Richterin Barbara Salesch
Im Zeitalter des Internets ist es angesichts der vielen Millionen Möglichkeiten zur anonymen Kommentarabgabe unabdingbar, flexibel zu sein. Ich meine damit natürlich, dass man je nach Umständen bereit sein muss, sich glaubhaft als Arzt, Kernphysiker oder Rechtsanwalt auszugeben, um den eigenen Kommentaren die verdiente Aura der Unfehlbarkeit zu verleihen. Damit die Selbstdarstellung als studierter Jurist auch halbwegs überzeugend funktioniert, empfiehlt sich das intensive Studium von … nein, nicht etwa Gesetzesbüchern und juristischer Fachliteratur, sondern von den Gerichtsshows, die so viele Privatsender bis vor relativ kurzer Zeit in Massen produzierten und teilweise bis heute senden.
Eine der Ikonen und Pionier dieses Fernsehgenres ist Richterin Barbara Salesch, die in ihrer Sendung auf Sat.1 zunächst als Schiedsgericht über Nachbarschaftsstreitigkeiten entschied – echte strafrechtliche Fälle darf man nämlich nicht im Fernsehen übertragen. Als die spannenden Konflikte wegen Knallerbsensträuchern in Maschendrahtzäunen allerdings nicht das Interesse der Zuschauer zu halten vermochten, baute man die Sendung erfolgreich um und verhandelte vollkommen fiktive Straftaten, die nun endlich Mord, Vergewaltigung und Laienschauspiel in besonders schweren Fällen umfassen konnten.
Inzwischen ist Richterin Barbara Salesch in den Ruhestand gegangen, hat nach der letzten Folge sogar den Richtertisch zersägt, damit keiner auf die Idee kommt, die Serie wieder aufleben zu lassen, und verwirklicht sich nun als Malerin und Bildhauerin. Sat.1 Gold jedoch bringt immer noch die alten Folgen, so auch die mit dem spannenden Fall des Manga-Mords, mit dem wir uns heute befassen wollen. Ich habe mir die Freiheit genommen, auf einigen Screenshots Zitate aus der Episode als Untertitel einzubauen – so wie es bei noch nicht synchronisierten Animes auch gerne getan wird.
Rechtsanwältin Tašić begleitet ihre Mandantin in den Gerichtssaal, wo bereits der Vater der Angeklagten wartet und beim Anblick seiner Tochter verzweifelt: Wenn die so rumläuft, verhängt doch jeder Richter sofort die Höchststrafe, weil in so einem Fummel ja wohl nur Verbrecher herumlaufen! Frau Tašić versucht ihn zu beruhigen: Frau Vorsitzende Salesch hält nämlich nichts von Vorverurteilungen und wird im Gegenteil positiv anmerken, dass die Angeklagte sich so präsentiert, wie sie ist, anstatt sich zu verstellen. Dann wollen wir mal schauen.
Worum geht es eigentlich? Die Angeklagte Nina Heuss soll einen Fotografen während eines Shootings in einem Manga-Kostüm mit einer Hellebarde erschlagen haben, um 6000 Euro aus seinem Schreibtisch im Atelier klauen zu können. Deswegen ist die Frau des Opfers auch Nebenklägerin und guckt ziemlich fies rüber zu der Angeklagten.
Die will jetzt aber auch endlich mal aussagen, weil das ist voll fies, wie alle immer sagen, dass sie lügt, und im Knast hat man auch keine Privatsphäre und oh, sie will da raus! Babsi Salesch ignoriert großzügig die Inhaltsleere dieser ersten Aussage und präsentiert die Mordwaffe, noch mit Blutfleck. Auf die Frage hin, ob die Angeklagte das war, ist diese natürlich empört: Als sie das Atelier verließ, da lebte der Armin noch, und der war außerdem gar nicht der Saubermann, für den ihn alle halten. Der hatte ihr versprochen, ihr für künstlerische Fotos Geld für ihren Traum vom Manga-Café zu geben, aber in Wirklichkeit wollte der nur fummeln.
Da ist die Gattin des Lichtbildproduzenten aber empört. Was erlaubt dieses Mädchen sich, ihren Mann noch mit Dreck bewerfen zu wollen, es geht doch schließlich nur darum, dass sie total durchgeknallt ist! Das ist für Ninas Papa die Bestätigung, dass sich seine Lendenfrucht lieber etwas anderes hätte anziehen sollen.
Da muss die Nina jetzt aber mal klarstellen, dass sie schon immer so schön und stark wie ein Manga sein wollte (mit Klebebindung im Taschenbuchformat für meistens unter 10 Euro?), und als ihre Mutter den Löffel reichte (oder wie ein Manga sagen würde: in die große Altpapiertonne im Himmel wanderte), war diese Vorstellung die einzige Rettung für sie.