Helden - Wenn dein Land dich braucht
Im Jahr 2013 näherte sich der 23. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Zu diesem freudigen Anlass sagte sich RTL: „Billiges Trashfernsehen reicht uns nicht, zum 3. Oktober zeigen wir teures Trashfernsehen.“ Und so schrieb man einen dicken Scheck über 8 Millionen Euro aus, trommelte allerlei Schauspieler zusammen, die man in der Fiction-Abteilung von RTL noch als Kurzwahl im Telefon eingespeichert hatte, und machte sich daran, einen Katastrophenfilm zusammenzustümpern, der gerne ein deutsches „Independence Day“ geworden wäre, aber nur eine vor Pathos triefende, klischeegetränkte Grütze mit hanebüchener Handlung und hirnverbrannter Moral wurde. „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ war dennoch ein Quotenerfolg, der von Zuschauern und Kritikern allerdings so verrissen wurde, dass sich der Regisseur selbst höchst angefressen zu Wort meldete und sein Unverständnis über die Welle der Schmähungen gegen sein Werk äußerte. Schließlich habe man beim Drehen viel Spaß gehabt und im Film wäre auch gar nichts Kontroverses in Form von faschistoiden Drohungen oder religiösem Fanatismus enthalten. Tja, mag sein, aber Scheißfilm bleibt Scheißfilm, auch wenn er niemanden in seinen Gefühlen beleidigt. Aber jeder verdient eine zweite Chance (als ob), daher werde ich mir das Epos noch einmal antun. Ich bin allerdings nicht sehr optimistisch, dass mein Urteil dieses Mal wesentlich anders ausfällt.
Unter uns dreht sich unsere wunderschöne Erdkugel, und über die heroisch dahindudelnde Musik mahnt uns eine Stimme, dass unser Forschergeist unermesslich ist und wir uns fragen müssten, ob die Technologie nicht langsam die Menschlichkeit überholt. Und damit ist der Tenor des ganzen Films auch schon zusammengefasst: Wissenschaft und Technik sind bööööse! Der Drehbuchschreiber sehnt sich offenbar nach einer Welt zurück, als noch viele Menschen an Polio gestorben sind, die Reise in die nächste Stadt und zurück im besten Fall drei Tage dauerte, wenn der Gaul unterm Hintern durchhielt, und er selbst seine literarischen Ergüsse noch mit Federn und Tinte hätte schreiben müssen statt ganz bequem am Computer. (Ich sehe gerade, der Film hatte sogar zwei Drehbuchautoren. Einer allein hat wohl nicht genug Schwachsinn produzieren können.)
Der für den Film relevante Sündenfall menschlicher Neugier liegt natürlich in der Schweiz. Dort hat man nämlich eine Maschine gebaut, die den Urknall simulieren soll. Wir spielen Gott, oh wie böse. Und dort im Forschungszentrum in Genf führt man eine Gruppe Schulkinder ins Allerheiligste. Das tut man bestimmt nur, weil man es im echten CERN auch so tut, und nicht etwa, weil die Drehbuchautoren glauben, man bräuchte unbedingt eine Horde possierlicher Nachwuchsmenschen in Gefahr, um den Zuschauer emotional einbinden zu können. Neben dem leicht arrogant wirkenden Forschungsleiter arbeitet da übrigens auch Yvonne Catterfeld (unter dem Namen Andrea Weber). Das hat man nun davon, wenn der Bohlen einem keine Songs mehr schreiben will.
Das Kontrollzentrum des Colliders ist ein Raum mit einer großen Fensterfront, durch die man in die riesige Halle mit dem Teilchenbeschleuniger gucken kann. Echte Teilchenbeschleuniger sind geschlossen und sehen so ziemlich langweilig aus, aber wenn man bestimmte Teilchen aufeinanderprallen lassen will, ist es halt schon irgendwie praktisch, wenn da keine Luft mehr im Weg ist und man sie abpumpen kann. Im Film haben sie einfach mal einen Teil aus dem Ring weggelassen und an die Stelle einen blauen Plasmastrahl hingetrickst, was natürlich höchst beeindruckend aussieht. Zumindest will die aufwallende Musik mir das wohl mitteilen.
Das Hauptexperiment soll in Kürze beginnen, aber der Forschungschef will die Blagen noch beeindrucken und textet sie zu, obwohl er die Catterfeld vorher noch ermahnt hat, dass er die Großföten in fünf Minuten wieder draußen haben will. Ein Kind lässt derweil eine Schokolinse fallen, die sich dann vom Boden an die Fensterscheibe schmiegt und sich langsam daran hocharbeitet. Außer dem Gör kriegt das aber niemand mit, und so werden die Kinder aus dem Raum gescheucht.
Kommen wir zurück zu deutschen Kernlanden. Im brandenburgischen Spreewald ist die Gurkenernte, und natürlich werden dafür slawische Erntehelferinnen mit dicken Bollen eingesetzt. Ein Kerl ist auch da, der die Gurken nach der Ernte abduscht. Da kommt ein zweiter Pimmelträger mit einem Porsche angedüst und entpuppt sich als der Bruder des Gurkenwäschers. Und während man sich fragt, welcher Gurkenbauer im Spreewald sich einen Porsche leisten kann, wird der Fahrer des Sportwagens schon kräftig von seinem Bruder zur Sau gemacht, weil Firmengewinne gefälligst in das Gurkenimperium reinvestiert werden sollen und nicht in Zuffenhausener Schlampenköder. Es zeigt sich, dass die Geschwister offenbar eine kleine Meinungsverschiedenheit haben, welchen Stellenwert die von den Eltern geerbte Gurkenzucht im Leben der beiden einnehmen sollte.
Der Familienzwist wird jäh unterbrochen durch eine Art glühendem Schrott, der durch die Atmosphäre rast und beim Aufprall eine Scheune auf dem Anwesen sprengt. Das ist jedoch nicht das Schlimmste: Bei der Explosion ist ein Metallteil in den Oberschenkel von Rico (dem Porsche-Fahrer) gejagt worden, und das blutet jetzt und sieht auch sonst ziemlich fies aus. Sein Bruder Sascha sprintet weg, um einen Krankenwagen zu rufen, und Rico zieht sich das T-Shirt hoch. Ups, das Ding im Bein ist nicht das größte Problem, der Mann hat auch noch ziemlich dicke Löcher im Bauch. Eeekelig!
In Berlin schält sich Marc Weber im Freien und unter den Blicken (und tatkräftiger Mithilfe) seiner Kollegen aus seiner Bauarbeiterkluft und zwängt sich in einen Anzug. Der Mann hat nämlich ein Bewertungsgespräch und Zoff mit seiner pubertierenden Tochter, weil die Wohnung zu klein ist. Ein größeres Salär könnte dem abhelfen, entweder durch Anmietung einer größeren Bleibe oder um einen Killer für die kleine Zicke anzuheuern, nehme ich an. Marc Weber wird übrigens gespielt von Hannes Jaenicke, weil wegen RTL.
Der Obermotz auf der Baustelle ist aber gar nicht begeistert, dass sein Hilfsarchitekt einfach den schon vor Wochen genehmigten halben Tag Urlaub nehmen will, und teilt ihm mit, dass er nach seinem Vorstellungsgespräch gar nicht wiederkommen müsse. Der Mann war also offenbar doch nicht so wichtig für den Bau, also warum dieses Gehabe wegen drei Stunden?
Auch hier gibt es eine Intervention von oben: Ein Satellit zieht brennend über den Berliner Himmel und schlägt in den Reichstag ein, der so schön explodiert, als wäre er … eine Scheune im Spreewald? Keine Ahnung. Jedenfalls ist das der „Independence Day auf Deutsch“-Spezialeffekt, der in jedem Trailer für diesen Film auftauchte.
Wieder Zeit für einen Ortswechsel, sonst wird der Film zu spannend: Diesmal begeben wir uns nach Salzburg, wo eine Sicherheitskonferenz stattfinden soll. Vertreten sind die europäischen Regierungschefs, natürlich auch aus Deutschland. Angela Merkel wird übrigens gespielt von Heiner Lauterbach. Mutige Castingentscheidung. Die Bundeskanzlerin wird von der spontanen Auflösung des Parlaments unterrichtet und beschließt, sofort nach Berlin zurückzukehren.
Im Berliner Institut für Raumfahrt und Satellitenforschung hat man offenbar bisher nur mitbekommen, dass man aus unerfindlichen Gründen den Kontakt zu immer mehr Satelliten verliert, aber dass es was mit der dicken Explosion in der Stadtmitte zu tun haben könnte, darauf kommt man nicht. Die Analystin Sophie Ritter (gespielt von Christiane Paul) lässt sich die Gravitationswerte in Europa anzeigen und stellt fest: „Die sind ja viel zu hoch.“ Genau in dem Augenblick legt jemand die Fernsehnachrichten auf den großen Bildschirm. Natürlich wird vom zerstörten Reichstag berichtet und dass mittlerweile fünf Satelliten abgestürzt seien. Ach. Die Nachrichtenredaktion weiß das eher als die Leute, die die ganze Zeit diese Satelliten überwachen? Jemand macht da nicht seinen Job.
Die Bundeskanzlerin – inzwischen in Berlin angekommen – schaut ebenfalls mit versteinerter Mine die Fernsehübertragung an. Komisch, dabei hat man vom Kanzleramt echt einen tollen, unverbauten Blick auf den Reichstag. Zwischen den Trümmern klettert auch Marc herum und sammelt die Kinder ein, die offenbar zum Zeitpunkt des Einschlags unsere Politik bestimmt haben. Gerade als er an seine eigene Leibesfrucht denkt, ruft seine Schwester aus Genf an und bittet ihn, doch mal bitte seine renitente Tochter demnächst wieder nach Hause zu holen. Richtig, seine Schwester ist Andrea alias Yvonne Catterfeld. Die holt die Tochter auch gleich ans Handy. „Hey du Arsch, alles klar?“, begrüßt der Teenager freudig erregt ihren Erzeuger. Hm, offenbar fand Jana es auch nicht so prall, in die Schweiz abgeschoben zu werden. Auf seine Ankündigung, sie zu besuchen und mit ihr zu reden, beendet sie das Gespräch. Und deswegen, meine Lieben, sollte man Gewalt gegenüber Kindern vielleicht nicht in jedem Fall ablehnen.