als ein Demonstrationsaufruf mit einem Thema, welches eigentlich schon vor über einem halben Jahr stark röchelte, zusammenbrach und nach kurzem Siechtum endlich abkratzte, um so aus dem akuten Problembewusstsein der Öffentlichkeit zu verschwinden.

Die Proteste gegen Stuttgart 21 gaben uns auch das Wort „Wutbürger“. Wer sich heute in der Masse über etwas aufregt, ist ein Wutbürger und versucht wutbürgerlich seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Ich kann das Wort eigentlich nicht leiden, aber bei manchen Demonstranten deutet es doch ganz gut an, dass sie nicht so gut zu Fuß sind, was rationales Denken angeht, und sich in ihrem Protest nur von ihren Emotionen leiten lassen. Das ist eher suboptimal, wenn es darum geht, tatsächlich mal ein Problem zu lösen und endlich was gebacken zu kriegen.

Ich habe zum Beispiel wenig Verständnis für Leute, die quer durch Deutschland reisen, um sich einem Castor-Transport in den Weg zu stellen. Es leuchtet mir nämlich nicht so recht ein, was die Leute eigentlich erreichen wollen. Im Prinzip sorgen sie dafür, dass der Atommüll länger unterwegs ist und die Umgebung mehr Gelegenheit hat, sich daran zu wärmen. Ich glaube nicht, dass das das Ziel ist, aber was wollen sie denn nun? Der Atommüll ist nun mal da, und wir müssen den irgendwo lagern – und ihn natürlich zu diesem Lager bringen. Ich habe von den ganzen Demonstranten noch nicht gehört, was ihrer Meinung nach denn mit dem Abfall gemacht werden sollte. Natürlich könnte man ihn auch den Afrikanern schicken, damit sie ihn unter ihren Häusern verbuddeln oder essen oder was immer man ihnen als heimliche Kolonialmacht zwecks allgemeiner Erheiterung aufträgt. Aber das wäre nicht nur ein wenig gemein, sondern auch gegen internationale Verträge, wonach sich jedes Land selbst um seinen Atommüll zu kümmern hat. Außerdem sind die meisten dieser Anti-Castor-Demotouristen ja eher Hippies und mögen es nicht so, wenn man den Schwarzen seinen Dreck aufdrückt. Ich kann ja halbwegs nachvollziehen, wenn die Leute in und um Gorleben es nicht so prall finden, wenn unter ihren Füßen das nukleare Erbe der deutschen Atomwirtschaft lagert, aber was für einen Grund haben Leute, die stundenlang fahren müssen, um endlich den alten Kernbrennstäben halbwegs nahe zu sein? Nervt die Familie daheim? Reizt die Aussicht auf unverbindlichen Sex mit der etwas zerfleddert aussehenden Sozialpädagogikstudentin, direkt neben dem Gleis in Sichtweite der Bereitschaftspolizisten? Sehnt sich die masochistische Ader in ihnen nach dem süßen Schlag der Gummiknüppel? Und wie groß muss die Enttäuschung sein, wenn sie statt der erhofften Prügel nur ein „Eigentlich stehen wir ja auf eurer Seite“ von den Freunden und Helfern in Uniform bekommen? Oder ist es einfach nur die Gier nach Ruhm, nach den fünf Sekunden Bildschirmpräsenz während der Tagesschau? Egal was es ist, es bleibt zu hoffen, dass sie nie in eine Position kommen, in der sie tatsächlich entscheiden müssten, was man mit dem Atommüll machen soll. Vermutlich würde ihnen dann nämlich der Kopf platzen.

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