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Trumps Triumph

Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Überall ist nun das Heulen und Zähneklappern groß, und gerade in den sozialen Netzwerken ist man entsetzt darüber, wie frauenfeindlich und rassistisch die Mehrheit der amerikanischen Wähler offenbar ist, weil sie nicht Hillary Clinton gewählt hat. (Nachträgliche Anmerkung: Clinton hat knapp die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen, aber nicht die der Wahlmännerstimmen. Dennoch: Knapp die Hälfte der Wähler hat sich bewusst für Trump entschieden.)

Ich halte nichts von solchen oberflächlichen Erklärungsversuchen. Schauen wir uns die USA doch mal an. Die Mittelschicht schrumpft, viele haben immer noch nicht wieder die Lebensqualität erreicht, die sie 2008 verloren haben, ein großer Teil hat immer noch erdrückende Schulden. Während ein Studienabschluss immer mehr als Grundvoraussetzung für einen Job gilt, der wenigstens die Lebenshaltungskosten decken kann, haben sich die Kosten für ein Studium innerhalb von 30 Jahren verzehnfacht. Studienkredite sind für viele junge Leute daher ein Muss, aber gleichzeitig wie ein Stein um den Hals, weil man sie (anders als nahezu jede andere Geldschuld) nicht mal durch eine Insolvenz loswird. Arbeitsplätze in der Industrie sind im großen Maßstab (gerade in Kleinstädten und im ländlichen Raum) verloren gegangen, viele Leute müssen zwei oder mehr Dienstleistungsjobs annehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Die Aufstiegschancen sind gering bis gar nicht existent. Oft mussten Rücklagen für die Altersvorsorge angefasst oder gar aufgelöst werden, um die Familien zu ernähren. So gut wie kein Banker ist für das Chaos, welches die Banken im vorigen Jahrzehnt angerichtet haben, bestraft worden. Bestraft wurde – in den Augen vieler Leute in der Bevölkerung – das normale Volk. Die Leute sind enttäuscht und sauer auf die Politik, auf die Wirtschaftsbosse, auf die Gesamtsituation.

Die Leute haben Trump sicherlich nicht deshalb gewählt, weil sie finden, dass man Frauen einfach an die Muschi greifen sollte, oder weil sie die Mauer an der Grenze zu Mexiko alle für so eine superdufte Idee halten. Ein Volk, das vor vier Jahren mehrheitlich Barack Obama wiedergewählt hat, wird auch nicht plötzlich megarassistisch geworden sein. (Trump war auch bei Latinos und Schwarzen offenbar erfolgreicher als Mitt Romney 2012.) Die Menschen haben ihn gewählt, weil er augenscheinlich nicht zu diesem Filz aus Politik und Wirtschaft gehört, der in ihren Augen seit langer Zeit nur Scheiße anrichtet. Das ist nicht mal ein neues Phänomen. Mitt Romney verlor, weil er sich als Politiker und Unternehmer in Berater- und Investmentfirmen nie von dem Verdacht freimachen konnte, nur für die Reichen da zu sein. Obama wiederum gewann 2008, weil er eben nicht aus dem inneren Kreis der Mächtigen von Washington kam und man sich von ihm frischen Wind versprach.

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Schwerpunkt der Trump-Kampagne: Hauptsache, es geht gegen den Sumpf in Washington

Und Hillary Clinton? Ist sie wirklich nicht gewählt worden, weil sich das Volk keine Frau auf diesem Posten vorstellen kann? Liegt es wirklich an der gläsernen Decke, die sie selbst im Wahlkampf immer wieder beschwor? Unsinn. Die meisten US-Amerikaner finden Hillary Clinton selbst höchst unsympathisch. Sie ist eine Frau, die augenscheinlich seit Jahrzehnten ihre Karriere darauf ausgerichtet hat, politische Macht zu erlangen. Die Leute wissen nicht, wofür sie überhaupt steht, wie ihr wahres Gesicht ist. Kaum jemandem fällt es leicht, hinter der eiskalt berechnenden Fassade tatsächlich den Menschen Hillary Clinton zu sehen. Nicht wenige glauben, dass sie nur deswegen Bill Clintons Affären ertragen hat, weil sie bei einer Trennung Schwierigkeiten gehabt hätte, allein ihre politische Karriere voranzutreiben. Sie lebt seit Jahrzehnten nur für die Politik, ist seit zig Jahren nur in den Kreisen der Mächtigen unterwegs. Sie erzählt von Bankenregulierung und verdient gleichzeitig einen Teil ihres Lebensunterhalts damit, Redehonorare von eben diesen Banken einzustreichen, die sie regulieren will. (In ihren Reden ist zwar nichts, was darauf hindeutet, dass sie es mit der Bankenregulierung nicht ernst meint, aber der fade Beigeschmack bei vielen US-Wählern bleibt.) Als Ministerin wickelte sie höchst geheime, amtsbezogene Kommunikation über einen privaten E-Mail-Server ab. Das ist nicht nur ein Beispiel für die fehlende Trennung zwischen Amt und Privatperson; die fehlende Bestrafung dafür stößt vielen Amerikanern sauer auf, weil sie das Gefühl haben: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Wikileaks hat enthüllt, wie die Demokratische Partei Bernie Sanders, der für viele minderprivilegierte Amerikaner eine Lichtgestalt war, auch mit durchaus schmutzigen Mitteln gezielt torpediert hat, um Hillary Clinton die Nominierung der Partei zu sichern. Hillary Clinton ist das Establishment. Hillary Clinton gehört zu dem politischen System in Washington, in dem Kungelei, Intrigen und fehlendes Verständnis für den einfachen Bürger an der Tagesordnung sind. Nur ein Vollidiot kann sich ernsthaft hinstellen und sagen: Die Wahlniederlage liegt daran, dass Clinton eine Muschi hat.

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Sie hat es nicht geschafft, die Wähler von sich als Mensch zu überzeugen

Natürlich wirkt es auf den ersten (und auch auf den zweiten) Blick merkwürdig, dass ausgerechnet Trump als Gegenspieler von Clinton gewinnt. Er ist (anders als sie, die sich wirklich nach oben gearbeitet hat) mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, hat selbst unzählige arme Menschen übers Ohr gehauen und obdachlos gemacht, zahlt keine Steuern und trägt somit nichts zum Erhalt von öffentlicher Sicherheit und Bildung bei, ist rücksichtslos und bekannt dafür, Gesetzeslücken zu seinem Vorteil auszunutzen. Aber er ist eben nicht das Establishment. Er ist laut und protzig, er sagt sofort, was er denkt, ohne sich hinter verlogenen Tabus der Political Correctness zu verstecken, die in den Augen vieler nur verbietet, Dinge beim Namen zu nennen. Vermutlich kann er nicht mal richtig hinterlistig sein, weil sein Ego ihn dazu zwingt, sofort alles herauszubrüllen, sobald er denkt, vorne zu liegen. Er ist selbst in der Welt der Reichen und Mächtigen ein Enfant terrible. In gewisser Weise führte er sogar einen Wahlkampf gegen die Führungsspitze seiner eigenen Partei. Und je mehr die normalen Amerikaner sahen, wie unangenehm er den etablierten Politikern, den Wirtschaftsbossen und all den Entscheidungsträgern war, wie empfindlich sie darauf reagierten, von Trump gegen den Strich gebürstet zu werden, desto mehr wird in vielen Amerikanern auch die Erkenntnis gereift sein: Trump mag nicht der beste Lenker sein, aber er ist genau der richtige Stock, den man in die Speichen stecken kann. Hauptsache, man verändert was. Die Gefahr, dann selbst auf die Fresse zu fallen, erscheint gerade den Leuten nicht als besonders bedrohlich, die das Gefühl haben, sowieso schon seit Jahren über den Asphalt geschleift zu werden. (Puh, ich melke diese Metapher aber echt, bis alle kotzen.)

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Trumps Ausfälle waren für viele seiner Anhänger eher Petitessen, an denen sich die Trump-Gegner künstlich abarbeiteten.

Denke ich, dass das amerikanische Volk gut gewählt hat? Nein. Dazu kenne ich Trump zu gut; ich habe schon vor seinem Präsidentschaftswahlkampf viel über und von ihm gelesen und weiß, dass er nicht mal ein Zehntel so fähig ist, wie er selbst von sich glaubt, und dazu noch eine furchtbare Persönlichkeit hat. Er wird die Probleme des Volkes eher verstärken und dabei auch die Schuldenlast der USA steigern. Aber dennoch denke ich, dass wir aus seinem Durchmarsch viel lernen können über die politische Situation bei uns.

Ich habe es immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt: Die Leute bei uns wählen nicht die AfD, weil sie so tolle Wahlversprechen macht oder so tolle Werbeplakate gestaltet. Die glauben ja größtenteils nicht mal, dass die AfD wirklich etwas besser machen würde. Die AfD macht nicht mehr, als sich im Hinterkopf als die Partei festzusetzen, die man wählen kann, wenn man die anderen ärgern will. Der größte Wahlhelfer der AfD sind die Probleme, die von der Politik nicht oder unzureichend angegangen oder auch nur angesprochen werden. Die Polizei verfolgt Diebstahl nicht mehr, wenn man nicht gleich den Tatverdächtigen liefert? Das sind Stimmen für die AfD. In bestimmten Vierteln werden Polizisten von 70 Leuten eingekesselt? Stimmgewinn für die AfD. Migranten kommen mit gefälschten Pässen, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge winkt sie einfach durch? Die AfD legt zu. Ein von gewaltbereiten Drogendealern überlaufener Park wird von der Polizei aufgegeben? Bei der AfD kann man schon mal den Champagner kaltstellen. Gewisse Clans heuern in Flüchtlingsheimen Nachwuchskriminelle an? Die AfD-Zentrale bestellt schon mal den Kaviar für die Wahlparty. Ich habe den Eindruck, man vergisst in der Diskussion um die AfD und ihre Wähler oft, dass die Ursachen für die Hinwendung zu dieser Partei nicht in irgendwelchen Hirngespinsten der AfD-Werbefritzen liegen. Die Leute haben zum Beispiel keine Angst vor Islamisten, weil die AfD so aufpeitschende Plakate aufhängt, sondern in erster Linie, weil es tatsächlich Islamisten gibt, auch bei uns, und sie werden auch in Moscheen in Deutschland radikalisiert.

Man kann groß darüber reden, aus welchen Gründen wie reagiert wird, wie verbreitet diese Phänomene sind oder wieso Parteien sich zieren, gewisse Dinge mal selbst anzusprechen. Man kann auch viele Worte darüber verlieren, wie naiv, blöd oder intolerant die Wähler der AfD sind. Aber die Tatsache bleibt: Wenn das Volk das Gefühl hat, dass etwas stark aus dem Ruder läuft, dass es unfair behandelt wird und dass die Mächtigen einen Scheiß darauf geben, wie es den eigenen Bürgern geht, dann werden viele dieser Bürger auch nach Möglichkeiten suchen, denen da oben eine reinzuwürgen. Man darf nicht vergessen, dass Populismus eben auch von „populus“, Volk, abgeleitet ist und seine Wirkung aus dem Gegensatz zwischen Volk und Elite schöpft. Populismus kann nur dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn das Volk diesen Gegensatz auch spürt, und man kann seinen Erfolg nicht dadurch eindämmen, dass man ihn selbst verteufelt, ohne zu versuchen, den Gegensatz, auf dem er basiert, auch zu überbrücken. Man muss nun mal mit dem Volk arbeiten, was man hat, nicht mit dem, welches man sich wünscht. Das gilt für Deutschland, und das gilt auch für die USA.

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