Die koreanische Teilung
Sein Nachfolger, Kim Dae-jung, wird gerne als Südkoreas Nelson Mandela bezeichnet. Als Oppositionspolitiker zur Zeit der Diktatur von Park Chung-hee floh er ins Exil nach Japan und wäre dort 1973 beinahe von KCIA-Agenten ermordet worden; unter Chun Doo-hwan wurde er festgenommen und zum Tode verurteilt. Lediglich ein Gnadengesuch von Papst Johannes Paul II. sorgte dafür, dass seine Todesstrafe zu 20 Jahren Haft umgewandelt wurde.
Kim Dae-jung setzte erfolgreich die Reformen um, die der IWF im Gegenzug für Hilfskredite während der Wirtschaftskrise forderte, baute ein soziales Netz in Südkorea auf und bemühte sich um Verständigung mit Nordkorea (die „Sonnenschein-Politik“), wofür er auch den Nobelpreis erhielt. Allerdings war auch seine Regierungszeit nicht ohne Skandale: Eine große Geldzahlung an Nordkorea im Gegenzug für die Zusage zu einem Zweistaaten-Gipfel zog lange Zeit später juristische Konsequenzen für einen Mitarbeiter Kims nach sich, zudem gab es einen Bestechungsskandal in seinem Kabinett, bei dem ein Schaden von 165 Millionen Dollar angerichtet wurde.
Der neue Präsident Roh Moo-hyun, der 2003 ins Blaue Haus zog, hatte große Pläne, die Korruption im Staat durch Justizreformen zu beseitigen, aber scheiterte grandios. Ebenso scheiterte sein Plan, die Opposition zu schwächen, indem er ein Gesetz einbrachte, wonach der Besitz der Familien von Koreanern, die während der Besatzungszeit mit den Japanern kollaborierten, vom Staat beschlagnahmt werden kann. Wie sich herausstellte, waren die meisten Betroffenen in seiner eigenen Partei. Er überstand ein Amtsenthebungsverfahren, das er sich einhandelte, weil er das Neutralitätsgebot seines Amts missachtete und vor Parlamentswahlen für seine neue Partei warb. Da die Arbeitslosigkeit und die Wohnkosten in Seoul drastisch stiegen, der Präsident aber nur trotzig reagierte und die wirtschaftliche Stärke des Landes lobte, überlebte seine neue Partei aber auch seine Präsidentschaft nicht unbeschadet und musste sich umbenennen, um nicht mehr mit dem Präsidenten assoziiert zu werden. Nach dem Ende seiner Amtszeit 2008 wurden Ermittlungen gegen die Familie und Unterstützer des Präsidenten wegen Korruption eingeleitet. Im Mai 2009, noch während der Ermittlungen, beging er Selbstmord, weil er „so vielen Leuten Qualen bereitet“ hätte.
Nach Roh kam Lee Myung-bak, der ehemalige Vorstandschef von Hyundai Engineering and Construction. Seine Amtszeit ist im Wesentlichen durch das Ende der Sonnenschein-Politik gegenüber Nordkorea geprägt, wodurch er im nördlichen Nachbarland zur Hassfigur wurde. Fünf Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit wurde er wegen Bestechung, Unterschlagung und Steuerhinterziehung verhaftet und zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt.
2013 war es dann an der Zeit für eine Frau zu zeigen, dass sie genauso gut ist wie die Männer. Die besagte Frau heißt Park Geun-hye – und ist die Tochter von Park Chung-hee, dem General, der sich 1961 an die Macht putschte. Zunächst äußerst beliebt, stürzten ihre Umfragewerte wenige Jahre später ab, nachdem klar wurde, dass sie nur die Marionette einer Tochter eines Sektenführers war und ihren Einfluss missbrauchte, um missliebige Medienberichte über sich zu unterdrücken. Sie wurde 2017 ihres Amtes enthoben und wegen Korruption und politischem Machtmissbrauch verhaftet. Sie verbüßt derzeit eine 24-jährige Haftstrafe. (Sie hat also tatsächlich gezeigt, dass sie genauso gut ist wie die Männer.)
Durch den unrühmlichen Abgang der Präsidentin waren schon 2017 Neuwahlen nötig, die der aktuelle Amtsinhaber Moon Jae-in gewann. Bisher ist er noch auf freiem Fuß.
Alle vier noch lebenden Ex-Präsidenten Südkoreas sind Knastvögel. Die Hälfte von denen sitzt derzeit ein, die auf freiem Fuß sind die letzten Militärdiktatoren, die wenige Jahre nach Haftantritt begnadigt wurden. Bei dem Zustand der politischen Elite ist es fast ein Wunder, dass Südkorea heute so ein wohlhabendes und demokratisches Land ist, obwohl es für lange Zeit das rechte Gegenstück zu seinem linken Nachbarn im Norden war und die Freiheit ähnlich drastisch einschränkte und Andersdenkende radikal verfolgte.
Wiedervereinigung?
Für den Norden bleibt die Wiedervereinigung Koreas ein ständiges Ziel, das auch immer wieder in der Propaganda betont wird. Natürlich soll dabei das politische System Nordkoreas auf den Süden ausgedehnt werden. Der Wunsch nach Wiedervereinigung ist aber nicht nur von Patriotismus getrieben: Südkorea ist mit seinem sichtbaren Wohlstand eine ständige Erinnerung daran, wie armselig sich Nordkorea unter den Kims in den letzten 50 Jahren trotz besserer Ausgangslage entwickelt hat, und somit eine Bedrohung für den Herrschaftsanspruch der Partei der Arbeit Koreas.
Im Süden ist die Wiedervereinigung kein dringendes Thema. Die meisten Südkoreaner ignorieren die Brüder und Schwestern im Norden (ähnlich wie die meisten Westdeutschen die Ostdeutschen während der deutschen Teilung ignoriert haben) und verschwenden keinen Gedanken an eine Wiedervereinigung. Seoul ist in Reichweite nordkoreanischer Artillerie, aber auch diese latente Bedrohung schiebt man eher beiseite. Die größten Berührungspunkte mit Nordkorea gibt es, wenn man seinen Wehrdienst an der Grenze ableisten muss, was natürlich auch nicht zwingend für warme Gedanken sorgt.
Natürlich hat man sich auch sehr gut die Schwierigkeiten (und die Kosten) bei der deutschen Wiedervereinigung angeschaut. Der wirtschaftliche Abstand zwischen Nord- und Südkorea ist aber um mindestens eine Größenordnung höher als der zwischen der DDR und der BRD im Jahr 1990. Die DDR hatte die höchste Lebensqualität im Ostblock, Nordkorea ist … na ja, Nordkorea. Der Fokus der südkoreanischen Politik liegt daher auf der Entschärfung der militärischen Bedrohung und der Zusammenführung von Familien, die seit der Teilung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg voneinander getrennt sind.