Die Debatte ums Urheberrecht - Teil 2
Hier ist der zweite Teil meiner Gedanken zur Urheberrechtsdebatte. Teil 1 findet man hier.
Kunst macht Arbeit
Kaum jemand behauptet offen das Gegenteil, aber im Prinzip ist es genau das, was viele Leute mitteilen, wenn sie ihr Unverständnis darüber ausdrücken, dass jemand gerne seinen Lebensunterhalt mit dem verdienen möchte, was er mit großem Zeitaufwand geschaffen hat und was auch von den Menschen begeistert genossen wird. (Es geht hier nicht um Künstler, die gar kein Publikum für ihre Kunst haben. Darüber reden wir überhaupt nicht, weil es da nichts zu sagen gibt. Wer etwas macht, was keinen interessiert, der muss sich auch keine Sorgen über illegales Kopieren machen.) Es ist Arbeit, ein Buch zu schreiben, ein Lied zu komponieren, Bilder zu malen und so weiter, auch wenn es uns Künstlern im Prinzip Spaß macht. Trotzdem gelangen wir – wie jeder andere auch, der arbeitet – oft an Punkte, bei denen es keinen Spaß macht, wir uns durchbeißen müssen und uns auch gerne mal quälen. Ich schreibe das nicht, um Mitleid zu erregen, sondern um einfach klarzumachen, dass es eben nicht so ist, dass man mit Leichtigkeit ein paar Stunden in der Woche arbeitet, um dann selbstzufrieden in den Sessel zu sinken und ein paar dicke Geldbündel zu kassieren. Das führt mich auch gleich zum nächsten Punkt.
Wenn künstlerische Arbeit nur noch als Hobby möglich wäre, gäbe es deutlich weniger Kunst
Es ist eigentlich peinlich, dass ich darauf überhaupt eingehen muss, aber ich lese es so oft, dass ich langsam den Verdacht habe, dass diese Blogger es tatsächlich glauben: Angeblich würde es ja gar kein Problem sein, wenn Musiker, Autoren und andere Urheber von ihren Werken nicht leben könnten, weil es ja zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehören würde, Kunst zu erschaffen, weswegen all die tollen Werke dann eben in der Freizeit entstehen würden. Als Beispiel werden dann gerne sowohl künstlerische Werke als auch Projekte wie Wikipedia oder Open-Source-Programme genannt. Es möge mal jeder durchgehen, was er tagtäglich konsumiert, um sich zu informieren oder zu unterhalten, und dabei überlegen, wie lange es dauern würde, all das am Wochenende oder nach der Arbeit zu erschaffen. Glaubt tatsächlich jemand, es gäbe sieben Harry-Potter-Bände, wenn J.K. Rowling nach dem ersten Buch gezwungen worden wäre, als Lehrerin zu arbeiten? Hätte die Dark-Tower-Reihe von Stephen King inzwischen acht Bände, wenn er damit kein Geld verdient hätte? Von Filmen, Computerspielen, Musikalben etc. möchte ich gar nicht anfangen, zumal hier die Kosten für die Realisierung meistens noch weitaus höher sind als bei Büchern. Jedenfalls: Kunst macht Arbeit, und das heißt, sie braucht Zeit. Als Autor kann ich in erster Linie natürlich vom Schreiben erzählen. Und die Arbeitszeit, die ein Text verschlingt, besteht nur zum geringsten Teil aus dem Verfassen des Textes selbst. Viel mehr Zeit geht für Ideenfindung und Recherche drauf. „Autoren wollen gelesen werden“ ist ein toller Spruch, aber auch nicht mehr. Wenn man keine Zeit zum Schreiben hat, dann wird es eben kein Buch, sondern höchstens eine Kurzgeschichte. Oder man hört nach dem dritten Kapitel auf, weil die Motivation flöten gegangen ist und man nicht durch wirtschaftliche Zwänge dazu gedrängt wird, den inneren Schweinehund zu überwinden, da man sonst nichts zu essen hat. Im Mittelalter gab es kein Urheberrecht, aber die Künstler, an die man sich erinnert, waren auch keine Bauern, Schmiede oder Stallburschen, die Kunst bei Kerzenschein nach der Arbeit schufen, sondern Leute, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten.
Selbst bei den gerne genannten Musterbeispielen ist die Sachlage nicht so simpel, wie gerne angedeutet wird. Beim Linux-Kernel, einem der Flaggschiffe der Open-Source-Bewegung, kommen 80 Prozent der Änderungen mittlerweile von bezahlten Programmierern. Und dass bei vielen Artikeln der Wikipedia die Zuverlässigkeit nicht sonderlich hoch ist, weil Fachleute keine Zeit oder Lust haben oder von löschwütigen Administratoren vergrault werden, ist auch nicht unbekannt.
Künstler sind Freiberufler
Auch das sollte eigentlich klar sein, aber offenbar ist die Bedeutung noch nicht ganz durchgedrungen. Künstler sind meistens nicht fest angestellt, sie kriegen also kein regelmäßiges Gehalt, sondern hangeln sich von Honorar zu Honorar. Wenn man krank ist und keine gesonderte Versicherung abgeschlossen (und bezahlt) hat, gibt es keine Lohnfortzahlung.
Und deswegen ist es Quatsch, wenn ein festangestellter Programmierer herumheult, dass er ja für von ihm geschriebene Programme auch nicht weiter bezahlt wird, wenn die fertig sind. Er hat dafür mehr Sicherheit (und meistens sowieso trotzdem noch mehr Geld als die meisten Künstler). Würde er als selbstständiger Programmierer arbeiten und ein Kunde verlangte von ihm ein bestimmtes Programm, so würde er doch auch nicht auf die Idee kommen, das Programm an alle weiteren Kunden zu verschenken. Sicher, wenn er sich ausrechnen kann, dass er das Programm mehrfach verkaufen kann, wird er seine Arbeitskosten vielleicht nicht komplett auf den ersten Kunden abwälzen, sondern auf die in nächster Zeit zu erwartende Kundschaft aufteilen. Und wenn er nicht gerade enorm gut bei Kasse ist, wird er vermutlich auch nicht mit dem Verschenken anfangen, sobald die Kosten wieder eingespielt wurden.
Und weil ich auch das Argument „Man bezahlt ja einen Bäcker auch nicht mehrfach für ein Brötchen“ gelesen habe: Ein Bäcker ändert auch nicht für jedes Brötchen sein Rezept. Im Endeffekt bezahlt man für eine Kopie seines Brötchens. Und wer mehr Brötchen einer Sorte kauft, bezahlt eben mehrere Kopien des gleichen Brötchens.
Die Verwerter sind hilfreich
Das Feindbild sind für viele die bösen Verwerter, die die Urheber ausbeuten. Und wie so oft haben Feindbilder mit der Realität wenig zu tun. Ich will gar nicht bestreiten, dass es Fälle gibt, in denen Urheber beim Aushandeln ihrer Verträge über den Tisch gezogen wurden. Allerdings hat es einen Grund, warum Urheber so oft Verträge mit den Verwertern haben wollen: Sie profitieren davon. Gar nicht mal so selten profitieren Urheber mehr als die Verwerter.
Um das zu verstehen, muss man erst einmal wissen, was die Verwerter tun. Bei Filmstudios ist es klar. Sie sorgen dafür, dass aus einem Drehbuch ein Film wird, bezahlen Schauspieler, Regisseur, Kameramänner, Maskenbildner, Kulissenbauer und so weiter. Plattenfirmen bezahlen Studiozeiten und eventuelle Musikvideos, machen Promotion und sorgen dafür, dass CDs in den Läden stehen. Buchverlage bezahlen Korrektoren, Lektoren, Layouter, die Covergestaltung, den Druck und den Vertrieb. Heißt im Endeffekt: Die Verwerter stecken richtig Geld rein, um die Werke der Urheber marktreif zu kriegen, deswegen kommt das Wort „Verlag“ auch von „vorlegen“. Die Urheber profitieren natürlich von der Infrastruktur der Verwerter und müssen dafür nichts bezahlen. Sie selbst könnten die ganze Arbeit nicht oder nur schwer allein stemmen. Ich kenne das Verlagswesen ja von beiden Seiten, sowohl als Korrektor als auch als Buchautor, und ich kann nur sagen, dass viele Autoren schon bei der Rechtschreibung scheitern. Im Selbstverlag sein Buch in die Regale einer Buchhandelskette wie Thalia zu kriegen, ist nahezu unmöglich.
Hier am Beispiel eines Buches mit dem Ladenpreis von 9,95 Euro, was von dem Geld an wen geht, wenn man durchaus marktübliche Bedingungen ansetzt. Der Autor bekommt 9 Prozent vom Nettoverkaufspreis, der Buchhändler hat einen Rabatt von 50 Prozent vom Nettoverkaufspreis ausgehandelt.
Der Buchhändler muss Ladenmiete, Strom, Personal usw. bezahlen. Der Verlag finanziert Lektorat, Cover, Herstellung, Druck, Lager und Vertrieb des Buches (kostet locker fünfstellige Summen), zusätzlich hat er noch seine Kosten für Büro, Personal, Strom, Internet usw.
Es müssen sich recht viele Exemplare verkaufen, bis der Verlag überhaupt Geld macht. Nur ein Bestseller bringt wirklich nennenswert Profit ein, deswegen sind die meisten Buchverlage kleine Unternehmen, die gerade so überleben.
Je nach Branche gibt es Unterschiede, was die Vergütung angeht. Im Buchbereich wird den Autoren ein bestimmter Anteil des Nettoverkaufspreises eines Buches zugestanden, wobei der Verlag einen vertraglich festgelegten Mindestbetrag schon vorher auszahlt. Selbst wenn sich das Buch nicht oft genug verkauft, kann der Autor diesen Vorschuss behalten. Ähnliche Konstruktionen gibt es in den anderen Branchen. Erfolg kann man nicht planen, daher setzen die Verwerter darauf, dass wenigstens ein paar der Veröffentlichungen genug Geld einbringen. Der Rest spielt seine Kosten gerade so ein oder wird zum Verlustgeschäft. Wenn der Verlag einen langen Atem hat, werden verlustbringende Autoren über mehrere Bücher hin aufgebaut, weil man glaubt, irgendwann das ganze Geld wieder einzuspielen. Auch wenn es unangenehm ist: Oft kosten die Urheber die Verwerter mehr als sie ihnen einbringen. Und wenn die Verwerter mal viel Geld mit einem Werk einnehmen, investieren sie große Teile davon wieder in andere Urheber. Das Ausbeuterbild, was die Verwerter in den Köpfen vieler Menschen haben, trifft so einfach nicht zu.
Übrigens dürfen sich auch Musikbands, die sich heute dafür feiern lassen, dass sie ihre Alben per „Bezahl so viel du willst“-Strategie im Internet veröffentlichen und damit einiges an Geld einnehmen, bei ihren ehemaligen Plattenfirmen bedanken, ohne deren Arbeit sie heute nicht weltbekannt wären und Zugang zu Millionen von Fans hätten.
Teil 1 hier.
Fortsetzung in Teil 3 hier
Gast
Unter der Grafik: "Ber Buchhändler"
Ansonsten super Beitrag. Gut erklärt