Die Regeln der Macht und das EU-Urheberrecht
Nuff! Ich grüße das Volk.
Gestern gab es die großen Demos gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform, über die am Dienstag im EU-Parlament abgestimmt werden sollte, und die CDU/CSU ließ es sich nicht nehmen, sich einfach noch hartnäckiger in das Vorhaben zu verbeißen und die Demonstranten als gekaufte Schergen amerikanischer Internetkonzerne darzustellen, was mit tatkräftiger Unterstützung der BILD aus dem Axel-Springer-Verlag geschah. Und Axel Voss, der diesen ganzen Quatsch an vorderster Front mitträgt, findet ja offenbar auch nichts dabei, wenn Presseverlage mit schlechter Berichterstattung drohen, falls man ihnen nicht gefällig ist, was das Geheule über angebliche Einflussnahme von amerikanischen Internetunternehmen dann doch sehr heuchlerisch erscheinen lässt.
Der Protest richtet sich in erster Linie gegen die De-Facto-Pflicht für Upload-Filter (was früher Artikel 13 im Entwurf war, jetzt ist es anscheinend Artikel 17) und erst in zweiter Linie gegen die geplante Ausweitung des Leistungsschutzrechts, welches an sich bereits in Deutschland und Spanien gilt und sich als kompletter Rohrkrepierer herausgestellt hat. Bei dem Entwurf der Copyright-Richtlinie haben sich besonders Frankreich und Deutschland engagiert: Die französischen Medienkonzerne benutzen ihre Regierung, um für Upload-Filter einzutreten, die deutschen Presseverlage (allen voran Axel Springer) benutzen die deutsche Regierung, um das Leistungsschutzrecht einzubringen. Wir wissen, dass das großes Theater gab, und in der Zwischenzeit hat man den Entwurf überarbeitet und dabei so ziemlich alles rausgeschmissen, was tatsächlich den Urhebern finanziell genutzt hätte, aber ohne denen das mitzuteilen, damit die sich vielleicht weiterhin als nützliche Idioten für diese neue Richtlinie einsetzen.
Jedenfalls: Dafür, dass die Upload-Filter das Baby der Franzosen sind, kämpfen die C-Politiker ganz schön engagiert. Nicht schön, nicht ehrlich, nicht intelligent, aber mit viel Elan. Vielleicht denkt man sich ja auch „viel Feind, viel Ehr“, wobei zu den Feinden auch der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte David Kaye gehört, der vor der Wirkung von Artikel 13 auf die Meinungsfreiheit warnt. Der hatte sich übrigens schon damals beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu Wort gemeldet (und wurde ignoriert).
Ich musste letztens an ein Video von CGP Grey denken, in dem er die „Regeln für Herrscher“ vorstellt, mit denen sie Macht erlangen und erhalten.
Für diejenigen, die es gerade nicht gucken können: Die Kernthese ist, dass der (zukünftige) Herrscher sich der Loyalität bestimmter Schlüsselinstitutionen versichern muss, um die Herrschaft zu bekommen und nicht zu verlieren, denn es ist schlicht nicht möglich, die Loyalität aller Untertanen zu erlangen. Daher muss er aus dem Vermögen des Landes bestimmte Zuwendungen für diese Schlüsselinstitutionen leisten. Er kauft sich also seine Macht. Das läuft in Diktaturen so, aber auch in Demokratien, nur sind in Demokratien die Institutionen meist andere. So kommen dann Wahlgeschenke und für bestimmte Branchen vorteilhafte Bedingungen zustande, weil man den Begünstigten offenbar einen großen Einfluss zutraut, der für den Erhalt der Macht wichtig ist.
Das erklärt dann auch, warum sich besonders die im Spitzenpersonal allmählich vergreisende CDU/CSU so zum Bückstück diverser Presseverlage macht. Früher war die Presse extrem wichtig. Sie verbreitete nicht nur Nachrichten, sondern Stimmungen und Haltungen, und zwar in zwei Richtungen. Sie, die eigentlich als vierte Gewalt für das Volk die Kontrolle über die Regierenden ausüben sollte, war nicht nur Bindeglied, sondern gleichzeitig Torwächter. Das Prinzip ist immer noch so: Wenn die Presse sich mit der Politik gutstellt, ist es nicht unbedingt notwendig, dass jedes Fehlverhalten für die Öffentlichkeit besonders ausgebreitet wird. Auf der anderen Seite sind Politiker, je weiter oben sie sind, natürlich in einer gewissen Blase, und was das normale Volk bewegte, bekamen sie früher in erster Linie aus der Presse mit (und bei denen, die Helfer brauchen, um Browser bedienen zu können, ist das immer noch so). Wenn die Presse mit der Regierung sympathisiert, hält sie es halt auch nicht unbedingt für nötig, kritischeren Bürgern eine Stimme zu geben. Und damit schirmt sie die Obrigkeit natürlich ein Stück weit vom unangenehmen Pöbel ab.
Das Phänomen haben wir auch im Flüchtlingssommer 2015 erlebt: Teile des Volkes waren wie besoffen von der Willkommenskultur, ein noch größerer Anteil von Presse und TV war ebenso besoffen, und kritische Berichterstattung oder Wortmeldungen gegenüber der „Wir schaffen das“-Regierungspolitik von Angela Merkel waren selten, wie eine Studie der (der SPD nahestehenden) Otto-Brenner-Stiftung im Nachhinein feststellte.
Für traditionelle Politiker also ist es höchst wichtig, sich mit der Presse gutzustellen und ein sehr offenes Ohr zu haben, wenn man zum Beispiel auf der Geburtstagsfeier von Friede Springer vom Vorstandsvorsitzenden beiseite genommen wird und hört: „Du, wir haben da ein kleines Problem, da könnte uns die Politik helfen.“ Denn früher war es so einfach: Wer die großen Medien auf seiner Seite hat, hat das Volk auf seiner Seite und kann es in gewisser Weise lenken. Relativ wenig Aufwand (da nicht so viele Ansprechpartner) für relativ viel Macht.
Jetzt ist es so, dass die Presse ihre Torwächterfunktion dank des Internets verliert. Natürlich brechen Einnahmen weg, weil es nun mehr konkurrierende Werbeplattformen gibt, bei denen die Werbekunden den Erfolg ihrer Maßnahmen viel besser messen können als vorher und daher nicht mehr jeden Mondpreis zahlen. Das ist aber nicht das einzige Problem für die Presse: Das Volk ist nicht mehr allein darauf angewiesen, von der Presse über die Politik informiert zu werden, und es braucht auch nicht mehr die Presse, um sich bei den Politikern Gehör zu verschaffen. Der Kontakt kann nun viel unmittelbarer stattfinden. Damit sind die Kernpunkte, auf denen sich die Presse als Schlüsselinstitution der Macht stützt und aus denen sie die Unterstützung des Herrschenden herleitet, absolut in Gefahr. Und der einzige Weg zum Gegensteuern ist der, die ungeliebte Konkurrenz mithilfe derjenigen Politiker kleinzukriegen, die noch nicht mitgekriegt haben, wie schwach die Position der Presse eigentlich im Laufe der Zeit wird. Und da laufen sie natürlich bei den Politikern offene Türen ein, die das Internet nur für eine Meinungsmüllhalde der intellektuellen Unterschicht halten und die Internetkonzerne lediglich als Parasiten betrachten, weil sie von ihnen selbst keinen Mehrwert bekommen – oder die das Internet gleich gar nicht kapieren. (Wie es der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz 2009 so eloquent auf eine Anfrage formulierte: „DNS, TLD, GAGA, GOGO, TRALAFITTI oder was?“)
So eine faktische Upload-Filter-Pflicht ist natürlich ein tolles Werkzeug, um einen beträchtlichen Teil dieser Plattformen, die einfach dem Pöbel ohne Umweg und Einflussmöglichkeit der Presse ermöglichen, öffentlich ihre Meinung zu äußern, zu torpedieren. Der Werbefachmann Jean-Remy von Matt bezeichnete im Jahr 2005 anlässlich der Online-Häme zur „Du bist Deutschland“-Kampagne Blogs als „Klowände des Internets“ und beschwerte sich: „Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern?“ Und das ist bis heute die Geisteshaltung für viele Medienmacher und Politiker gerade älteren Datums, die sich mit den früheren Machtverhältnissen gut arrangiert hatten.
Zusätzlich zum institutionellen Machtverlust kommt bei beiden eben auch noch verletzter Stolz hinzu, weil eigene Fehler in Texten und Aussagen heutzutage so unmittelbar und unfreundlich vom normalen Volk bemerkt und online angeprangert werden. Früher kamen da normalerweise nur Briefe, und von denen erfuhr die Öffentlichkeit nichts, da hatte man viel mehr Möglichkeiten, Kritik zu ignorieren und einfach weiterzumachen. Heutzutage können Kritiker nicht nur ihre Kritik äußern, sie merken auch, wenn sie nicht alleine mit ihrer Kritik sind, und womöglich merken dann auch andere, dass man nicht so schlau ist, wie man oft tut.
Presse und Politik führen einen aussichtslosen Kampf. Die Leute, die sich jetzt aus vielen Quellen im Internet informieren (die „Filterblase“ ist ein Mythos, was die meisten Leute angeht), werden nicht wieder anfangen, sich allein durch Zeitungen bzw. deren Websites informieren zu lassen. Und es ist kein Geheimnis, dass die Wählerschaft der großen Parteien von älteren Menschen dominiert wird, die fleißiger wählen als die jüngeren Bürger, aber eben auch unweigerlich nach und nach wegsterben werden. Damit werden unabwendbar die Wählerzahlen für diese Parteien sinken als auch die Zahl der Leute, die sich noch exklusiv von den alten Medien informieren und somit ein Stück weit von ihnen lenken lassen. Umso verheerender ist es, wenn Gesetze verabschiedet werden, die das Unvermeidliche hinauszögern sollen, aber langfristig die Parteien beschädigen, weil sie sich für die jüngeren, internetaffineren Bürger damit unwählbar machen.
Ein großer Teil dieser vergnatzten Jungbürger wird sich resignierend in die Masse der Nichtwähler einordnen, andere werden sich in die Richtung der Parteien orientieren, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, den alten Muff und den Klüngel der grauen Eliten hinwegzufegen. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass dann nur das auf den Müll geworfen wird, was sich tatsächlich überlebt hat, sondern auch einige Dinge, die erst dazu beitrugen, dass unser Leben heute besser ist als früher, was dazu führen kann, dass das Vertrauen in die Politik noch weiter sinkt. Insofern kann die Ignoranz gegenüber dem Internet indirekt sogar zu einer größeren Gefahr für die Demokratie werden, als die alten Presse- und Politikveteranen es im Internet selbst vermuten.
Wenn heutzutage einem Politiker von einer Zeitung mit schlechter Berichterstattung gedroht wird, falls er bei der Mandatsausübung nicht die Ziele des Verlags vertritt, ist heutzutage die beste Strategie, diesen Erpressungsversuch öffentlich zu machen und so die öffentliche Meinung selbst gegen die Erpresser zu lenken. Man ist nicht mehr unbedingt auf das Wohlwollen der Medien angewiesen, um bei Wahlen eine Chance zu haben. (Sonst wäre die AfD nicht in so vielen Parlamenten vertreten.) Wer es heute ganz normal findet, von der Presse mit der Aussicht auf Schmähartikel unter Druck gesetzt zu werden, ist kein Opfer, er ist Teil des Problems.
Das war jetzt mal ein völlig belangloser Gedankenstrom, der euch vermutlich bloß Zeug erzählt hat, das ihr sowieso schon wusstet. Sorry für die Zeitverschwendung!
Premiummitglied
Im Prinzip ist das natürlich alles klar, aber es ist immer schön das von dir zu lesen, so eloquent kriegt das sonst ja kaum einer hin.
Langsam würde es übrigens Zeit werden für die Machtergreifung des Hasinators.