Klopfer spielt Thimbleweed Park
Ich muss so etwa 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal ein Point-and-Click-Adventure gespielt habe. Es war „Indiana Jones and the Last Crusade“ von Lucasfilm Games auf dem Atari ST meines großen Bruders Micha, und es sorgte dafür, dass ich mich in dieses Genre verliebte und die anderen Klassiker aus diesem Haus leidenschaftlich spielte. Bis heute ist mein erster Gedanke, wenn ich an Adventures denke: Oben ist die Grafik, unten hab ich die Verben und mein Inventar. Trotz der vielen hübschen Bemühungen anderer Firmen wie Telltale, Daedalic oder Animation Arts erfüllte mich der Gedanke immer mit Wehmut, dass es keine Spiele mehr wie diese geben sollte.
Doch Ende 2014 begannen die alten Recken Ron Gilbert und Gary Winnick, die mit „Maniac Mansion“ die Blüte von Lucasfilm Games/LucasArts im Adventure-Bereich erst begründeten, mit der Entwicklung von „Thimbleweed Park“, einem Abenteuerspiel mit der handgezeichneten Pixelgrafik und dem Bedienkonzept, das in den Augen vieler Fans mit „Monkey Island 2“ und „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ den Gipfel der Perfektion erreichte. Weitere Mitarbeiter bei dem Projekt: David Fox und Grafiker Mark Ferrari, die ebenfalls an den klassischen Lucasfilm-Adventures mitgearbeitet haben. Bei Kickstarter wurde das Finanzierungsziel quasi im Handumdrehen erreicht – und selbstverständlich beteiligte ich mich auch. Und nun ist es endlich so weit: Das Spiel ist fertig! Und ich hab es durchgespielt.
Die Story: Es ist das Jahr 1987. Zwei FBI-Agenten treffen sich in der verschissenen Kleinstadt Thimbleweed Park und wollen einen Mord aufklären. Agentin Angela Ray ist allerdings nicht nur minderbegeistert von der Stadt und ihren merkwürdigen Einwohnern, sondern auch von ihrem Kollegen Antonio Reyes, der noch sehr grün hinter den Ohren ist. Die Stadt selbst hat ihre besten Zeiten lange hinter sich, seit die Kissenfabrik im Ort abgebrannt ist.
Ihr Besitzer, Chuck Edmund, ist in der Stadt aber für die meisten ungefähr das, was Kim Il-sung in Nordkorea ist, inklusive der Tatsache, dass er gar nicht mehr lebt. Sein Bruder ist verschwunden, die einzigen verbliebenen Verwandten von Chuck sind seine Nichten. Eine davon, Delores, hat sich vor einiger Zeit ihren Traum erfüllt, hat die Stadt verlassen und ist Spiele-Programmiererin geworden. Nun ist sie zur Testamentseröffnung wieder da – doch bevor das Testament verlesen werden kann, müssen noch einige Rätsel gelöst werden!
Außerdem gibt es noch einen verfluchten (und fluchenden) Clown, der die Stadt nicht verlassen kann, und einen Geist im Hotel, der noch gar nicht richtig mitgekriegt hat, dass er ein Geist ist. Ach ja – auch die beiden FBI-Agenten scheinen noch andere Motive in die Stadt geführt zu haben, als einen kleinen Mord aufzuklären…
Schon in der Kickstarter-Präsentation wurde angemerkt, dass die Spieler sich fühlen sollten, als hätten sie ein bislang unveröffentlichtes Spiel aus den 80er Jahren gefunden. Es sollte dabei aber nicht so sein, wie es tatsächlich in den 80er Jahren realisiert worden wäre, sondern so, wie die alten Spiele in der nostalgisch verklärten Erinnerung sind. Die Grafik ist daher zwar pixelig, aber bietet doch mehr als nur 256 Farben, und es werden Effekte verwendet, die vor 25 Jahren nicht möglich gewesen wären. Die Bedienung ist noch etwas geschmeidiger und flüssiger als früher, ohne Rätsel gleich automatisch zu lösen. Der Umfang ist etwas größer als in den früheren Spielen, bei denen man sich beim heutigen Spielen durchaus wundert, wie schnell man doch am Ende angelangt ist, wo man sie viel epischer in Erinnerung hatte. („Thimbleweed Park“ sollte etwa 8-10 Stunden Unterhaltung bieten.) Wie in Monkey Island ist es nicht möglich, unvermittelt zu sterben oder in eine Sackgasse zu geraten, nur weil man drei Stunden vorher irgendein Teil nicht mitgenommen hat und nun nicht mehr rankommt.
Auch die Story kann mit ihrer atmosphärischen Mischung aus „Akte X“, „Twin Peaks“ und „True Detective“ durchaus mit den alten Vorbildern mithalten. Selbstverständlich kommt auch der Humor nicht zu kurz. Wer mit deutschen Texten spielt, kann sich auf noch mehr Nostalgie freuen: Die deutsche Übersetzung ist von Boris Schneider-Johne, der alle Lucasfilm-Adventures zwischen 1987 und 1992 übersetzte. Die Sprachausgabe (neumodisches Zeug! ) ist allerdings durchgehend auf Englisch.
Es gibt also viel, worauf man sich freuen kann, und es funktioniert wirklich gut: Ich hab beim Spielen tatsächlich wieder so ein Gefühl wie ganz früher bekommen. Ich hab das Spiel in einem Rutsch durchgespielt und mich dabei großartig unterhalten gefühlt.
Also alles makellos? Nicht ganz. Ich muss trotz allem fair sein und die ganzen Kleinigkeiten erwähnen, die mich dann doch gestört haben. Die erste Sache ist die deutsche Übersetzung. Dass ich einige Sachen anders übersetzt hätte, sei mal geschenkt (zumal viele Wortspiele eher unübersetzbar sind), auch wenn gelegentlich der Ton des Originals nicht ideal getroffen wird. Viel mehr tut meinem Korrektorenherz weh, wie viele Fehler in den Texten sind. Simple Tippfehler hier, noch häufiger das/dass-Fehler dort, ab und zu auch mal falsche Satzzeichen oder Fehlübersetzungen. Im Spiel sind auch die meisten Schilder und Aufschriften in den Hintergründen übersetzt, und selbst da hab ich einen offensichtlichen Fehler entdeckt. Wer gut Englisch kann, wäre also vielleicht ganz gut beraten, es im Original zu spielen.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Rätsel, die mit fortschreitendem Spielverlauf deutlich unlogischer werden. Erst zum Schluss fängt sich das Spiel in der Hinsicht wieder. Böse Zungen mögen behaupten, dass das immerhin authentisch wäre; gerade die frühen Lucasfilm-Adventures haben das Problem auch.
Das dritte (und für mich größte) Problem zeigt, dass zu viel von einer guten Sache auch schlecht sein kann. Das Spiel ist in erster Linie für Retro-Fans, klar, und so ist es zu erwarten, dass es jede Menge Insiderwitze und Anspielungen auf frühere Spiele und Spieldesign an sich gibt. Ich hab auch viel gelacht. Aber an vielen Stellen nimmt es überhand, und mehr als einmal fühlte ich mich aus der Story herausgerissen, weil das Spiel so heftig den Ellenbogen in meine Seite rammte und mit einem Auge zwinkernd rief: „Verstehste? Verstehste?!" Und ohne zu spoilern: Am Ende wird wirklich der Holzhammer rausgeholt, was diese ganze Meta-Ebene angeht, und da ist dann auch das ursprüngliche Rätsel vergessen.
Trotzdem kann ich das Spiel allen empfehlen, die in ihrem Herzen einen Platz für die klassischen Grafik-Adventures reserviert haben und sich danach sehnen, mal wieder so etwas zu spielen. Neueren Spiele-Fans, die mit diesen Spielen noch nicht vertraut sind, würde ich allerdings vorher die Monkey-Island-Teile oder „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ ans Herz legen, die insgesamt doch etwas abgerundeter sind.
Falls jemand von euch „Thimbleweed Park“ gespielt hat, bin ich gespannt auf eure Eindrücke? Und falls ihr Fans der klassischen Adventures seid, welche würdet ihr besonders empfehlen? Welche Erinnerungen habt ihr besonders daran? Schreibt’s in die Kommentare!
Thimbleweed Park auf Steam
Thimbleweed Park auf GOG.com
Thimbleweed Park im Microsoft-Store
Thimbleweed Park für Apple bei iTunes
Thimbleweed Park im Epic Games Store
Nachtrag vom Mai 2020: Es gibt jetzt auch ein kostenloses Mini-Adventure über Delores!
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Ach Gott, die guten alten Adventures... Zak McKracken and the Alien Mindbenders, Day of the Tentacle, Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, die diversen Monkey Islands... *sentimental guck*